Inhalt
Esel Eo kennt nur das Leben in einem Wanderzirkus, bevor er eine Reise durch Polen und Italien antritt. Still beobachtet er die Torheiten und Triumphe der Erdbewohner, während ihm gleichermaßen Grausamkeit wie Freundlichkeit zuteilwerden. Ihm begegnen Menschen, die ihn unterstützen oder im Weg stehen, darunter ein junger italienischer Priester (Lorenzo Zurzolo), eine Gräfin (Isabelle Huppert) und eine polnische Fußballmannschaft.
Kritik
Einer der weniger philosophischen Gedanken, den Jerzy Skolimowskis (Vier Nächte mit Anna) feinfühlige Fabel anregt, ist, wie viel existenzialistische Bedeutsamkeit in der herzzerreißenden Handlung steckt und wie viel nur Publikumsprojektion ist. Doch statt der Frage nach der Substanz ihrer mäandernden Metapher auszuweichen, rücken der polnische Regisseur und seine Co-Drehbuchautorin Ewa Piaskowskas (Bevor es Nacht wird) sie immer wieder ins Zentrum einer einfühlsamen Erkundung des Fühlens und Erlebens eines Lasttiers. Dessen lautmalerischer Name wird zum titelgebenden Synonym des beschränkten menschlichen Verständnisses unendlicher verschlungener Lebenswege.
Im Grunde erfassen die junge Zirkuskünstlerin Kasandra (Sandra Drzymalska, The Woods), die mit fürsorglicher Zuneigung an ihrem vierbeinigen Showpartner Eo hängt, die Tierschützer, die den gutmütigen Esel aus dem bankrotten Zirkusbetrieb vermeintlich retten, die Leitung des Therapiehofs, der ihn als Reittier für Kinder einsetzt, die frustrierten Fußballfans, die ihn fast totschlagen, und der Lastwagenfahrer, der Eo einem scheinbar gewissen Schicksal zuführt, die Zufälle und äußeren Einflüsse, die ihre Laufbahn verändern und Entscheidungsmacht untergraben, genauso wenig wie Eo.
Die Grenzen individueller Autonomie, die fundamentalen Auswirkungen gleichgültiger Handlungen auf Unbeteiligte, der fließende Übergang zwischen Gut und Böse und die Unbeständigkeit scheinbar statischer Zustände im Guten wie im Schlechten sind die bestimmenden Themen der in ihrer formellen Schlichtheit bestechend ausdrucksstarken Handlung. Experimentelle Einschübe akzentuieren immer wieder Eos subjektiven Blick auf die naturalistischen Episoden. Darin sind Erleben und Erlebnisse der wortlosen Kreaturen weit überzeugender inszeniert als die menschlichen Figuren, die blind sind für Eos stilles Drama.
Fazit
Angelehnt an Robert Bressons Au hasard Balthazar verwebt Jerzy Skolimowski Tiefsinn, Trivialität und Träumerei zu einer tragikomischen Tiergeschichte, die ohne fehlgeleitete Vermenschlichung um Mitgefühl und Respekt für nichtmenschliche Individuen wie den Titelcharakter wirbt. Dank symbolstarker Kamerabilder und eindrucksvoller Tierarbeit berührt die Odyssee Esel Eos, die von einem polnischen Wanderzirkus bis in ein italienisches Adelsanwesen führt, zugleich als tierische Tragödie von melancholischer Märchenhaftigkeit und universelle Parabel, durchzogen von dezenter Kritik an Religion, Umweltzerstörung und politischer Radikalisierung.
Autor: Lida Bach