Die damalige Kritik reagierte in ihrer verquälten Abwehrhaltung regelrecht hysterisch auf Das letzte Haus links. Von einem Inferno bestialischer Grausamkeiten ist die Rede gewesen; eine widerliche Brutalitätenshow sollen Wes Craven (The Hills Have Eyes – Hügel der blutigen Augen) und Produzent Sean S. Cunningham (Freitag, der 13.) hier abgeliefert haben. Auf dem deutschen Poster wurde dem Zuschauer ein Thriller versprochen, der die Nerven zersägt. Ein Film, so kompromisslos realistisch, dass man sich immer wieder sagen muss: Es ist nur Kino. Es ist nur Kino. Es ist nur Kino. Unschwer an diesen Aussagen zu erkennen ist, dass Das letzte Haus links einen wunden Punkt angesprochen hat. Er hat auf äußerst unangenehme Art und Weise tiefsitzende Ängste einer Nation verhandelt, die diese doch am liebsten weitergehend totgeschwiegen hätte.
Auf dem Weg zu einem Rockkonzert in New York laufen die zwei Freundinnen Mari (Sandra Peabody) und Phyllis (Lucy Grantham) einer Gruppe aus dem Zuchthaus entflohener Straftäter in die Arme. Das Vorstrafenregister der vierköpfigen Bande, angeführt von Krug (David Hess, Wenn Du krepierst – lebe ich!), ist lang: Rauschgifthandel, Unzucht mit Minderjährigen, Gewaltverbrechen, Vergewaltigung, Mord. Wes Craven lässt in seiner grimmigen Ernsthaftigkeit keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass die beiden Mädchen keine Chance haben werden, den triebgesteuerten, von einem gar viehischen Sadismus angetriebenen Monstern zu entkommen. Sie werden gedemütigt, vergewaltigt, ermordet. Als wäre dieser Umstand an sich nicht schon schrecklich genug, geschieht die Tat direkt im anliegenden Wald von Maris Familie – und weil Krug und Co. aufgrund eines Motorschadens festsitzen, suchen sie ausgerechnet im Elternhaus des Opfers erfolgreich Zuflucht.
Ja, John (Gaylord St. James) und Estelle (Cynthia Carr) erweisen sich gastfreundlich gegenüber den Mördern ihrer Tochter und bieten ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Elternpaar der schrecklichen Wahrheit, die Krug und seine Gefährten in das Haus gebracht haben, ins Gesicht blicken muss. Das letzte Haus links trägt die Angst vor dem gesellschaftlichen Kontrollverlust bis in die heimischen vier Wände. Vom Vietnamkrieg immer mehr zerrüttet, von der Panik vor sexueller Enthemmung verstört, weitet sich im Inneren Amerikas das Klima der sozialen Ohnmacht bis in die Verwahrlosung aus. Wes Craven fängt dieses lähmende Gefühl in abscheulichen Bildern ein und porträtiert Gewalteruption, die sich nach und derart ungeschönt verselbstständigen, dass die Taten der Verbrecher mit denen der rachsüchtigen Eltern alsbald nicht mehr zu unterscheiden sind.
Den Schrecken, den die Protagonisten über sich ergehen lassen müssen, ist hausgemacht. Er ist das Ergebnis jahrelanger moralischer Verwindung, Verdrängung, Verklärung. Wer der Wahrheit nicht in die Augen blicken möchte, muss sich nicht wundern, wenn einem die Wahrheit irgendwann die Augen aussticht, denn das Böse lauert überall. Auch in uns. Wes Cravens stilprägendes Terrorkino ist pur und gnadenlos, urwüchsig und unbehauen, eine fiebrige Aushebelung moralischer Grundsätze, eine Abrechnung mit der selbstgerechten Ignoranz der gutbürgerlichen Mittelklasse. Die überschaubaren Mittel, die der Produktion zur Verfügung stehen, sind dem Film in jeder Sekunde anzusehen, die wirkungsmächtige Rohheit, die aus der schmuddelig-schmucklosen Optik entsteht, treibt die rücksichtslose Bitterkeit des Szenarios jedoch nachhaltig an. Bis heute, wohlgemerkt, denn ätzender hat Craven nie wieder veranschaulicht, wie extrem das Politische in das Private hineingreift.