Kontrovers wurde Extremities bei seiner Premiere 1986 diskutiert. Die einen sahen einen packend-klaustrophobischen Thriller, die anderen ein moralisch fragwürdiges, anstößiges und reißerisches Selbstjustiz-Loblied. Spannend, wenn die Urteile und Wahrnehmungen so auseinandergehen und immer den Versuch wert, sich selbst eine dezidierte Meinung über das Endprodukt zu bilden.
Der Beginn zeigt ein wildes Raubtier auf seinem nächtlichen Streifzug. Scheinbar ohne bestimmtes Ziel, aber mit einem klaren Beuteschema vor Augen. Jung, hübsch, allein und leicht zu überwältigen muss sie sein. Jede könnte es werden, der Zufall und die Begleitumständen lassen Marjorie (Farrah Fawcett, Drei Engel für Charlie) zum unglücklichen Opferlamm werden. Welches sich im entscheidenden Moment jedoch versteht instinktiv zur Wehr zu setzen und ihrem Schicksal nochmal von der Schippe zu springen. Der Albtraum scheint abgewehrt, dabei beginnt er jetzt erst richtig. Von der Justiz im Stich gelassen wird ihr Zuhause bald zum Gefängnis. Das Monster (James Russo, Donnie Brasco) braucht nun keine Maske mehr, denn Marjorie wird diesmal nicht fliehen können und wenn er mit ihr fertig ist auch niemanden etwas verraten. So meint er zumindest und startet seine abscheulich-süffisante Befriedigung aus Demütigung, Gewalt und sexueller Dominanz. Quält sein Opfer auf menschenunwürdige Art und Weise, geilt sich an ihrer Todesangst und Erniedrigung auf, zögert das vermeidlich Unausweichliche genüsslich immer wieder hinaus. Wie den Orgasmus beim Liebesspiel möglichst lange zurückzuhalten. Allerdings unterschätzt er dabei Marjorie, die im rechten Moment zum Gegenschlag ausholt. Und nicht bereit ist, sich erneut auf die Strafverfolgung zu verlassen, deren nachlässige Arbeit sie erst in diese Lage gebracht hat. Feuer mit Feuer bekämpfen, anders scheint es nicht zu gehen.
Drehbuchautor William Mastrosimone (Bestie Krieg) adaptierte sein eigenes, 1982 uraufgeführtes Theaterstück selbst für die große Leinwand, Regie übernahm Robert M. Young (Dominick und Eugene), für den dieser Film seine größte (zumindest seine aussehenderregendste) Arbeit bleiben sollte. Farrah Fawcett übernahm bereits auf der Bühne den Part der Marjorie, womit sie sich eindeutig versuchte von ihrem Image frei zu strampeln. Ihr auch hier die Rolle anzubieten war naheliegend und für alle Beteiligten ein Glücksgriff. Zwar konnte sie dadurch keine bedeutende, zweite Karriere starten und blieb bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 2009 der blonde TV-Engel von einst, konnte sich jedoch auch mal überzeugend von einer ganz anderen Seite präsentieren. Fawcett ist die lebhafte, über die Zeit stattgefundene Identifikation mit der Figur und ihrer extremen Situation in jeder Sekunde anzumerken, verkörpert ihren Part mit authentischer, ungeschönter Intensität. Überraschender ist da sogar die Performance von James Russo, der zuvor nur kleine Rollen in einigen großen Filmen (u.a. Es war einmal in Amerika) vorzuweisen hatte und nach diesem, seinem locker besten Auftritt, zusehend im B- und später C- bis Z-Movie-Bereich durch die Gegend geisterte. Schwer beschäftigt, aber beim Blick auf die Filme ist das nicht als Kompliment zu verstehen. Hier wirkt er frisch, agil, bestialisch-ekelhaft und versteht es auch das später benötigte „Verletzlich“-Manipulative seiner Rolle glaubhaft Ausdruck zu verleihen.
Extremities ist im Prinzip in zwei Hälften mit einem sich komplett wandelnden Täter-Oper/Geschlechter-Modell zu dividieren. In der ersten Hälfte existiert ein „klassisches“ Rollenmuster. Die Frau als schön, begehrenswert, aber auch verletzlich und hilflos dargestellt, während der Mann als triebgesteuertes, dominantes und rücksichtsloses Wesen auftritt. Als Herrscher und „Gewinner“ in dieser Welt. Denn als die Frau sich Hilfe von außen sucht, findet sie sich schnell mit einer subversiven Mitschuld-Assoziation konfrontiert. Auch wenn das nicht die Intension sein mag, es wirkt so auf sie und definiert damit eine durchaus reale Begründung, warum Sexualverbrechen nicht immer zur Anzeige kommen. Scham, falschinterpretierte Schuld, wenig empathische, bürokratisierte Vorgehensweise – in der Regel eine Mischung aus allem. Ein Ohnmachtsgefühl macht sich breit. Fast schlimmer als die Tat an sich: Niemand hilft dir. Das Ganze wird mit einem Erneuern der Situation auf die Spitze getrieben. Diesmal sogar in den eigenen vier Wänden. Völlig hemmungslos und mit dem Ablegen der Anonymität, was eines zwischen den Zeilen und trotzdem unmissverständlich zum Ausdruck bringt: Du kannst mir gar nichts! Ich kann mit dir machen was ich will und wenn es am Ende hart auf hart kommt, hast du dich noch zu rechtfertigen. Grausam, etwas überspitzt, aber grundsätzlich nicht so weit weg von der Realität. Und entscheidend, für das, was dann folgt.
Mit dem Seitenwechsel gerät alles ins Kippen. Nun ist sie am Drücker. Anstatt „das Richtige“ zu tun, den Angreifer einfach nur in Schach zu halten und so zu handeln, wie man es von einem ehrbaren Bürger – oder einer verängstigten Frau im Besonderen - erwartet, haben die Erfahrungen der letzten Woche und speziell der letzten Stunden sie eines Besseren belehrt. Hilfe sucht man sich nicht, man lernt sich selbst zu helfen. Und zwar mit allen Konsequenzen, denn sonst gewinnt das dominante Geschlecht vielleicht doch wieder die Oberhand. Das geschändete Opfer wird zum gnadenlosen Henker und Folterknecht, der einst so starke und sadistische Täter zum winselnden Frettchen, das seine Methoden in dieser Situation radikal ändert. Versucht über Mitleid, Mitgefühl und Unrechtbewusstsein – etwas, was ihm vorher absolut fremd war – nun seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, begünstigt bzw. überhaupt erst ermöglicht durch den Auftritt von Marjorie’s Mitbewohnerinnen, die plötzlich in dieses Szenario geschubst natürlich schockiert über das Dargebotene sind und so den unberührten, neutralen Gegenpol zu der Extreme bilden, in die sich die Situation inzwischen verwandelt hat.