Es ist lange her, dass der Fernseher das einzige Mittel zur Verdummung der Menschheit war. Zumindest legt der Film die Vermutung nahe, dass im Jahre 2007, als Free Rainer herauskam, die Zuschauer als willenlose Marionetten den bösen Machenschaften der Fernsehmacher zum Opfer gefallen sind. Daran sind natürlich die Schwächen bei der Quotenmessung schuld. Der Regisseur und Drehbuchautor Hans Weingartner (Die fetten Jahre sind vorbei) betrieb hier in gewisser Weise Enthüllungsjournalismus, indem er aufdeckte, wie das Fernsehen von den Quoten bestimmt wird und wie die Fernsehquote erhoben wird. Während seiner Recherche stellte er fest, dass das Messsystem deutliche Schwächen hat und teilte seine Erkenntnisse in einer fiktiven Geschichte mit der Menschheit. Die Kernaussage des Films besteht darin, dass die Zuschauer nur deshalb von morgens bis abends Trash-TV schauen wollen, weil sie, vergleichbar mit einer Droge, nach und nach immer mehr Trash-Sendungen vorgesetzt bekommen und keine andere Wahl haben als sie zu konsumieren und irgendwann mal nicht mehr davon wegkommen.
In gewisser Weise macht es sich der Regisseur zu einfach, in dem er die Komponente des freien Willens vollkommen außer Acht lässt und mit seinem „Kampf gegen Unterschichtenfernsehen“ die Zuschauer als hirnlose Konsumenten darstellt. Analog zu dieser einseitigen Sichtweise könnte man genauso gut sagen, dass man jemandem nur oft genug Koks anbieten muss, bis er freudig zugreift und für immer abhängig wird. Die Hauptfigur Rainer (Moritz Bleibtreu, Das Experiment) erzählt unter anderem, dass die Trash-Sendungen zuerst bei den Zuschauern nicht sonderlich beliebt waren, bis man sie monatelang immer und immer wieder damit berieselt hat, bis die Quoten endlich stiegen. „Man zeigt den Leuten so lange Dreck, bis sie nur noch Dreck sehen wollen.“ Wo bleibt denn da der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen? Man wird das Gefühl nicht los, dass Free Rainer alle Zuschauer über einen Kamm schert und sie wie hirnlose Schafe darstellt. Dabei tut der Film so verdammt pseudointellektuell und belehrend, während er die geldgeilen Fernsehmacher und die „opportunistischen Zuschauer“ scharf kritisiert.
Die Hauptfigur darf sich über die zerstörte Kultur und über dämliche Sendungen auslassen. An dieser Stelle muss man allerdings zugeben, dass die Mediensatire tatsächlich ganz gut funktioniert. Es ist witzig, sich über die verblödeten Sendungen, die so ähnlich heute immer noch laufen, lustig zu machen. Wenn die Kernaussage des Films sich selbst nur nicht torpedieren würde, dann wäre der Film sicherlich mehr als nur passabel. Wenn das geistige Erwachen der Zuschauer jedoch nur daraus resultiert, dass die dämlichen Sendungen abgesetzt werden und stattdessen lauter kluge Sendungen laufen, die jedoch von niemandem mehr geschaut werden möchten, impliziert es nicht automatisch, dass das intellektuelle Programm so lahm ist, dass sich das niemand mehr ansehen möchte? Und das bedeutet wiederum, dass die Menschen nach wie vor lieber Trash sehen wollen und nur notgedrungen zu Büchern greifen. Somit dreht sich die Kritik an der Medienwelt einmal im Kreis, um schließlich ungewollt zur Erkenntnis zu gelangen, dass sich kein Mensch die intellektuellen schwarz-weiß-Filme und Naturdokumentationen in Dauerschleife ansehen möchte, sondern stattdessen lieber im Park spazieren geht. Das Blöde daran ist, nur, dass Free Rainer eher genau das Gegenteil davon ausdrücken wollte, aber durch seine schwarz-weiße, undifferenzierte Betrachtung in seine eigene Falle getappt ist, unbedingt ein intellektueller Film sein zu wollen, was er jedoch überhaupt nicht ist. Wenn die Prämisse des Films darin besteht, seine eigenen Zuschauer für nicht besonders intelligent zu halten, dann kann es mit dem geplanten Bildungsauftrag im Endeffekt nichts werden.
Leider hilft auch der besonders schnelle und emotional überhaupt nicht nachvollziehbare Sinneswandel des Hauptdarstellers nicht gerade dabei, die Motivation von Rainer zu verstehen. Immerhin hätte der Film mit seiner Länge von über zwei Stunden durchaus Zeit für die Figurenentwicklung. In gewisser Weise wird hier eine moderne Scrooge Geschichte erzählt, nur dass man sich kaum Zeit lässt, die Transformation eines koksenden Unmenschen in einen herzallerliebsten Altruisten zu verdeutlichen. Dabei ist Moritz Bleibtreu eigentlich ein guter Schauspieler, aber man lässt ihm keine Zeit seiner Figur zur Entwicklung zu verhelfen. Man hätte ruhig ein paar Szenen streichen sollen, welche die mühsame Arbeit der Figuren an der Manipulation der Quoten thematisieren. Die Fülle an diesen Szenen nimmt das Tempo des Films deutlich heraus. Stattdessen hätte man sich mehr auf die Figurenentwicklung und die Beweggründe hinter dem Handeln der Figuren fokussieren sollen. Für eine lockere Mediensatire ist Free Rainer teilweise zu deprimierend und langatmig. Aber der Film setzt sich immer hin für eine gute Sache ein, nämlich die Befreiung der Zuschauer vom schlechten Fernsehprogramm und gleichzeitig übt er auch Kritik an der Quotenmessung und Datensammelleidenschaft der Deutschen zum Zwecke der Profitsteigerung.