MB-Kritik

Ex Shaman 2018

Documentary

Perpera Suruí

Inhalt

Seit ihrem ersten Kontakt mit der westlichen Welt im Jahr 1969 sind die im Amazonasbecken lebenden indigenen Paiter Suruí weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt. Smartphones, Gas, Elektrizität, Medikamente, Waffen und soziale Medien ersetzen ihre traditionellen Lebensgewohnheiten. Krankheiten gefährden die Gemeinschaft, die sich immer weniger von der Modernisierung durch die Weißen und der Macht der Kirche abgrenzen kann. Ein Ethnozid droht ihre Seelen zu zerstören. Perpera, ein christianisierter ehemaliger Schamane, sucht mit selbstbestimmter Beharrlichkeit nach einem Weg, die ursprüngliche Vitalität seines Dorfes zu retten.

Kritik

Missionarische Intentionen stehen in einem kritischen Licht in Luiz Bolognesis (Chega de Saudade) dokumentarischer Exkursion ins Amazonasbecken. Dann jedenfalls, wenn es nicht seine eigenen sind. Bevor seine Dokumentation dem Publikum einen oberflächlichen Blick auf den Kulturkonflikt der Ureinwohner erlaubt, richtet der Regisseur die Perspektive dieses Blickes aus. Eine Texttafel interpretiert den Begriff Ethnozid nach Bartholomé Clavero, der ihn vom Genozid als physischen Angriff abgrenzte. Ethnozid betrachtet Bolognesi als einen Mord an der Seele. Doch die gewichtig tönende Einleitung bagatellisiert nicht nur die konkreten Verbrechen gegen Brasiliens Ureinwohner im Zuge der Kolonialisierung, sie verschiebt eine reale ideologische Indoktrinierung ins Reich der Einbildung: Was keinen sterblichen Körper hat, kann nicht ermordet werden. Mehr noch: Es lässt sich nicht etwas auslöschen, das nicht existiert. 

Aus dem spezifischen Blickwinkel, den die Inszenierung vorgibt, erscheint der Überlebenskampf der Paiter Suruí lediglich als Hintergrundkolorit des persönlichen Ringens eines Mannes. Dieser Mann ist Perpera, den Bolognesi zu einer Art Hauptprotagonisten seiner erzählerischen Reportage macht. Der Titelcharakter war früher ein Schamane der Paiter, die erstmals 1969 während des Baus der Transamazonica intensiv mit der westlichen Kultur in Berührung kamen. Für den Stamm hatte der Einbruch der modernen Zivilisation in ihr Gebiet grausame Folgen. Über 90 Prozent des Volkes ging an Krankheiten, Drogen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Holzfällern und Farmern zugrunde. Bis heute prägen die sozialen Auswirkungen des für die Urbevölkerung Zeitwende gleichkommenden Umbruchs das Leben der Wenigen, die den Kampf gegen die Übermacht nicht aufgegeben haben. 

Auf historische Einordnung wird genauso verzichtet wie auf Informationen zu unklaren Szenen, wie der einer Frau, die Medikamente an Ureinwohner ausgibt. Ist die Versorgung eine notwendige Hilfsmaßnahme oder eine Marktstrategie, um pharmazeutische Abhängigkeit zu schaffen? Eine Bekannte Perperas liegt nach einem Schlangenbiss im Krankenhaus. Ihre Angehörigen halten nach seinem Rat eine Fastenzeit ein, damit sie gesund wird. Trotz ihrer Aussichtslosigkeit erscheinen solche spirituellen Heilpraktiken als positive Alternative zu moderner Wissenschaft. Mit begründeter Skepsis beobachtet die Kamera die christliche Doktrin, die den Ureinwohner in einer Kirchenschule eingetrichtert wird. Dabei verrät auch der Vortext des Films ein christlich-spirituelles Weltbild. Fortschritt ist nicht zwangsläufig zerstörerisch, kommt er im Einklang mit Aufklärung. Doch daran scheint die Doku kaum interessiert.

Fazit

Auf den ersten Blick scheint die ambivalente Reportage auf die erzählerische Kraft ihrer Bilder zu vertrauen. Tatsächlich jedochist der filmische Fokus ein stark verengter, der den durchsystematisch eingesetzte ideologische Kontrastszenen verklärten Seelenkampf eines Einzelnen zeigt. Obwohl die Aufnahmen vereinzelt faszinierende Eindrücke von der überlieferten Lebensweise derPaiter geben, überwiegt das Misstrauen gegen das zu stark seiner dramatischen Narration verschriebene Projekt.

Autor: Lida Bach
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.