„Wir bauen Autobahnen, sind aber meilenweit entfernt von aufgeklärten Denkweisen.“
Lucio Fulci (Ein Zombie hing am Glockenseil) wurde nach Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies zu einem der Horror- und Splatterkönige Italiens gekrönt, dem Ruf wurde er danach mehr oder weniger auch gerecht. Davor war er nicht nur darauf festgelegt, pendelte eher zwischen den Genres, was z.B. der kaum zu klassifizierende Die Nackte und der Kardinal oder auch dieser Giallo-Sonderling Don’t Torture a Duckling nachhaltig belegen. Auch wenn seinen surrealen Spektakeln wie z.B. Über dem Jenseits oder dem brachialen Giallo-Spätwerk Der New York Ripper (der sich mit seinem Donald-Duck-Killer auch auf diesen Film anspielt) die spezifischen Qualitäten nicht abzusprechen sind, Don’t Torture a Duckling ist gerade wegen seiner noch nicht festgelegten und experimentellen Variation aus Genre-Einerlei und narrativen Bemühungen noch deutlich interessanter, wie trotz deutlicher Hinweise nie richtig vorhersehbar…und nicht nur deshalb zwingend empfehlenswert.
Eine verstörte Frau gräbt mit bloßen Händen das verrottete Skelett eines Säuglings aus, während nur knapp daneben kleine Jungs spielen bzw. die Schnellstraße die moderne Zivilisation von der suburbanen, traditionellen Struktur italienischer Dörfer trennt, wie eine unüberwindbare, nicht reale Mauer. Während abseits das Leben im Eiltempo voran braust, stehen hier die Uhren still oder laufen sogar rückwärts, wenn die intime Ruhe durch die brutale Realität aufgerüttelt wird. Ein toter Junge, eine chaotische Lösegeldforderung, eine einfache Verhaftung und doch erst der Anfang einer traumatischen Blutspur, einer primitiven - im wahrsten Sinne des Wortes – Hexenjagd, bei der Fulci erstaunlich clever, geduldig die Zügel in der Hand behält und (noch) nicht dem Druck unterworfen ist, bestimmte Erwartungshaltungen zu erfüllen. Das geschah später wohl auch mehr oder weniger aus einer natürlichen Entwicklung, aber genau deshalb ist ein kreativer Beinah-Giallo wie Don’t Torture a Duckling wesentlich spannender. Da er das Genre nur zum Teil bedient, sich noch nicht dogmatisch vor ihm bückt, mit den Zutaten spielt und dadurch viel besser funktioniert als diverse Nachzügler. Und darüber hinaus sogar über einen gesellschaftskritischen Hintergrund verfügt, den man so nicht unbedingt erwarten muss.
Statt stilisierter Morde und möglich drastischer Gewalteruptionen – für die Fulci später berühmt und berüchtigt wurde – bezieht dieser Film seinen Reiz deutlicher aus der Geschichte und der gewählten Logistik, abseits der „modernen“ Welt, aus der nur drogensüchtige Huren notgedrungen zurückkehren. Hier ist alles solange (augenscheinlich) in Ordnung, bis eben diese schmutzige Heimkehrerin, der debile Dorftrottel und die Voodoo-Hexe als mögliche Täter einer grausigen Mordserie an Kindern in Frage kommen. Der Akt des Tötens, die physische Brutalität steht kaum direkt im Fokus des Regisseurs. Die Thematik ermordeter Kinder ist schon grausam genug und muss nicht durch intensiven Gore noch betont werden. Selten geht Fulci ans Eingemachte (besonders jedoch in einer Szene, als er seinen aufgeheizten Dorf-Mob rabiat wüten lässt), sein Whodunit-Krimi besticht dafür besonders durch sein Flair und den subversiven Blick hinter die Kulissen eines süditalienischen Dorfes, in dem klare Machtgefüge- und Missbräuche, traditionelle Anti-Werte noch groß geschrieben werden. Die Situation lässt das Böse zum Vorschein kommen, das totgeschwiegen, verheimlicht oder doch unbemerkt unter der vermeidlich heilen Oberfläche schlummert.
Wie schon Die Nackte und der Kardinal ist Don’t Torture a Duckling genauso ätzendes Sittengemälde wie Genrefilm, legt hier den Finger nur noch tiefer in die Wunde, da wir uns nicht im düsteren Mittelalter befinden. Traditionen, althergebrachte Lebensweisen und eingeschworene, soziale Strukturen müssen nicht zwingend etwas Schlechtes sein, könne jedoch immense Gefahren beinhalten, wenn auf ihnen begründet nichts hinterfragt oder in Frage gestellt werden darf. Besonders gewisse Institutionen und Schichten, die auch heute noch eine große Rolle (nicht nur im ländlichen Italien) einnehmen. Fulci gelingt es mit seinem inhaltlich vielleicht besten und unangenehmsten Film ein nachhaltig ungutes Gefühl zu installieren, da er sich mehr der Realität annimmt als die meisten seiner Arbeiten und zu einem nicht geringen Grat auch als grimmige Gesellschaftsstudie verstanden werden kann. Wenn nicht sogar sollte.