Inhalt
Zwanzig Jahre nach ihrem Erfolg mit der Rolle der jungen Sigrid, die die ältere Helena fasziniert und in den Selbstmord treibt, wird Maria Enders auf dem Höhepunkt ihrer internationalen Karriere erneut mit diesem Stück konfrontiert, diesmal jedoch aus dem Blickwinkel ihres damaligen Gegenparts. Wird sie sich darauf einlassen, ihrerseits das Opfer zu sein? Ist sie bereit, sich Zweifeln, Fragen und auch Unsicherheiten zu stellen, die mit dem reiferen Alter einhergehen und denen sie sich bisher entzogen hatte?
Kritik
Das schleichende Altern ist eine schreckliche Sache. Einst noch jung und schön, von allen begehrt und bewundert, verwandelt man sich im Laufe der Zeit zu einer verfallenen Parodie auf sich selbst, man verlernt sich mit Neuem auseinanderzusetzen und schwelgt ewig in den Erinnerungen an das damalige, “bessere” Ich. Aber ist es wirklich so schlimm? Und: Versteht die heutige Jugend wirklich nichts mehr von wahrer Kunst, oder ist das nur der eigene, verschleierte und abschätzige Blick, den man jüngeren Menschen entgegenwirft, weil sie das sind, was man selbst nicht mehr sein kann? Mit solcherlei Fragen beschäftigt sich Olivier Assayas ("Carlos - Der Schakal") neuer Film “Die Wolken von Sils Maria” und wirft die alternde Schauspielerin Maria Enders mitten in die Neuproduktion des Stückes “Maloja Snake”, mit dem sie im Alter von 18 Jahren berühmt geworden ist. Doch leider bleibt “Sils Maria” trotz guter Inszenierung und großartigen Schauspielern viel zu oft nur zwischen den theoretischen Fronten und beweist kaum einmal den Mut eine eigene These über den Generationenkonflikt und die Frage nach der Kunst zu formulieren, was den Ausgang des Films schlichtweg unbefriedigend macht.
Gemeinsam mit ihrer jungen und hippen Assistentin Val begibt sich Maria nach Sils Maria um dort für ihre neue Rolle zu proben. Abgeschieden in den Bergen, in denen sich einst auch Nietzsche sehr wohl fühlte, zelebriert Assayas seinen Generationenkonflikt in enormem Ausmaß, legt Val (Kristen Stewart) und Maria (Juliette Binoche) immer wieder scharfe und schnelle Dialoge in den Mund und lässt diese aufeinander abfeuern. Denn Maria muss sich mit der grausamen Tatsache auseinandersetzen, dass sie im (fiktiven) Theaterstück “Maloja Snake” nicht mehr wie damals die junge und rebellische Sigrid spielen darf, sondern sich nun mit der schwachen und alternden Helena auseinandersetzen soll, die Sigrid verfällt und in den Selbstmord getrieben wird.
Das Stück “Maloja Snake” wird damit zum eigentlichen Subtext des Films, ist die Metapher für Marias Kampf mit sich selbst und wird als solches auch sehr ausführlich zelebriert. Sowohl die fiktive Figur der Sigrid, als auch ihre Assistentin Val werden zum ewigen, jugendlichen Gegenpart der Schauspielerin und unterstreichen auf der Bühne, wie auch in der Realität, das, was Maria verloren hat. Helenas Kampf gegen die Liebe, die sie zu ihrem jüngeren Ich Sigrid empfindet, mit der sie sich sogar vereint hat und dies nicht mehr missen möchte, ist ein plakatives Symbol für Marias Angst vor dem Alt-werden, davor der modernen Welt, von der sie nur wenig weiß, entwachsen zu sein. In unzähligen Einzelszenen wird dem Zuschauer dieser Aspekt immer wieder eingehämmert und so diskussionswürdig er auch sein mag, nutzen sich die Dialoge und das Metathema des Films im Laufe der Zeit leider sehr schnell ab. Ebenso wie manche Figuren. Stewarts Valentine zum Beispiel. Diese wird durch eben jene Herangehensweise nur zum zweckmäßigen Gegenpart,eine Repräsentantin der modernen Zeit, die sich mit Mutantenfilmen identifizieren kann und Gefallen an den Skandalen der Promis findet, aber wenig eigenen Charakter besitzt. Dass die Beziehung der beiden Frauen dabei dennoch überzeugt, liegt am sehr realistischen Spiel der Schauspielerinnen, sowie den meist lebensechten Dialogen.
Am großen Problem des Films täuscht dies dennoch nicht vorbei: Da dudelt die klassische Musik penetrant im Hintergrund, ohne einen Mehrwert zu erbringen oder wird den Darstellern ausschweifend beim Essen, Trinken und Quatschen zugesehen, ohne dass dies zu einem Ergebnis führt. Ein jeder will sich über den anderen erheben, Machtspiele werden untereinander und mit sich selbst ausgetragen und dennoch wirkt dies alles nie kritisch, nie wie eine Demaskierung der reichen Oberschicht, sondern eher wie eine Zelebrierung des abgehobenen Lebensstandards eines Filmstars. Und das ohne eine gehörige Portion Ironie, wie es zum Beispiel das Exzess-Feuerwerk "The Wolf of Wall Street" tat. Viele Plotpoints bleiben so einfach im Dunkeln, werden mittendrinnen fallen gelassen oder sind Randnotizen, eine wirkliche Aussage hat der Film am Ende nicht, außer das man sich mit dem "In die Jahre kommen" scheinbar abfinden muss. Und das ist für einen 124-minütigen Film, der den Anspruch hat tiefgründige Diskussionen über Generationsverhältnisse und die Akzeptanz des älteren Ichs auf die Leinwand zu bringen, schlichtweg zu wenig. So schwer die Erkenntnis des Älterwerdens einem auch fallen mag.
Dabei kann man “Sils Maria” inszenatorisch eigentlich gar nicht viel anlasten. Wunderschön und atmosphärisch kommt das Setting daher, Kristen Stewart ("Twilight") als Val, sowie Juliette Binoche ("La Vie d'une autre") als Maria und Chloe Grace Moretz("Kick-Ass") als angenehm ambivalente Jo-Ann erbringen Höchstleistungen, porträtieren ihre Charaktere als sowohl freundlich, wie auch unsympathisch und so letztlich sehr realistisch. “Sils Maria” hat auf der Oberfläche keine Probleme, nimmt sich inhaltlich aber scheinbar zu großen Hürden an, stellt diese zu plakativ dar, ohne sie wirklich zu ergründen und suhlt sich in der ausschweifenden Promi-Darstellung seiner Figuren auf beinah widerliche Weise. “Sils Maria” steht einfach viel zu oft zwischen den Stühlen. Wird die Presse hier kritisiert und als voyeuristische Perversion der Öffentlichkeit entlarvt, die den Reichen und Schönen aufgrund von Mediengeilheit das Leben zur Hölle macht oder ist auch diese wieder nur Zweckmittel um den ach so schweren Lebensstandard einer berühmten Persönlichkeit zu zelebrieren? Wird das Lotterleben hier kritisiert, oder möchte sich der Film selbst so abgehoben präsentieren, wie es seine beinahe glorifizierten Charaktere tun? Warum wird die Masse und der überschwemmende Gebrauch von Technologie hier kritisiert, wenn der Film doch selbst vor Starbucks-, Apple- und Google-Schleichwerbung strotzt? Warum muss man sich ewiges Geschwafel über Wein, alte französische Filme und symbolische Wolkenformationen anhören, wenn dies (außer platter Symbolik) kaum etwas zur Geschichte beiträgt und die Charaktere nur erneut in unsympathische Hipster-tiefen schlägt? Was will uns der Film eigentlich sagen? Ist es eine Ode an das Altwerden? Die Frage danach, was Kunst ist? Was auch immer die Bedeutung des Films sein soll, sie wird nie befriedigend aufgelöst oder ausreichend vertieft. “Sils Maria” ist gut, teils hervorragend, geschrieben und setzt sich philosophisch, medien- und theaterwissenschaftlich mit seinen Fragen auseinander, traut sich aber nie eine wirkliche These über das Gezeigte in den Raum zu werfen und macht so nie endgültig deutlich, um was es gehen soll, was die Aussage sein soll. Und ohne eine echte These macht eine Diskussion wenig Sinn.
Am Ende mag man vielleicht über die Gegenüberstellung des immer gleichen Themas, das auf sowohl persönlicher als auch inhaltlicher Ebene dargestellt wird (alt gegen jung, modern gegen klassisch, hip gegen verbraucht) nachdenken und diskutieren können, sich dabei erneut über die glorifizierte Darstellung der reichen Charaktere ärgern, die der Film in luftige Höhen erhebt, als wären sie die Wolken von Sils Maria selbst und sich dann erneut fragen, was dieser Film überhaupt aussagen will? Und ohne Aussage, sondern nur mit plakativen Gegenüberstellungen zweier Meinungen, zweier Generationen, kann ein solches Konzept, wie es “Sils Maria” uns bietet, einfach nicht befriedigend funktionieren. Und das zieht einen sonst guten Film mit ausgezeichneten Schauspielern und einer netten Atmosphäre unerbittlich runter.
Fazit
Inszenatorisch hübsch, schauspielerisch großartig, aber inhaltlich unzureichend, präsentiert sich “Die Wolken von Sils Maria” als unentschlossener Beitrag zur Frage “Was bedeutet es alt zu werden” und “Versteht die heutige Generation überhaupt noch etwas von Kunst” bzw. “Was ist Kunst?”, inszeniert sich selbst als gleichzeitig entlarvend und glorifizierend, kritisierend und scheinheilig. Ohne den Mut eine eigene These, ein eigenes Statement, eine finale Charakterentwicklung zu den aufgeworfenen Fragen und Ereignissen zu formulieren, verkommt “Die Wolken von Sils Maria” zu einer ausgezeichneten Oberfläche, die am Ende aber inhaltlich, trotz guter und realistischer Dialoge und interessanter Ansätze, kaum zufriedenstellen kann.
Autor: Thomas Söcker