Inhalt
Nachdem er zwölf Jahre in der Fremde verbracht hat, kehrt der Schriftsteller Louis in seine Heimatstadt zurück, wo er seiner Familie von seinem baldigen Ableben unterrichten will.
Kritik
Xavier Dolan (Sag nicht, wer du bist!), gerne auch als Wunderkind oder Zukunft der Autorenfilmer bezeichnet, ist mittlerweile ein gern gesehener Gast bei den Filmfestspielen von Cannes. Nachdem sein letzter Film Mommy vor zwei Jahren den Preis der Jury gewann, waren zahlreiche Kritiker gespannt, was sich hinter seinem diesjährigen Beitrag Einfach das Ende der Welt verbirgt. Die Reaktionen waren überraschend und äußerst zwiespältig, auf die vernichtende Kritik mancher Autoren folgte prompt der Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals. Eine Kontroverse um den sonst über alle Zweifel erhabenen Dolan? Wenn man den Film gesehen hat, scheint es verständlich, denn Einfach das Ende der Welt macht es seinen Zuschauern nicht leicht und wird sie wohl weiterhin spalten.
In Einfach das Ende der Welt geht es um den 34-jährigen Louis (Gaspard Ulliel), der nach zwölf Jahren zu seiner Familie zurückkehrt um diese von seinem baldigen Ableben zu informieren. In der Zeit seiner Abwesenheit gab es zwar immer wieder Briefe und Postkarten, doch jeglicher Kontakt darüber hinaus blieb aus. Seine Ankunft reißt trotz Vorfreude tiefe Wunden auf und so eskaliert die Situation von kleinen Scharmützeln hin zu mächtigen Wortgefechten. In erster Linie wird also gestritten, konstante Kritik geübt – an anderen, aber auch an sich selbst. Denn meistens sind die Anschuldigungen und Beleidigungen Ausdruck der eigenen Unsicherheit und dekonstruieren die Familienmitglieder selbst mehr, als sie anderen Schaden zufügen. Diese durchaus vielschichtigen Charakterbeziehungen erzählt Dolan jedoch fürchterlich verkopft, eine emotionale Wirkung bleibt nahezu komplett aus und so verliert sich das Werk regelmäßig in nervenden Tendenzen.
Für sein Familiendrama greift Dolan auf die erste Garde des aktuellen französischen Kinos zurück und versammelt Marion Cotillard (Inception), Vincent Cassel (Black Swan), Léa Seydoux (The Lobster) und Nathalie Baye (Catch Me If You Can). Die einzelnen Leistungen der talentierten Darsteller gehören sicherlich zu den Stärken des Films, nur offenbart sich dabei bereits eine Problematik. Für sich genommen kraftvoll und überzeugend, sackt ihre Leistung ein Stück weit ab, wenn ihre Dynamik untereinander zur Geltung kommen sollte. Zwar gibt es für Jeden ausreichend lange Einzelmomente, doch die Chemie untereinander scheint nicht zu passen und so erwecken sie nie den Eindruck einer Familie. Man könnte nun entgegnen, dass gerade die Entfremdung untereinander eine Thematik des Films ist, doch möchte man dieses Argument jeder Figur andichten, dann klingt das eher nach einer fadenscheinigen Ausrede als nach einer geplanten Regieanweisung.
Dolan-typisch darf auch ein unorthodoxer Soundtrack bestehend aus zeitgenössischen Pop-Hits sowie einige prätentiöse Bilderfluten nicht fehlen. Der natürlichen Limitierung der Inszenierung durch die kammerspielartige Struktur des Films scheint Dolan nur wenig entgegenzusetzen zu haben und so beschränkt sich seine Bildsprache auf konventionelle Einstellungen und einige Akzente in der Farbgebung. In vielerlei Hinsicht ist Einfach das Ende der Welt also ein typischer Dolan, voll von altbekannten Konflikten und Thematiken. Und auch wenn er bei vielen Zuschauern (gerade ein persönlicher Bezug könnte entscheidend sein) sicher sehr gut ankommen wird, so sollten sich wohl selbst Fans eingestehen, dass es langsam Zeit wird sich etwas weiterzubewegen.
Fazit
Natürlich könnte man sich das neueste Werk von Xavier Dolan ansehen, wenn es kurz nach Weihnachten in den deutschen Lichtspielhäusern anläuft. Stattdessen könnte man aber auch auf eine dieser unsäglichen Familienfeiern gehen, dort einen Streit lostreten und den Film noch ein Stück authentischer selbst erleben. Denn in "Einfach das Ende der Welt" wird primär diskutiert und gestritten, es herrscht eine konstante Divergenz zwischen allen Figuren. Auseinandersetzungen, welche mit Vorliebe lautstark und vor allem nervtötend verhandelt werden. Darunter schlummert, so viel muss man Dolan lassen, ein durchaus komplexes Charaktergeflecht mit ambivalenten Motiven und verständlichen Konflikten. Die verdient tiefgreifende Auseinandersetzung damit bleibt jedoch leider aus.
Autor: Dominic Hochholzer