Inhalt
EXTRAORDINARY TALES ist nicht wirklich ein Animationsfilm – er ist gleich fünf! Fünf verschiedene Geschichten, die auf ganz unterschiedliche Weise animiert, den Horror des amerikanischen Meisterautors Edgar Allan Poe einfangen. Ob die Oscar-nominierten Animationen THE FALL OF THE HOUSE OF USHER und THE TELL-TALE HEART oder der an ein Ölgemälde erinnernde THE MASK OF THE RED DEATH – in der Anthologie entfalten alle Geschichten in ganz virtuosem Stil ihren eigenen Zauber. Dabei dienen Genregrößen wie Sir Christopher Lee und Bela Lugosi als Erzähler.
Kritik
Fünf fantastische Geschichten des berühmten Dichters Edgar Allan Poe neu aufgearbeitet, in fünf verschiedenen visuellen Darstellungsweisen dargeboten und unterlegt mit den grandiosen Stimmen von unter Anderem Sir Christopher Lee und Horrorlegende Bela Lugosi. Kann es ein sympathischeres und faszinierenderes Konzept für einen düsteren Animationsfilm geben? Hinzu kommt ein wirklich bemerkenswertes Bemühen der Verantwortlichen den mystischen Märchen des Altmeisters gerecht zu werden und sie nicht in irgendeiner forciert wirkenden modernen Form neu aufzuarbeiten. Da besteht natürlich die Gefahr, dass sich beim Zuschauer irgendwann Langeweile einstellt (vorausgesetzt natürlich dieser ist mit den Werken Poes vertraut, aber die meisten Interessenten werden dies wohl sein), doch „Extraordinary Tales“ kompensiert diesen Mangel an inhaltlicher Überraschung mit bemerkenswert viel Liebe zum Detail sowie einer herausragenden audiovisuellen Inszenierung.
Umrahmt werden die fünf Geschichten dabei von immer wiederkehrenden Intermezzos zwischen dem Tod und Autor Poe selbst (der hier als Rabe dargestellt wird). Die Idee hinter diesen Zwischenspielen ist durchaus interessant, verweben diese doch ein paar schöne Dialoge über Poes Faszination mit dem Lebensende sowie seiner Biographie. „Extraordinary Tales“ erreicht hier fast schon den Status einer psychoanalytischen Poe-Studie, endgültig funktionieren will das aber nicht. Für einen wirklichen Einblick in den Geist des Schreiberlings sind die Momente zu kurz und nichtssagend, sodass sie sich, vor allem gegen Ende, wirklich nur wie Überleitungen zur nächsten Geschichte anfühlen, ohne dabei etwas Eigenes erzählen zu können.
Doch dies ist natürlich nicht das Hauptaugenmerk des Films, das sind natürlich die fünf, aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit famos ausgewählten, Geschichten. Dem Team um Raul Garcia muss hier ein großes Lob ausgesprochen werden, zu Groß war doch die Gefahr, die alten Geschichten ohne echten Aufwand auf die Leinwand zu werfen und nur mit großen Namen zu protzen. Aber neben den wirklich hervorragend gesprochenen Narrationen (nur Guillermo Del Toro fällt ein klein bisschen ab), besticht der Film eben auch durch andere Aspekte. Zum Beispiel seine einnehmende Visualität. In jede der fünf verschiedenen Animationsstile wurde viel Nachdenken und Mühe gesteckt. Ob nun der wunderschöne Ölgemäldenstil von „The Masque of the Red Death“, der düstere "Sin-City"-Stil von „The Telltale Heart“ oder die interessante Videogameatmosphäre von „The Pit and the Pendulum“. Das ist alles nicht nur Show, sondern besitzt wirklich einen tieferen Sinn, einen Mehrwert für die Geschichte. Auch die Musik muss in diesem Zuge gelobt werden, sind die orchestralen Arrangements von Sergio de la Puente doch einfach fabelhaft. Der Zuschauer fühlt sich hier wirklich wie in einem Märchen und ob nun schauerlich und pompös, die Musik überzeugt auf sämtlichen Ebenen und reißt den Zuschauer in die faszinierende Welt des Edgar Allan Poe.
Zu detailliert will die Kritik aber nicht auf die einzelnen Episoden eingehen, das soll eine Überraschung bleiben. Nur soviel: Am Ende ist es wohl die „The Telltale Heart“-Geschichte, die am meisten überzeugt. Das liegt zum Einen am wunderschönen und erstaunlich passenden Stil, als auch an der Stimme von Bela Lugosi, der dies vor über einem halben Jahrhundert aufnahm. Natürlich bleibt dabei die Tonqualität weit hinter den anderen zurück, gerade dieser Umstand verleiht „Telltale Heart“ im Pool der Geschichten aber seine Einzigartigkeit. Sowieso muss gelobt werden, dass die Geschichten mit ihren 10 bis 15 Minuten niemals wirklich zu lang geraten sind. Da macht es dann auch nichts, dass „The Masque of the red Death“ als Abschluss etwas abfällt (die Verfilmbarkeit dieser Geschichte war aber sowieso ein schwerer Akt), dass der Rahmen nicht ganz funktionieren will und dass die Märchenfahrt nach 70 Minuten auch schon wieder vorbei ist. Eine fantastische Zeit kann man mit dieser audiovisuellen Neuaufbereitung der Werke Poes nämlich durch und durch haben.
Fazit
Jedem Zuschauer, der dem Konzept von „Extraordinary Tales“ etwas abgewinnen kann, sei diese visuelle Neuinszenierung von Poes Werken durchaus ans Herz gelegt. Zwar mag der Rahmen, der um die Geschichten gespannt wird, nicht ganz funktionieren, allerdings wurde hier mit so viel Liebe fürs Detail gearbeitet, dass man diese Versäumnisse ohne Probleme verzeiht. „Extraordinary Tales“ strotzt mit seinen großartigen Sprechern, der einnehmenden Visualität und dem hervorragenden Soundtrack einfach vor Sympathie. Dieses düstere Abenteuer sollte man sich als Freund von Edgar Allan Poe also nicht entgehen lassen.
Autor: Thomas Söcker