Welche Verantwortung birgt ein Erbe? Hat man es im Sinne der Vererbenden zu behandeln? Oder kann eine Erbschaft nicht eine vorrangig gesellschaftliche Schuld mit sich bringen? Die Verantwortung also, mit dem Erbe besser umzugehen, als es die Vererbenden taten. Inheritance wird diese Fragen zum Ende hin klar für sich beantworten, zieht jedoch zu Beginn ein eindrucksvolles Spannungsfeld auf: Nach dem Tod ihres Vaters bekommt Lauren (Lily Collins, Spieglein Spieglein) von dessen Notar einen Umschlag zugesteckt, in dem sich ein USB-Stick befindet. Dieser enthält einen Schlüssel und strikte Befehle, die ihr letztlich Zugang zu einem Bunker verschaffen, in dem Morgan Warner (Simon Pegg, Hot Fuzz) seit vielen Jahren gefangen gehalten wird. Von ihrem Vater, wie sie bald feststellen muss. Lauren steht im weiterem Verlauf vor einer Reihe unangenehmer Entscheidungen: Soll sie den strengen Worten ihres Vaters oder den bettelnden Rufen Morgans ihr Vertrauen schenken? Soll sie den scheinbar unschuldigen Mann frei lassen und dafür den Ruf der Familie riskieren? Oder soll sie die Tür zu den Leichen im Keller ihrer Liebsten ein für alle Mal schließen?
Gerade das erste Drittel, in dem der Zuschauer mit Lauren zu ergründen versucht, was das Geheimnis hinter Morgan ist, fällt dabei spannend aus. Nicht nur kontrastiert der Film die graue, glatte Ästhetik einer reichen und mächtigen Familie mit der schwarzen, dreckigen Tiefe des Bunkers und seines Insassens. Auch hält er sich nicht groß an Emotionalisierungen auf, verfährt in einem angenehmen Erzähltempo, das auf den Punkt kommt, und bietet mit Lily Collins und Simon Pegg ein überzeugendes Schauspiel-Duo. Irgendwo zwischen Kammerspiel, Krimi und Thriller ist Inheritance bis zu einem gewissen Grad gut erzählt und stellt die richtigen Fragen. Doch dann findet er kaum noch Bilder, um seine Themen weiterzuentwickeln: Die kühle Anwältin und der verwesende Mann. Die einschüchternden Rechtsgebäude und die miefige Kammer im Bunker. Die schnittigen Fahrzeuge und die dreckigen Ketten. All diese Kontraste verlaufen nach einem ähnlichen Schema und nutzen sich schnell ab. So hat der Film keinerlei Interesse daran, ernsthaft Institutionen kritisch zu beäugeln, sondern sieht in der Verbindung dieser mit der Familie nur ein Eigeninteresse Laurens, ihren guten Ruf zu retten.
Im letzten Drittel dann - nachdem alle relevanten Entscheidungen getroffen sind - entzaubert sich der Film gänzlich. Nicht nur stückelt er stümperhaft eine Hintergrundgeschichte zusammen, die die Situation erklären soll, aber unzählige Fragen offen lässt. Auch unterdrückt er jegliches emanzipatorisches Potential, indem er Lauren trotz ihrer klugen Überlegungen als zu emotional markiert und ihrem Vater damit die Oberhand lässt. Am Ende kann man eben doch keinem "da draußen" vertrauen, lediglich der Familie - wie schrecklich sie auch sein mag. Damit ist Inheritance nicht nur reaktionär, sondern darüber hinaus in seiner Erzählweise plump. Seien es die visuellen Kontraste, die nicht über die Oberfläche hinausstrahlen. Oder das Drehbuch, das nichts dem Zufall überlässt, zum Ende hin mit einem fulminanten Twist alle Hintergründe aufdecken muss und es nicht aushält, etwas im Ungewissen zu lassen.
Inheritance hätte einen klugen Beitrag zum Thema "Erbschaft" darstellen können, aber verharrt letztlich in einer privatistischen Narrative. Anstatt aufzuzeigen, wie Lauren mit ihrer Familientradition bricht, Verantwortung für das Erbe ihres Vaters übernimmt und sich solidarisch der Gesellschaft gegenüber zeigt, lässt das Drehbuch jegliches Potential hierzu im Keim ersticken. Am Ende darf der Zuschauer Befriedigung erfahren, wenn die Rollen klar verteilt werden, wenn die Ambivalenzen sich auflösen und erkennbar wird, wer "gut" und wer "böse" ist. Selbstverständlich darf dabei nicht allzu viel Blut an der bürgerlichen Familie haften bleiben. Das Erbe, das es für Lauren anzutreten gilt, hat im Film nicht die Funktion, die Vertrauensräume über die eigene Familie hinaus zu erweitern. Das Gegenteil ist der Fall: Am Ende bleibt das Misstrauen dem "Fremden" gegenüber. Das Erbe wird zur Mission, die Familie zu schützen, dem Vater zu folgen. Die vom Film als zweifelhaft eingeräumte Methode dessen wird dabei nur zur schein-differenziellen Randnotiz.