Inhalt
Die junge Waise Mary sucht nach dem Tod ihrer Mutter ihre Tante Patience und deren Mann Joss in der verruchten Kneipe Jamaica Inn auf, wo sie fortan leben möchte. Doch schon bald findet sie heraus, dass ihr Onkel der Anführer einer skrupellosen Piratenbande ist, der die Kneipe als Knotenpunkt für seine dubiosen Geschäfte missbraucht. Als Mary das Bandenmitglied James Trehearne vor der Lynchjustiz rettet, müssen sie fliehen.
Kritik
Der letzte britische Spielfilm von Alfred Hitchcock für über 30 Jahre zählt nicht gerade zu seinen persönlichen Favoriten, trotz eines achtbaren, kommerziellen Erfolges. Die später noch mehrfach adaptierte Geschichte nach einer Novelle von Daphne du Maurier (lieferte auch die Vorlage zu Hitchcock’s späteren Meisterwerk Die Vögel) passt vom Inhalt auch nicht unbedingt zu den von ihm in der Regel bevorzugten Stoffen. Es scheint fast wie ein letzter Gruß an seine Heimat, bevor er sich über den großen Teich verabschiedete, den er sich allerdings nicht so recht gut überlegt hatte.
Anfang des 19. Jahrhunderts treibt eine Bande von Schmugglern, Dieben und Meuchelmördern (der ursprüngliche deutsche Titel Riff-Piraten trifft es ganz gut. Seeräuber an Land sozusagen.) an der Küste von Cornwall ihr Unwesen. Lockt Schiffe mit falschen Signalen an die felsige Bucht, plündert die sinkenden Kähne und metzelt die Besatzung nieder, um keine Zeugen zu hinterlassen. Ihr Unterschlupf ist die Spielunke Jamaica Inn (so auch der Originaltitel). Dies ist mehr oder weniger unter vorgehaltener Hand bekannt, dagegen unternehmen tut nur niemand etwas. Bis Mary (Maureen O’Hara, Der Glöckner von Notre Dame), die hübsche Nichte der Wirtin, dort unerwartet auftaucht und erstmals Bekanntschaft mit deren miesen Gatten Joss (Leslie Banks, Der Mann, der zuviel wusste) macht. Ihr neuer Onkel ist der Anführer der Banditen und sie gerät schnell mit ihm aneinander, als sie verhindert das er Trehearne (Robert Newton, In 80 Tagen um die Welt), einen seiner Untergebenen, wegen Verrats aufknüpft. Die beiden müssen fliehen und hoffen dabei auf die Hilfe des Landvogts Sir Humphrey Pengallan (Charles Laughton, Zeugin der Anklage, auch Co-Produzent), dem jedoch nur bedingt über den Weg zu trauen ist.
Hitchcock wirkt nicht sonderlich motiviert bei dieser Auftragsarbeit; war vielleicht schon mit den Gedanken bei seiner anstehenden Karriere in den USA, die ihm natürlich ganz neue Möglichkeiten offenbarte. Von seinem sonstigen Einfallsreichtum und kreativem Enthusiasmus ist kaum etwas zu spüren, was nicht heißt, dass der Film schlecht gemacht wäre. Es wird nur offensichtlich, wie wenig er der Geschichte abgewinnen konnte und dementsprechend keine Geistesblitze entwickelte, wie er daraus besondere Momente ziehen sollte. So bleibt seine Inszenierung bodenständig solide, lässt aber nun mal das vermissen, was selbst nicht rundum optimale Arbeiten von ihm – selbst insgesamt noch schwächere – in der Regel auszeichnete. Irgendeinen Magic-Moment besitzt fast jeder seiner Filme, und mag er noch so klein sein. Bei Die Taverne von Jamaika sucht man so einen vergebens und trotzdem ist der Unterhaltungswert absolut stabil. Dabei verwendet Hitch nur partiell ihm vertraute und geliebte Plot-Bausteine: Das Motiv der (teilweise) unschuldigen Hauptfigur(en) auf der Flucht und nur sehr kurzfristig den Suspense, wenn sich das Pärchen unwissend in die Höhle des Löwen begibt. Was der Zuschauer bereits weiß.
Allgemein wird Die Taverne von Jamaika ab diesem Punkt deutlich besser, da das Element von „wer weiß was oder eben nicht, und was bedeutet das für das Handeln“ nun relevant wird und durchaus zu nervösen, improvisierten Situationen führt. Das macht Spaß, das ist Hitchcock, wenn auch nicht auf Topniveau. Das wahre Highlight des rundum soliden, aber nicht spektakulären Films sind ohnehin die Darsteller, die den Unterschied zwischen ordentlichem Durchschnitt und doch irgendwo (eingeschränkt) sehenswert ausmachen. Maureen O’Hara, Leslie Banks und Robert Newton sind schon toll, aber den Vogel schießt eindeutig Rampensau Charles Laughton ab, der mit einer skurrilen Interpretation viel in die Waagschale wirft. Völlig überkandidelt und mit einem Pfauen-gleichen Irrsinn in seiner Performance. Durchgehend eigentlich über der Grenze zur Karikatur, bringt er einen süffisant-spielfreudigen Humor mit ein. Wie ein prähistorischer James Bond-Villain im Karneval, als hätte er kapiert wie er einen nicht ganz sicheren Film nicht nur komplett an sich reißen, sondern viel wichtiger im Alleingang retten kann. Wenn das der Plan war, herzlichen Glückwunsch, alles goldrichtig gemacht!
Fazit
Ein zwar eindeutig schwächelnder Hitchcock - gefühlt schon nicht mehr richtig anwesend und bereits auf dem Weg zum nächsten, entscheidenden Karriereschritt – wird aufgefangen durch seinen guten Cast und besonders den mutigen, klar narzisstischen, aber exorbitant auffälligen, schillernden Auftritt von Charles Laughton, der das Ding beinah komplett im Alleingang wuppt. Muss man gesehen haben. Ihn, den Film gibt es halt gratis dazu.
Autor: Jacko Kunze