Inhalt
In einer aufstrebenden saudi-arabischen Stadt, weit entfernt vom erschöpften, von der Rezession gebeutelten Amerika, unternimmt der strauchelnde Geschäftsmann Alan Clay den letzten Versuch, seinen Bankrott zu verhindern, die Collegegebühren seiner Tochter zu zahlen und endlich etwas Großes zu vollbringen.
Kritik
Warten auf W-LAN und Königsaudienzen
Eine mangelhafte bis nicht-existente Internetverbindung und ein Mittagessen, das nicht im Service inbegriffen ist, sondern umständlich beim Hotel bestellt werden muss. Dazu eine ordentliche Portion Hitzewellen, ein striktes Alkoholverbot und die dringende, aufgrund der herrschenden Konventionen in keinem Fall abzulehnende Bitte, den Sportwagen eines Geschäftsmannes für eine Probefahrt auf Hochtouren zu bringen. Das sind die wahren Konflikte des Lebens, wie sie dem normalen Menschen alltäglich begegnen und die es wert sind, in einem teuer produzierten Kinofilm als Verzweiflungsszenarien verarbeitet zu werden. Nicht nur im Hinblick auf die Konfrontationskurse der Charaktere, sei das Ziel ein Mitmensch oder ein reelles Problem, wirft der neue Film des deutschen Regisseurs Tom Tykwer einige Fragen auf.
Das Drama Ein Hologramm für den König ist eine deutsch-amerikanische Co-Produktion, bei der Tykwer neben dem Regieposten auch die Rolle des Drehbuchautors übernahm, indem er den gleichnamigen Roman von Dave Eggers (der momentan mit seinem dystopischen Roman „The Circle” in vieler Munde ist) adaptierte. Resultierend aus einer scheinbar beiderseitig als fruchtbar wahrgenommenen Zusammenarbeit besetzte er die Hauptrolle erneut mit Tom Hanks, der auch schon in Tykwers letztem Film Cloud Atlas einen wichtigen Part übernahm. Ben Wishaw, bekannt aus Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders, ist ebenfalls in einer Minirolle wieder mit von der Partie.
Ein amerikanischer IT-Geschäftsmann bringt so viele Meilen wie möglich zwischen sich und das von der Rezession gebeutelte Amerika, um wieder Fuß zu fassen und seiner Tochter weiterhin das Studium finanzieren zu können. Er landet in einem Land, das in einem scheinbar unüberwindbaren Zwiespalt lebt. Neben Tradition und jahrhundertealter Kultur besteht der starke Wille nach sofortigem Fortschritt und dem Einzug ins Zeitalter der Moderne. Diese spannungsgeladene Diskrepanz erzeugt zum Teil absurde Zustände, die sich im gigantischen Gefälle zwischen Arm und Reich und einer inneren Unentschlossenheit der Menschen ausdrücken. In Anbetracht dieser kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, die mit Alan Clay auf ein leicht depressives, orientierungsloses Ausschussprodukt der westlichen Welt niederprasseln, wäre eine gehaltvolle Grundlage für einen in der Erinnerung bleibenden Film gegeben. In vielerlei Hinsicht verpasst Ein Hologramm für den König jedoch die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, stattdessen bewegt er sich vorzugsweise im sicheren Gewässer eines Wohlfühlfilms.
Abgesehen von den leicht misslungenen Effekten in den ersten Sekunden, bietet der Film geradezu perfekt produzierte, flüssige Bilderreigen, die in fast zu makellosen Aufnahmen gelbkörnige Wüstenlandschaften, menschenleere Königspaläste und farbenfrohe Unterwasserwelten auf die Leinwand bannen. Die Fassadenwischerei der Hochglanzoptik überträgt sich auch auf die Dialoge und Charakterzeichnungen des Films. Trotz der teilweise ausgedehnten verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Charakteren, die vermeintlich genug Zeit bieten, um den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen, will der Funke einfach nicht überspringen. Da wirkt auch Alan Clays Erzählung eines Kindheitserlebnisses, das aus einer gemeinsamen Campingtour mit dem Vater in die unwegsamen Tiefen eines Waldes besteht, alles andere als rührend, was die Tränenreaktion seiner Ärztin (gespielt von Sarita Choudhury) nicht glaubwürdiger macht. Selbst in seinem E-Mail-Austausch mit seiner Tochter werden abgedroschene emotionale Phrasen einer facettenreichen Figureneinsicht vorgezogen.
Lediglich in zaghaften Ansätzen demonstriert der Film Einfühlungsvermögen in seine Charaktere und ein Verständnis für die kulturellen und gesellschaftlichen Konflikte des Landes. Wenn Clay mit einem orangenen Sportwagen an den Sand von der Straße fegenden Bauarbeitern vorbei vor die Tür eines sich im Bau befindenden Wohnblocks fährt, in einem Stockwerk zwischen den unfertigen Mauern einen Blick auf die leidende, von Armut gebeutelte Unterschicht wirft und ein Stockwerk höher in die luxuriös eingerichtete Musterwohnung des Wohnkomplexes eintritt. Dann bekommt man eine flüchtige Ahnung von den Gegebenheiten in einem Land wie Saudi-Arabien. Weitere Anspielungen, nicht selten von klischeehafter Natur, werden wiederum in humorige Dialoge verpackt. So fürchtet sich Hassan (Dhaffer L´Abidine), der Taxifahrer und zwangsläufig treue Freund Clays, vor einem Bombenanschlag des Mannes, mit dessen Frau er eine Affäre hat. Auf diese Weise gelingt es dem Film, dem Zuschauer hin und wieder ein müdes Lächeln zu entringen, wohingegen ein Überraschungsmoment Wunder bewirkt hätte.
Der Film basiert merklich auf einem Buch, das aufgrund der Vorzüge seines Mediums die Thematik wesentlich geschickter verarbeiten kann. So werden die bereits erwähnten Konflikte im Film nur oberflächlich umrissen und entbehren dabei an Realismus. Sie wirken auf den Zuschauer wie Lappalien, denn die komplexe Absurdität der Situation, in der sich Alan Clay befindet, kann nicht transportiert werden. Was dem Buch durch erzählerische Kraft und emotionale Detailliertheit mit Leichtigkeit glückt, wird der Verfilmung zum Verhängnis. Statt die Richtung einer ernstzunehmenden Charakter- und Gesellschaftsstudie einzuschlagen, driftet Tykwers Werk in die weiten Gefilde der Feel-Good-Komödien ab.
Im vorbeischwebenden Ablauf der Geschichte fällt die eigentliche Intention des Films weitestgehend unter den Tisch. Alan Clay lernt in der Zeit, die er mit Warten auf die Ankunft des Königs verbringt, zwar dazu und schafft es, sich von einigen ungesunden Verhaltens- und Denkmustern zu befreien, doch die letztendlich resultierende offene und gereinigte Haltung der Figur ist nicht ganz nachvollziehbar. Aufgrund der belanglosen Konflikte und der unterhaltsamen Bilderbeschau fällt dieser Umstand am Ende auch gar nicht mehr auf. Und dies kann dem Film durchaus angerechnet werden: durch seine sympathische Komposition von Figuren, Szenen und Settings versteht er es, auf seiner individuellen Ebene Stärke zu demonstrieren und den eigenen Anspruch ehrlich auf bescheidenem Niveau zu halten.
Fazit
Tykwer beschreitet mit seinem neuen Werk „Ein Hologramm für den König“ den Weg eines erfolgreichen deutschen Regisseurs, der sich in Hollywood zu etablieren gedenkt und mit bewährten Mustern gefallen will. Was dem Film an inhaltlicher Dringlichkeit und Aussagekraft an allen Ecken und Enden fehlt, versucht er mit einwandfreien Bildern, soliden Schauspielleistungen und einem kläglich aufzuckenden Humor wettzumachen. Wer Tom Hanks schon immer gerne mal in der Disco sehen wollte oder eine besondere Vorliebe für Unterwasserküsse auf der Kinoleinwand hat, sollte sich diesen risikoumschiffenden Wellness-Film nicht entgehen lassen.
Autor: Jonas Göken