6.2

MB-Kritik

Die Nacht der reitenden Leichen 1972

Mystery, Horror – Spain, Portugal

6.2

Lone Fleming
César Burner
María Elena Arpón
José Thelman
Rufino Inglés
Verónica Llimera
Simón Arriaga
Francisco Sanz
Juan Cortés
Andrés Isbert
Antonio Orengo
José Camoiras
Judy Feil
Pedro Sempson
Carmen Yazalde

Inhalt

Im Urlaub trifft Virginia auf ihre alte Studienfreundin Bella. Als sich Virginias Ehemann Roger ganz schamlos an die alte Freundin heranmacht, zieht Virginia wutschnaubend ab und verbringt die Nacht in einem verlassenen Kloster. Doch dort erheben sich des Nachts untote Tempelritter aus ihren Gräbern. Als Virginia tot und schwer misshandelt aufgefunden wird, ermitteln Roger und Bella auf eigene Faust.

Kritik

Der spanische Filmemacher Amando de Ossorio (Malenka) war schon seit den frühen 50ern als Regisseur und Drehbuchautor im Business tätig, ein nennenswerter Erfolg sollte sich die ersten 20 Jahre aber nicht einstellen. Dies änderte sich schlagartig 1971 mit der spanischen-portugiesischen Co-Produktion La noche del terror ciego (wortwörtlich übersetzt: Die Nacht des blinden Terrors), der auch international für einiges Aufsehen sorgte und innerhalb der nächsten vier Jahre noch drei Sequels nach sich zog. In Deutschland wurde der Film bekannt als Die Nacht der reitenden Leichen, was unmissverständlich Assoziationen an George A. Romeros wenige Jahre zuvor erschienenen Die Nacht der lebenden Toten wecken und somit in dessen Erfolgsspur einschlagen sollte. Der Gedanke war nicht nur aus kommerzieller Sicht naheliegend, diesmal lässt sich diese Umtaufe des Originaltitels sogar inhaltlich durchaus vertreten, schließlich lässt sich Ossorios Film mehr oder weniger als einer der ersten europäischen Zombiefilm der Prä-Romeo-Ära bezeichnen, auch wenn die Intention schon ein wenig anders war und das von Romero geprägte Bild des Zombies hier nicht vollumfänglich erfüllt wird.

Hierzulande erarbeite sich die Reihe ihren Kultstatus nicht nur zu seiner Zeit, sondern rückwirkend auch mit dem Aufkommen des Privatfernsehens. So gehörte die Reitenden-Leichen-Reihe zu jenen Filmen, die Anfang der 90er zum Repertoire der auf RTL (damals noch RTL+) ausgestrahlten Horror- und Gruselfilmreihe Hilde’s wilde Horrorshow gehörten. Eine irre Zeit, als das noch junge und unbekümmerte Privatfernsehen sich zum Teil einen Scheiß um Jugendfreigaben und sogar Indizierungen schärte und einige Streifen komplett ungekürzt auf die Öffentlichkeit losließ. Aus heutiger Sicht ein Wunder, dass da nicht sofort der Stecker gezogen wurde. Viele Zuschauer*innen dürften damals ihren Erstkontakt mit den in erster Linie blinden und erst in zweiter Hinsicht reitenden (in Teil 3 gings ganz Pferde-los aufs Schiff) Tempelritter-Gerippen gehabt und auch eine Menge Spaß empfunden haben, aus heutiger Sicht ist das mitunter etwas schwieriger und es bedarf eindeutig über einen größeren Teil der Laufzeit eine ordentliche Portion guten Willen. Da beginnt schon mit dem Auftakt, der sich eigentlich nur unter der Kategorie „amüsanter Euro-Trash“ abfeiern lässt.

Virginia (María Elena Arpón, Das Versteck – Angst und Mord im Mädcheninternat) kocht vor Eifersucht und (absolut berechtigter) Empörung, da ihr Göttergatte Roger (César Burner, Der Mann aus El Paso) sich spitz wie Nachbars Lumpi an ihre Uni-Freundin Bella (Lone Fleming, Reise zum Mittelpunkt der Erde) heranschmeißt. Offensichtlich doppelt dramatisch, da uns erst nur angedeutet, aber nur wenige Minuten später natürlich in voller Soft-Porno-Bildpracht präsentiert wird, dass Virginia und Bella sich damals gegenseitig zärtlich erforscht haben, wie man(n) sich das bei hübschen Studentinnen nun mal vorstellt. Das ist für den weiteren Verlauf völlig unerheblich und dient lediglich dazu, das Publikum mit weichgezeichneten Nackedei-Phantasien bei Laune zu halten. Dazu ist dieses ganze Dreiecks-Konstrukt abstrus lächerlich und auf hochnotpeinlichem Telenovela-Niveau, aber unter einem sportlichen Gesichtspunkt auch nicht frei von spöttischem Entertainment. Muss man nicht, aber kann man dezent mögen.

Kurzentschlossen zieht Virginia im Zug im wahrsten Sinne des Wortes die Notbremse und stapft zu Fuß drauflos, um sich am sichersten Ort der Welt – einer verlassenen und verfallenen Klosterruine, inklusive hauseigenem Friedhof – zur Nacht zu betten (natürlich wird vorher noch das Nachthemd übergestreift bevor man sich da in den Dreck haut, die Etikette muss gewahrt werden). Hätte sich lieber mal vorher den ängstlichen Lokführer gefragt, denn der hat direkt beim ungeplanten Zwischenstopp angekündigt, in der Gegend nie eine Minute länger als nötig zu verbringen. Aus gutem Grund, denn zur Geisterstunde öffnen sich die Gräber und ein Orden satanischer Tempelritter, denen vor ihrer Hinrichtung die Augen ausgestochen wurden (daher eben der „blinde Terror“), fällt über den ungebetenen Gast her. Nun geht es richtig los…aber so ganz richtig auch wieder nicht, denn Die Nacht der reitenden Leichen ist definitiv kein europäischer Die Nacht der lebenden Toten und eher ein Slow-Burner im unvorteilhaften Sinne, der auch in den konkreten Bedrohungssituationen nicht zwingend nervenaufreibend ist.

Die in Lumpen gehüllten, wackeligen Klappergestelle erinnern mehr an Requisiten aus einer etwas besseren Rummel-Geisterbahn und bewegen sich lediglich auf hohem Ross in einem Tempo, dass knapp über Rollator mit angezogener Bremse liegt. Das ist im Kontext von Zeit und Entstehungszeitraum natürlich immer etwas zu relativieren, aber auch ein Romero hatte damals nun wirklich gar nichts und auch nur kurz spätere Euro-Genre-Vertreter haben gezeigt, dass das eindeutig nicht das Maß der Dinge war. Genau genommen dürfen sie auch nur zweimal durch die Gegend schlottern, der Rest muss mit anderen Sachen aufgefüllt werden. Das klingt jetzt vielleicht alles sehr negativ, es soll aber eher verdeutlichen, dass Die Nacht der reitenden Leichen ohne nostalgische Brille und besonders nach heutigen Maßstäben nicht unbedingt der Genre-Klassiker ist, der praktisch unverzichtbar wäre. Es ist aber trotzdem ein Klassiker und das durchaus auch mit Recht. Allein sein Status ist schon außergewöhnlich genug und wenn der Film was richtig macht, dann funktioniert das auch. Die Musik von Antón García Abril ist schlicht, aber deshalb auch super stimmungsvoll und auch die Kamera findet immer mal wieder im besten Sinne gespenstische Momentaufnahmen, besonders in Slowmotion. Darüber hinaus sind einige Sequenzen recht effektiv und durchaus drastisch inszeniert, es sind aber wirklich ausgewählte Situationen.

Fazit

Für den Casual-Horrorfilmfan ab der Generation Z ist das vermutlich eher nix und ohne den rosagefärbten Blick durch die Nostalgie-Brille lässt sich auch nur schwer argumentieren, warum „Die Nacht der reitenden Leichen“ heute noch gesehen werden muss. MUSS wäre auch eindeutig zu viel, aber interessant und auf seine Weise spannend (im filmhistorischen Kontext, weniger aufgrund des Gezeigten) ist der nach wie vor. „Gut“ im eigentlichen Sinne ist hier ehrlich gesagt nur wenig, so fair muss man dabei trotzdem sein. Für Liebhaber aber irgendwo noch ein holperiges Schmankerl mit verrottetem Beigeschmack.

Autor: Jacko Kunze
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