Inhalt
Der ehemalige Verbrecher Joe (Nicolas Cage) versucht seit Jahren seine Vergangenheit hinter sich lassen: Einst ein Gewaltverbrecher, ist er nun in der Forstwirtschaft, versucht Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen und frönt somit seinen täglichen Trott. Als jedoch eines Tages der 15-jährige Gary (Tye Sheridan), der gerne für Joe im Wald arbeiten möchte, in sein Leben tritt, ändert sich für ihn alles. Denn Garys Vater Wade (Gary Poulter) ist gewalttätig, ein starker Alkoholiker und vernachlässigt sowie tyrannisiert seine Familie. Für Joe entwickelt sich somit Gary zu einer Art Sohn, wobei für ihn die Rettung Garys wie eine Erlösung erscheint. Doch die Zeiten sind hart, gewalttätig und ohne Gnade…
Kritik
Ungebildet, verschroben, gewaltvoll und derb. Nur selten lässt uns ein Film einen so detaillierten Blick in das Milieu der weißen Unterschicht werfen. Einer, welcher gerade durch das finanzielle ausbluten des Südens der USA ungehobelt, alkoholisiert sowie aggressiv wirkt. Umso interessanter wird es zudem, wenn dieses authentische Bild kein geringerer als Spaß-Regisseur David Gordon Green ("Ananas Express", "Bad Sitter", "Your Highness") liefert. Zwar konnte dieser bereits mit "Prince Avalanche" und einem fantastischen Paul Rudd ein recht melancholisches Bild von Texas zeichnen, doch sein neuester Beitrag "Joe" geht noch eine Stufe weiter. Herausgekommen ist ein Film voller Wiedersprüche, einer unaufhaltsamen Gewaltspirale, einer dreckigen Gesellschaftsschicht, aber auch der Hoffnung auf Besserung. Dies zusammen mit einem durchweg brillanten Nicolas Cage, der hier eine seiner besten Performances überhaupt abliefert, ergibt ein tiefes durchdringendes Drama, das wie eine Momentaufnahme einer Kultur wirkt, die sich längst der Anarchie hingegeben hat.
Wäre da zumindest nicht Gary (fantastisch gespielt von Tye Sheridan). Denn diese fungiert in der Geschichte, nach dem Roman von Larry Brown, als moralischer Anker, als Hoffnung auf eine bessere Welt sowie für Joe als gesellschaftliches Ziel. Natürlich ist hierbei die grundlegende Story (ähnlich wie schon bei "Mud" mit Matthew McConaughey) simpel gestrickt. Doch setzt "Joe" auch hier viel mehr auf seine starken Charaktere. So ist Gary trotz seines Eifers, der Aufopferung bei der Arbeit sowie seinem Fleiß ein Gefangener. Sein allmächtig erscheinender alkoholkranker Vater Wade a.k.a. G-Daawg (Gary Poulter) lässt jede Hoffnung auf ein besseres Leben sofort im Keim ersticken und terrorisiert regelrecht seine Familie. Joe wiederum sucht Erlösung: Aus seiner gewaltvollen Vergangenheit kommen immer wieder Schatten hervor, die ihn mehr als nur einmal zur Verzweiflung bringen sowie unkontrolliert und wie im Wahn das Gesetz durchbrechen lassen. Regisseur David Gordon Green erzählt hierbei seine Geschichte ruhig, in malerischer Südstaaten-Kulisse, ohne jemals aufgeregt oder aufgedreht zu wirken. Dies zusammen mit einem passend unterschwelligen Sound, ergibt dann eine Sogwirkung, die zwar auf ein vorhersehbares Ende zu steuert, jedoch dennoch eine Figurenkonstellation offenbart, die begeistert.
Regisseur David Gordon Green gelingt es zudem, "Joe" mit einem philosophischen Unterbau zu verstärken. So ist Joe ein Waldarbeiter, jemand der Afroamerikanern (ein an sich schon starkes Bild) Arbeit gewährt, sodass diese mit voller Eifer einer harten Arbeit nachgehen können. Ihr Job: Das töten von Bäumen. Somit fungieren diese als Parabel für die Geschichte an sich. Denn alle Figuren im Film haben etwas Destruktives, etwas Gewaltbereites sowie teils Sinnloses. Einzig Gary scheint hierbei aus der Masse herauszustechen, wobei mehr als nur einmal sein Weg ein anderer scheint. Zwar kann hier nicht so eine Stärke wie bei Shion Sono und seinem Meisterwerk "Himizu" aufgebaut werden, doch die Richtungen sind ähnlich. Während sich so die Geschichte immer wieder in Chaos, Aggressionen sowie pure Gewalt äußert, gibt es zum Finale hin Hoffnung und Erlösung. Dies mag, auch aufgrund der unreflektierten Art von Green durchaus zu kritisieren sein, allerdings gelingt "Joe" der Kreislauf perfekt. Denn wenn Gary am Schluss, im Sinne eines Nachspiels, seinen Job wechselt und fortan Pinien anpflanzt, für die Joe und seine Truppe Platz gemacht hatten, ist dies Bildsprache in Perfektion.
Doch hinter Joe steckt noch viel mehr als nur eine Milieu-Studie oder ein Charakterdrama. Denn vornehmlich steckt hinter dem Film auch eine tieftraurige Geschichte: So ist Wade a.k.a. G-Daawg kein Schauspieler. Gary Poulter wurde für den Film direkt von der Straße (in der Nähe von Austin, Texas) geholt, um so ein Höchstmaß an Authentizität zu übertragen. Während dieses mit Bravur gelingt, versuchte Cage seinen Co-Star über die Zeit hinweg aufzubauen, sodass dieser es von der Straße schaffte. Und Poulter zeigte durchgehenden Eifer: Er hörte für den Dreh auf zu trinken, war stets vorbereitet und immer pünktlich. Während später der Film aber auf dem Toronto Film Festival lief und eine Menge Beifall erhielt, konnte Poulter dies nicht mehr hören. Er war nach dem Dreh wieder in Texas, auf der Straße und suchte eine Unterkunft. Seine letzte, denn am 19.02.2013 verstarb Poulter als Obdachloser.
Fazit
Joe ist düster, destruktiv, dramatisch sowie schwer. Doch gerade die Mischung aus ungewöhnlicher Milieu-Studie und intensiven Charakterdrama im Stile eins Anti-Amerikanischen Traumes weiß zu gefallen. Zwar ist die Geschichte durchaus bekannt und auch die Abwärtsspirale ohne starke Überraschungen, doch gerade durch einen fantastischen Nicolas Cage, dem jungen Tye Sheridan sowie einer gar schon hypnotischen Inszenierung, ist Joe ein berührendes wie bewegendes Drama, das einen ungewöhnlichen Einblick in die sozialen Schichten der USA gewährt.
Autor: Thomas Repenning