Inhalt
Alltägliche digitale Geräte sind nicht mehr nur Werkzeuge; Sie sind zu Toren zu einem wachsenden erweiterten Universum geworden, das wir weitgehend ohne physische Verbindung erleben. Wir verbringen heute die meiste Zeit in einer digitalen Landschaft auf der Suche nach Glück, Reichtum, Beziehungen, Wissen und Erfahrungen. Woraus besteht die heutige Realität? Eine Reise, die erforscht, wie es sich anfühlt, im digitalen Zeitalter ein Mensch zu sein.
Kritik
“This is real”, sagt eine der Personen, die Adele Tulli in ihrem psychosozialen Potpourri zu vorführt. Allerdings nicht zu der italienischen Regisseurin oder einer Kamera, sondern ihrer Gesprächspartnerin. Sie hat silbergraue Haut, Rehohren und Fangzähne; die Sprecherin Katzenohren, Manga-Augen und Pfotenhände. Ein feenhaftes Alien und ein anthropomorphes Fabeltier in einem computergenerierten Fantasy-Kosmos, auf den das Publikum offenkundig mit provozierter Polarität reagieren soll: Das sei natürlich nicht real! So einfach macht es sich die Inszenierung oft.
Die Crux daran ist, dass nicht die zwei selbstdefinierten „VR Eskapisten“ mit der Welt außerhalb ihrer virtuellen Sphäre klarkommen, sondern die Außenwelt nicht mit ihnen. Doch solche Feinheiten verlieren sich unweigerlich unter den eklektischen Exponaten, die ein Hinterfragen der (zwischen)menschlichen Auswirkungen digitaler Technologien nicht anregt, sondern eher untergräbt. Tendenziöse Teilstücke eines weit komplexeren und diverseren Gesamtbildes verbinden sich zu einer kalkulierten Collage, die das positive Potenzial von Virtual Reality übergeht oder nachteilig konnotiert.
PC-Junkies im Klinik-Entzug erzählen von Abhängigkeit. Schrille Digital-Kompilationen mit kakophoner Geräuschkulisse vermitteln Reizüberflutung. Zugleich werden die Kunstwelten mit Realitätsflucht und Isolation assoziiert. Exemplarisch dafür ist schon die erste Szene, in der ein kleiner Junge sich von Bixby Selbstbestätigung holt. “The universe supports you”, verkündet eine Computer-Stimme. Ein Cam Girl zieht sich aus, ein anderes küsst den Bildschirm, Influencer plappern in die PC-Kamera. Dass die von der Tullis nicht so verschieden ist, kommt nie zur Sprache.
Fazit
Nach ihrer letzten Lang-Doku "Normal" wählt Adele Tulli erneut ein streitbares Thema für eine ausschnittartige Anordnung. Zuvor „Gender“, nun „digitale Technologie“. Die meisten der verwendeten filmischen Fragmente sind dabei lediglich aus dem Internet zusammengesucht. Hintergrundinformationen, Datenerhebungen, zeitliche und lokale Einordnungen fehlen. Auf Recherche deutet nichts in der flachen Inszenierung, die paradoxerweise auffällig nah an dem ist, was sie implizit abwertet: Am Computer produzierter Content mit viel Hektik, Fake-Visionen und Phrasen, aber wenig Inhalt. Zeit zum Abschalten.
Autor: Lida Bach