Inhalt
Vera (E. Anaya) wird in einer privaten Schönheitsklinik von dem Chirurgen Dr. Robert Ledgard (A. Banderas) überwacht. Das Besondere ist jedoch, das sie der einzige Patient in der gesamten Einrichtung ist. Einzig die Haushälterin Marilla (M. Paredes) und ein mysteriöser Mann in einem Tigerkostüm, wandeln in der Klinik umher. Was hat es mit Vera auf sich, deren Vergangenheit in dunklen Schatten liegt und deren Äußeres Dr. Ledgards verstorbener Frau ähnelt, diese aber dennoch nicht ist. Doch das sind nicht die einzigen Rätsel, die geklärt werden müssen …
Kritik
Die bildhübsche Vera (Elena Anaya, Wonder Woman) ist vom Hals abwärts umwickelt in einem hautengen Catsuite, der jedoch weniger eine erotische, sondern eher medizinische Komponente zu erfüllen scheint. Im potthässlichen Pflaster-Farbton gehalten werden zwar die ästhetischen Konturen ihrer makellosen Figur betont, trotzdem wirkt die junge Frau mehr wie das Opfer einer notwendigen, plastischen Chirurgie denn einer typischen, von Eitelkeit motivierten Schönheits-OP. Was nicht die einzige, noch nicht mal die markanteste Auffälligkeit ist. In ihrem Zimmer - von Kameras nicht nur beobachtet, sondern eher obsessiv observiert – ist sie eingeschlossen. Eine Gefangene. Kommuniziert zu ihrem behandelnden Arzt Robert Ledgard (Antonio Banderas, Desperado) oder dessen Haushälterin Marilia (Marisa Paredes, Das Leben ist schön) nur über die Gegensprechanlage, außer es wird eine Chefarzt-Visite fällig. Was schon hier eine sehr verstörende Note hat. Aber es ist alles nur die Spitze des Eisbergs, die Pedro Almodóvar (Volver – Zurückkehren) mit seiner eigenwillig interpretierten Romanadaption erst im Prozess des Schmelzens als grausames Spektakel offenlegt, das sich auch bei wiederholter Sichtung nicht als leicht bekömmlich herausstellt.
Normalerweise ließe sich ein Werk wie Die Haut, in der ich wohne wohl nur sehr schwierig in wenigen Worten treffend beschreiben. Außer man fügt den Namen Pedro Almodóvar hinzu. Dann: Der Experte für skurrile, komplizierte Beziehungen entdeckt den Body-Horror. In der Tat scheint der Stoff für einen (bis auf wenige Ausnahmen) vom offensichtlichen Humor befreiten, unabhängig davon thematisch praktisch idealen Almodóvar-Film wie maßgeschneidert - was ja selbst in Bezug auf den Inhalt nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Das rätselhafte Puzzle um offenkundig falsche, künstliche Hüllen, aber dennoch tiefverwurzelte Emotionen - die mehr negativ behaftet sind, als das ihr positives Erscheinungsbild wirklich erhaltenswert wäre -, wird raffiniert erzählt und angereichert mit bizarren Elementen, nur um eine dahinter als noch viel mehr verstörender sezierte Wahrheit offenzulegen. Von Stockholm-Syndrom, verqueren Abhängigkeitsverhältnissen, Emotions-Wirrwarr bis hin zu sexuell massiven Irritationen: Im Prinzip reflektiert Almodóvar sein bisheriges Schaffen und versetzt es in einen neuen, radikalen und zu Weilen äußerst beunruhigenden Kontext.
Von extravakanter Leichtigkeit, von frechem Sarkasmus ist nur noch das ins Pechschwarze getauchte Fundament geblieben. Welches die Basis bildet zwischen bitterer Tragödie, verzerrter Groteske und psychologisch wie physisch unverantwortlich und faszinierend zusammengewürfelter Horrorshow, deren ganzes Ausmaß sich fast genüsslich ab etwa der Hälfte der Laufzeit dem angefixten Zuschauer offenbart wird. Sich wie eine klebrige, angedickte Masse über das bisher gezeigte Geschehen legt und die gesamte Absurdität in einer schier unvorstellbaren Pointe münden lässt. So selbstbewusst, dass diese voll ausgekostet wird und nicht nur als Rausschmeißer verramscht wird, sondern den dritten Akt selbst nach kompletter Auflösung noch im Alleingang tragen muss. Spielend gelingt dieses Vorhaben, denn Die Haut, in der ich wohne ist eine seltene Konklusion aus Beziehungsdrama, Psychothriller, schwarzer Komödie und einem sehr bewusst an der Stelle nicht näher erläuterten Sub-Genre des Horrorfilms, der auf eine gruselig-perfide Art den Bock zum Gärtner macht. Wie sich alle in den emotionalen Folgen verlieren und letztlich komplett verleugnen…es ist so absurd wie faszinierend dabei zuzusehen. Was es in dieser Form (erstaunlich schlüssig, ohne komplett dem Unfug zu verfallen) wohl kaum bisher filmisch zu sehen gab. Von der exquisiten, fachlichen Kompetenz ganz abgesehen.
Fazit
An manche Filme sollte man möglichst unvorbereitet herangehen, um sie vollends genießen und (nicht nur im ihren oberflächlichen Effekt, sondern ihrer gesamten Tiefe) verstehen zu können. „Die Haut, in der ich wohne“ ist so ein seltenes Exemplar – wenn mal alles davon zutrifft. Eine richtig fundierte Kritik ist daher ohne entsprechende Spoiler kaum möglich. Das war ein Versuch. Hoffentlich wurde wenigstens das Interesse für diese bemerkenswerte (Genre-)Perle geweckt. Kaum vorstellbar, das nicht wenigstens der Blick darauf (unabhängig vom individuellen Geschmack) nicht die Erfahrung wert sei.
Autor: Jacko Kunze