Inhalt
Über zehn Jahre nach ihrer Flucht aus dem russischen Schtetl landet Suzie als Revuegirl im Paris der Vorkriegszeit. Zusammen mit der verruchten Tänzerin Lola kommt sie mithilfe des arroganten Sängers Dante Domingo an der Oper unter. Von der Liebe geblendet, zieht Lola mit dem Faschisten Dante zusammen, während sich Suzie zu dem mysteriösen Zigeuner Cesar hingezogen fühlt. Als Suzie erneut fliehen muss, lässt sie Cesar zurück. Ihre Odyssee führt sie schließlich nach Hollywood, wo sie lange verloren Geglaubtes wiederfindet.
Kritik
Manchmal gibt es Filme, die sich ihrer Defizite einfach im Klaren sind; die niemals das Zeug dazu haben werden, in einer dieser seit jeher inflationär aufgestellten Bestenlisten einen Platz zu ergattern - und gerade dadurch gewinnen sie exorbitant an Reiz. „In stürmischen Zeiten“ aus dem Jahre 2000, geschrieben und inszeniert von Sally Potter („Ginger & Rosa“), darf sich zu dieser Gattung zählen lassen: Vermutlich niemand wird sich in 100 Jahren noch an dieses Werk erinnern, aber im Umkehrschluss ist es auch gar nicht im Gebaren von „In stürmischen Zeiten“ veranlagt, tiefe Fußabdrücke im ewigen Sand der Kinematographie zu hinterlassen. Sally Potter artikuliert sich lieber im überschaubaren Rahmen, schlägt die leisen Töne an, zieht meistens gar den Blick dem gesprochenen Wort vor, wenn es darum geht, die Charaktere zu vertiefen, ihre divergierenden Bedürfnisse und Motivationen stärker auszubauen. Dabei fällt im Grunde schnell auf, dass niemand hier im Bunde für sich selbst steht, sondern einer wohldefinierten Funktion folgt.
Ausgangspunkt ist Suzie (Christina Ricci, „Black Snake Moan“), die als Kind mit ihrer Familie aus einem russischen Schtetl floh, allerdings niemals im idealisierten Amerika angekommen ist, sondern in London strandete, wo sie dank ihrer Stimme Teil einer flamboyanten Revuetruppe wurde. Dieser Auftakt, dessen Tragik in einigen wenigen jiddischen Dialogen komprimiert wird, ist für „In stürmischen Zeiten“ grundlegender Baustein im schwer- und wehmütigen Befindlichkeitsmosaik. In London lernt sie Lola (Cate Blanchett, „Blue Jasmine“), ebenfalls eine Migrantin, kennen, die den Kontakt zum gutsituierten, aber ebenso opportunistischen Opernsänger Dante (John Turturro, „American Gigolo“) sucht, um sich aus ihrem niederen sozialen Stand nach und nach hochzuvögeln. Dass in „In stürmischen Zeiten“ der Resonanzraum eines Epos schlummert, deutet die im Ansatz pathetische Figurenkonstellation bereits an, während die nie sonderlich konkretisierte Datierung (Vorkriegszeit, bis zum Einmarsch der Deutschen in Frankreich) ihr übriges tut – oder tun könnte. Stattdessen bleibt es verhalten, klammheimlich, und mit esoterischen Nuancen in der Audiovisualität bestückt.
„In stürmischen Zeiten“ möchte nicht überlebensgroß daherkommen, sondern vergießt seine Tränen in der Stille. Suzies oftmals der Orientierungslosigkeit verschriebene Geschichte ist eine eigentlich handelsübliche und folgt narrativ dem Versuch, das Glück im Leben für sich zu gewinnen, während der bornierte Fascho Dante, der der zurückgenommenen Suzie in seiner Gesinnung diametral gegenübersteht, permanent nach Popularität heischt – Auch wenn er dafür über Leichen schreiten muss. Sally Potter benötigt indes keine theatralische Positur, um das sich mehr und mehr zerrüttende Gefüge greifbar zu machen, „In stürmischen Zeiten“ schämt sich seiner Lückenhaftigkeit keineswegs, im Unrunden, im Löchrigen schlummern sie, die interessanten, gefühlsselig Gesten, ein zügiger Augenkontakt zwischen Suzie und dem verwegenen Gypsie Cesar (Johnny Depp, „Into the Woods“) genügt, um die Leidenschaft aus dem Stand lodern zu lassen. Darüber hinaus ist es durchaus wohlig anzusehen, wie demütig Potter den folkloristischen Anteil immer wieder in den Film integriert und die Charaktere sich ihrer ethnischen Wurzeln bewusst werden lässt.
Fazit
Kein perfekter Film, in seiner Lückenhaftigkeit aber umso interessanter. Die zarte Christina Ricci ist die Idealbesetzung der Migrantin Suzie, die in Europa zwangsweise ein neues Leben beginnen muss und mit ihren Rehaugen aber nicht nur Johnny Depp in ihren Bann zieht, sondern auch den Zuschauer. Ein interessantes Befindlichkeitsmosaik, weniger an der hintergründigen Historizität interessiert, als an den divergierenden Stimmungen jener Tage.
Autor: Pascal Reis