Inhalt
"Ferdinand" erzählt die Geschichte eines riesigen Stiers mit einem großen Herzen. Nachdem man Ferdinand irrtümlich für ein wildes Tier hält, wird er gefangen genommen und von zuhause weggeschafft. Fest entschlossen zu seiner Familie zurückzukehren, trommelt er ein Team von Außenseitern für das ultimative Abenteuer zusammen. Ferdinand beweist bei der in Spanien angesiedelten Geschichte, dass man einen Stier nicht nach seinen Hörnern beurteilen kann.
Kritik
Die Weiterentwicklung der Animationen in Kinderfilmen ist in vielerlei Hinsicht interessant. Zum einen wäre da natürlich die technische Seite, die 3D-Animationen ermöglichen ein viel realistischeres und facettenreicheres Bild als es nur die Zeichentrick-Filme liefern konnten. Die Entwicklung vom Zeichentrick zur 3D-Animation passt also wunderbar in die absurde Entwicklung hinein, Filme immer realistischer wirken lassen zu wollen. Dabei bestand der Reiz des Filmes doch immer darin, dass er eben einen Ausbruch aus der Realität und damit manchmal einen viel offenkundigeren Blick auf die Realität garantiert. Gerade die Zeichentrick-Filme waren von einer oftmals nahezu ausufernden Phantasie geprägt. Nun soll man den Einsatz von 3D-Animationen nicht generalisiert verurteilen, es gibt Filme, in denen die plastischeren Darstellungen durchaus passend erscheinen. Ein Beispiel dafür ist The Boss Baby, wo die Unschuld eines Kindes mit dem puren Geschäftssinn vermischt wird, wodurch diese sehr glattpolierte Ästhetik durchaus eine passende Bildsprache darstellt.
Nun ist die Geschichte rund um Ferdinand eine, die von einer Sanftmütigkeit, von einer gewissen Melancholie geprägt ist. Es gab 1938 bereits einen Kurzfilm mit dem Titel Ferdinand, der Stier von Dick Rickard (The Practical Pig), der das zugrunde liegende Kinderbuch deutlich besser verarbeitete. Die Reduktion auf eine Lauflänge von 8 Minuten ermöglicht einen Eindruck, ein Gefühl zu vermitteln, in dem sich Ferdinand befindet. Der Kurzfilm kommt nahezu ohne Worte aus und kommuniziert durch seine liebevollen Zeichnungen. Ferdinand wird nicht nur als sanftmütig dargestellt, sondern als jemand der aktiv Widerstand leistet, als subversives Wesen gegen die Normen, in die er gedrängt werden soll. Er hält sich weder an Regeln, die ihm sinnlos erscheinen, noch hält er sich an Vorstellungen davon, wie er als Subjekt zu funktionieren hat. Er widersetzt sich seiner in der Gesellschaft vorgeschriebenen Rolle.
Der Stier mit seinem muskulösen Körperbau, seiner bedrohlichen wie stolzen Körperhaltung und seiner Größe steht natürlich für die Männlichkeit im stereotypischen Sinne. Es geht hier also um den von der Soziologin Raewyn Connell geprägten Begriff der hegemonialen Männlichkeit, also der dominanten Männlichkeit, die Nicht-Männer degradiert. Die hegemoniale Männlichkeit lässt sich als ein Ideal verstehen, das festlegt, wie ein „wahrhaftiger Mann“ zu funktionieren hat, sie ist ein soziales Konstrukt. Unter diesem Konstrukt leiden bzw. litten nicht nur Frauen, als Gegenbewegung gibt es dazu ja den Feminismus, sondern auch Männer, die sich eben nicht in diese Rolle einordnen lassen. Ferdinand steht für den Mann, der nicht in das Ideal eines Mannes passt.
Wie auch der Kurzfilm von 1938 verhandelt auch Ferdinand- Geht stierisch ab! dieses Konstrukt auf wunderbare Art und Weise. In Teilen gelingt dies der Verfilmung von 2017 sogar noch besser, denn durch die ausgedehnte Lauflänge hat er die Möglichkeit mit mehr Kampf-Symbolik, mit mehr Konfrontation zu arbeiten und das traditionelle Bild der Männlichkeit noch deutlicher zu skizzieren. Leider gelingt es ihm weniger gut, die Bedeutung der Figur Ferdinand hervorzuheben. Hier geht es mehr um Individualismus an sich, was daran deutlich wird, dass Ferdinand seine Mission hier weniger selbst bestreitet als mit der Hilfe von Freunden. Dadurch wird der Film in seiner Thematisierung natürlich weniger dicht als der Kurzfilm, in dem Ferdinand eher zum Helden wird. Die Heldentat bzw. der Held ist eines der ältesten traditionell geprägten Ideale der Männlichkeit, darum ist es eben so wichtig, dass Ferdinand mit seiner scheinbar nicht männlichen Art zum Helden avanciert.
Die inhaltliche Brisanz geht hier also ein Stück weit verloren, was auch noch durch die Inszenierung des Filmes verstärkt wird. Die 3D-Animationen wirken sehr plastisch, was gar nicht zu der ernsten Geschichte passen möchte. Genauso unangebracht ist die teils zwanghaft und sehr schablonenhaft wirkende Situationskomik, die unbedingt schrill und fröhlich wirken möchte. Wobei man dazu sagen muss, dass diese Vereinfachung in der Form dem Film sicherlich einiges nimmt, den Stoff aber eben auch verträglicher und somit zugänglicher für Kinder macht und sie auf eine angemessene Art und Weise an das Thema heranführt. Carlos Saldanha (Ice Age) macht also aus einer dichten Geschichte einen offenen Appell für mehr Individualität, verpackt das in einen durchschnittlichen Animationsfilm, der mit einfachen Figuren und Pointen daherkommt. So bekommen Charaktere teils nur eine Eigenschaft zugeteilt und Pointen verlaufen nach bekannten Mustern, z.B. sieht man Ferdinand wie er als großer Stier durch Regale mit Porzellan stolpert.
Am Ende bleibt ein Animationsfilm, der sein Publikum finden wird, der versucht sich den Sehgewohnheiten der jüngeren Zuschauer anzupassen, der dadurch aber auch viel von seinen markanten Inhalten verliert. So bleiben moralische Phrasen, dass man zu sich selbst stehen soll, dass man Freunde wertschätzen soll und dass man sich nicht unterkriegen lass soll, die durchaus positiv zu bewerten sind, die man auch nicht oft genug hören kann, die aber auch nicht darüber hinaus gehen, obwohl der zugrunde liegende Stoff eigentlich das Potential dazu hat. Technisch lässt sich kaum etwas bemängeln, die Animationen scheinen perfekt, aber eben zu perfekt, zu plastisch für diesen sehr verträumten und melancholischen Inhalt. Da sollte man doch lieber zu den liebevollen Zeichnungen des Kurzfilmes greifen, der eben weniger angepasst auf ein gewisses Publikum zielt, sondern aus Ferdinand einen ernsthaften Filmcharakter macht.
Fazit
„Ferdinand- Geht stierisch ab!“ ist ein durchschnittlicher Animationsfilm, der mit typischen, sehr einfachen Gags und simplen Figurenzeichnungen daherkommt, der es sich am Ende sehr einfach macht, sich gegen eine Verhandlung der Männlichkeit und für eine einfache individualistische Moral entscheidet. Technisch erscheint er nahezu perfekt, so plastisch dass dem Film ein wenig an Seele verloren geht.
Autor: Maximilian Knade