Inhalt
Gloria ist 58 Jahre alt und geschieden. Die Kinder sind aus dem Haus, doch so ganz allein will sie ihre Tage und Nächte nicht verbringen. Dem Alter und der Einsamkeit trotzend, tobt sie sich gern auf Single-Partys aus, immer wieder auf der Suche nach dem schnellen Glück, das jedoch regelmäßig von einem Gefühl der Enttäuschung und Leere abgelöst wird. Bis sie Rodolfo kennenlernt, den sieben Jahre älteren ehemaligen Marineoffizier, mit dem sie sich eine eine romantische Liebesbeziehung, ja sogar eine dauerhafte Partnerschaft vorstellen kann. Die Begegnung mit ihm wird für Gloria zu einer ungeahnten Herausforderung. Nach und nach sieht sie sich auch mit den verdrängten Geheimnissen ihres Lebens konfrontiert.
Kritik
Schaut man sich die Frauenfiguren der letzten Jahre im Populärkino an, so könnte man meinen, die großen Studios hätten keinerlei Interesse daran, auch weibliche Charaktere zu erschaffen, die Abseits von gängigen Abziehbildcharakterisierungen funktionieren. 2013 gab es z.B. im trendbestimmten Blockbustersommer nur einen einzigen Film, der eine wirkliche, weibliche Hauptrolle zu bieten hatte („Taffe Mädels“). Es wurde etwas besser, als wirklich zufriedenstellend kann man die aktuelle Situation aber dennoch nicht beschreiben.
Noch enttäuschender wird es, wenn der Blick über die Rollen schweifen lässt, die über 40jährige Frauen spielen. Alles was da übrig bleibt, scheinen eindimensionale Mutterrollen. Dabei bleiben klischeelose Auseinandersetzungen mit dem Alter und der eigenen sowie gesellschaftlichen Vergangenheit meist wehmütige Wünsche, die nicht erfüllt werden (auch wenn Robert Redfords „The Company you keep – Die Akte Grant“ 2012 eine sehenswerte wenn auch ziemlich schwerfällige Ausnahme darstellt).
Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio hat mit „Gloria“ einen Film inszeniert, der sich mit großer Wahrhaftigkeit dieser Materie annimmt. Dabei ist ihm ein so unterhaltsamer wie unaufgeregter und über alle Facetten hinaus lebensbejahender Film gelungen, der die Schönheit des Alters genau so unprätentiös wiedergibt wie die dunklen Stellen und teils unschönen Wahrheiten.
Hauptdarstellerin Paulina Garcia (spielte in „Narcos“ die Mutter (!) Escobar) brilliert dabei als Titelfigur. Sie ist das klare Zentrum und erfüllt diese Gloria mit Leben, Wärme und Menschlichkeit. Dabei bleibt Lelio immer ganz nah dran an ihr. Egal ob sie im Auto singt, an einer Bar versucht Kontakte zu knüpfen oder sexuelle Sehnsüchte bei einem One Night Stand auslebt. Trotz dieser klaren Fokussierung und dem Verzicht Ebenen ihres Alltags auszuklammern, verfällt Lelio niemals in eine voyeuristische Sicht.
Dabei besticht „Gloria“ vor allem durch eine nüchterne Inszenierung, die unprätentiös aber dennoch auf ihre ganz eigene, fast schon naturalistische Art und Weise stilvoll wirkt. Dies liegt zu großen Teilen einfach auch an Paulina Garcia. Diese Frau ist einfach eine Sensation. Sie erfüllt die Rolle der Gloria so wunderbar facettenreich und verleiht ihr eine natürliche Würde. Dass sie dafür im 2013 den silbernen Bären gewann, ist da eigentlich keine Sensation, sondern mehr eine Selbstverständlichkeit.
Gewiss, Garcias Spiel und Präsenz ist auch gekoppelt ans Drehbuch. Dieses erzählt eine Geschichte, die als reine Charakterstudie wunderbar funktioniert und innerhalb dieser Mechanik noch einen Blick auf das Chile von heute wirft, welches sich mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt. Dies wird überdeutlich, wenn Gloria und der ehemalige Offizier Rudolfo zueinanderfinden. Es sind Altlasten, menschliche wie auch politische, die diese frische Liebe gefährdet. Sichtbar wird dies nicht nur durch aufrichtige, lange Dialoge, die oftmals von einer ehrlichen Melancholie getragen werden, sondern auch durch dezidierte Beobachtungen von Glorias Alltag. Manchmal wirkt sie fast wie verloren in diesem Tumult aus Vergangenheit, Liebeschaos und Gegenwart, doch sie gibt nicht auf. „Gloria“ versteht sich dabei nicht als Drama, es ist vielmehr eine Zelebrierung.
Die Zelebrierung einer 58-jährigen Singlefrau, die es nicht einsieht sich mit der Einsamkeit abzufinden. Sie verlangt dabei nicht Almosen aus Aufmerksamkeit. Sie nimmt die Sache selbst in die Hand, auch wenn Enttäuschungen und Rückschläge sie genauso hart treffen wie jeden anderen und genau deswegen rührt, erfreut und begeistert Lelios Film. Gloria ist eine Kämpferin und ihre Geschichte ist eine pure Ode an die Lebensfreude, mit all ihren Höhen und Tiefen, hellen Stellen und dunklen Flecken.
Fazit
Sebastián Lelios „Gloria“ ist ein, trotz seiner eher zurückhaltenden Natur, berauschender Film. Kein falsches Alterspathos, intensiv erzählt - vor allem dank einer grandiosen Hauptdarstellerin – und trotz dramatischer Gewichtungen doch bezaubernd und freudvoll. Es geht also doch. Es ist also doch möglich weiblichen, älteren Frauenrollen mehr zu entlocken als das ewig Gleiche. Jetzt müsste das Mainstreamkino endlich einmal den Mut besitzen und seine Akteurinnen der Generation 50+ auch so ein Geschenk machen.
Autor: Sebastian Groß