Inhalt
Seit frühester Kindheit träumt Zahia Ziouani (Oulaya Amamra) davon, Dirigentin zu werden. Die hochbegabte Musikerin begeistert sich leidenschaftlich für die großen Orchesterklänge. Als Tochter einer algerischen Einwandererfamilie aus der Banlieu scheint dieses Ziel jedoch unerreichbar. Die Welt der klassischen Musik ist elitär und männerdominiert. Um sich am Dirigentenpult zu behaupten, braucht es neben herausragender Begabung mindestens genau so viel Mut und Ausdauer. So beginnt sie ein unglaubliches Vorhaben – die Gründung ihres eigenen Ensembles: Divertimento – ein Orchester für alle. 17 Jahre alt sind Zahia und ihre Zwillingsschwester, die begnadete Cellistin Fettouma (Lina El Arabi), als sie die Abschlussklasse des renommierten Lycée Racine besuchen. Musik ist ihr Leben und ihre größte Leidenschaft; eine Liebe, die sie mit ihrer ganzen Familie teilen. Ihre Eltern unterstützen sie mit aller Kraft bei ihrem Traum von einer professionellen Musikerinnenlaufbahn. Doch am stickig-elitären Pariser Konservatorium herrscht hoher Konkurrenzdruck. Undenkbar, dass eine junge Frau mit algerischen Wurzeln ein Sinfonieorchester leiten soll! Als Stardirigent Sergiu Celibidache (Niels Arestruo) sie wegen ihrer enormen natürlichen Begabung in seine Meisterklasse aufnimmt, findet sie in ihm schließlich einen inspirierenden, wenn auch nicht gerade zimperlichen Mentor. Um vorherrschende Schranken innerhalb der Welt klassischer Musik zu überwinden, gründet sie gemeinsam mit ihrer Schwester ein eigenes Orchester. Ihre Vision: eine Brücke über die Kluft aller Vorurteile zu bauen und junge Talente aus allen Bereichen zu gewinnen, egal ob man aus Paris‘ schickstem Viertel oder aus der verrufenen Banlieu stammt. Damit beginnt eine Erfolgsgeschichte, die nicht mehr zu stoppen ist.
Kritik
Im hochgelobten und für einige Oscars nominierten Tár spielte Cate Blanchett (Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels) die titelgebende Musikerin und gab uns einen Blick frei auf die Welt der Dirigenten und Dirigentinnen. Letztere sind Betrieb der klassischen Musik klar in der Minderheit. Einige haben es geschafft, sich gegen das Patriarchat der Szene durchzusetzen, dazu zählt auch die Französin Zahia Ziouani. Die Tochter algerischer Einwanderer boxte sich durch und musste sich immer wieder behaupten. Davon erzählt nun das Drama Divertimento - Ein Orchester für allevon Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar(Der Himmel wird warten), die für ihren Film auf eine überzeugende Besetzung zurückgreifen kann, die einige Drehbuchschwächen locker ausgleichen können.
Zu diesen Schwächen gehört eine nicht immer saubere Präzision, was die Dramaturgie angeht. Neben Zahia Ziouani (Oulaya Amamra, Smoking Causes Coughing) versucht die Geschichte auch ihrer Zwillingsschwester zu folgen, der Cellistin Fettouma Ziouani(Lina El Arabi, Besties) und packt obendrauf noch Themen wie Diversität, kulturelle sowie gesellschaftliche Unterschiede, eine kurze Vater-Sohn-Episode und natürlich spielt die Leidenschaft zur Musik auch eine enorm große Rolle. Das alles bekommt Regisseurin und Co-Autorin Marie-Castille Mention-Schaar recht solide unter einen Hut, aber durch die reine Masse alleine fühlt sich Divertimento - Ein Orchester für alleimmer ein wenig zu voll und überladen an. Auch der Versuch, die klassische Musik vom Mief des Elitären zu befreien, funktioniert nur so halbwegs. Dafür ist der Film, wenn es um sein rein musikalisches Themengebiet geht, dann doch immer ein wenig zu selbstverliebt und lässt keinen Raum für anderen Ansichten zu.
Wobei es schon etwas Schönes hat, wenn Niels Arestrup(Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit) als Maestro Sergiu Celibidacheimpulsiv über Klang und Tempo schwadroniert und man selbst im Kinosessel sitzt und sich fragt, was der ganze Heckmeck jetzt soll. Das eben Gehörte war doch gut, oder? Aber so ist es eben, wenn mal als Zuschauer in eine (für sich) eher fremdartige Welt abtauchen soll. Marie-Castille Mention-Schaarversucht diese Reise so gut es geht und für alle verständlich zu machen – ganz im Gegenteil zu Tár. Nett und sehr lieb gemeint, aber dadurch fehlt dem Drama ein wenig das energetische, was an einem zieht und einen nicht mehr loslässt. Am Ende des Films weiß man ein wenig mehr über Musik, den harten Kampf von Zahia Ziouaniim Haifischbecken der klassischen Musik und weiß den Bolero vielleicht ein wenig mehr wertzuschätzen, aber ob wirklich etwas hängen bleibt? Dafür ist Divertimento - Ein Orchester für alledann doch zu zahm, zu brav, zu angepasst und zu bieder. Es ist ein wirklich guter Song, aber keine herausragende Symphonie. Das ist aber auch schon eine Menge wert.
Fazit
Eine vielversprechende und funktionelle (wahre) Geschichte kann "Divertimento - Ein Orchester für alle" sein Eigen nennen und auch die Mission, die Attraktivität und menschliche wie gesellschaftliche Vielseitigkeit der Musik zu offenbaren, verfolgt Regisseurin und Co-Autorin Marie-Castille Mention-Schaar äußerst wirksam. Was aber fehlt, ist Schwung, die Kraft einen mitzuziehen, selbst dann, wenn man keinerlei Berührungspunkte mit Klassik oder den Ziouani-Schwestern hat.
Autor: Sebastian Groß