Inhalt
Gunther lebt gemeinsam mit seinem Vater, dem Säufer und Nichtsnutz Marcel Strobbe alias "Celle" und dessen drei ebenso abgewrackten Onkeln Lowie "Petrol", Pieter "Beefcake" und Koen bei seiner liebenswürdigen Großmutter.Während sich die alte Dame abrackert, haben die vier erwachsenen Männer nichts als Unsinn im Kopf und sind mit wenig anderem beschäftigt, als die Ehre der Strobbes in der Dorfkneipe und bei Großereignissen wie einem Nacktfahrradrennen oder dem Weltrekordversuch im Dauerbiertrinken zu verteidigen. Und Gunther ist immer mit dabei.Auch zwanzig Jahre später, als Gunther (nun gespielt von Valentijn Dhaenens) ein erfolgloser Schriftsteller geworden ist, der versucht, seine Geschichte zu Papier und sein Leben auf die Reihe zu bringen, wird klar, wie sehr ihn die Vergangenheit noch immer beschäftigt. Und man spürt die Angst, dass er genauso werden könnte wie sein Vater.
Kritik
Derb und vulgär inszeniert Felix Van Groening in seinem 2010 in Cannés mit dem Prix Art et Essai ausgezeichneten Werk eine Kindheit in einer Sippe von asozialen Alkoholikern. Die Strobbes halten zusammen, weiß der 13-jährige Gunther (Kenneth Vanbaeden), der im Belgien der Achtziger in einer trostlosen Kleinstadt aufwächst. Darum widerspricht er nicht, wenn Vater Celle (Koen De Graeve) Gunthers Mutter als Hure beschimpft. Die Mutter ist schon lange fort, statt ihrer sind Gunthers Onkel Piet (Johan Heldenbergh), Koen (Bert Haelvoet) und Lowie (Wouter Hendrickx) geblieben. Gemeinsam leben sie bei der Großmutter (Gilda De Bal), deren magere Rente sie in Spielautomaten stecken oder versaufen. Mit einem irritierenden Mix aus Herablassung und jovialer Nachsicht beleuchtet der belgische Regisseur das paradoxe Gesicht der Milieuverbundenheit. Angesiedelt zwischen Tragikkomödie und Milieustudie, kämpft der Plot mit dem eigenen Voyeurismus und höhnischen Ekelexzessen. Moralisieren, das wollen Van Groening und sein Co-Drehbuchautor Christophe Dirickx immerhin nicht.
Eher hegen sie verhaltene Sympathie für den abstoßenden Film-Klan. Die Story nach dem gleichnamigen Roman von Dimitri Verhulsts idealisiert unterschwellig die Gefühle von Gemeinschaft, die ein destruktives Milieu vermitteln kann. Der unter der Vernachlässigung und Misshandlung leidende Gunther empfindet sein Umfeld auch als anziehend. Der Zusammenhalt des Klans vermittelt ihm die Geborgenheit, die er in der brutalen, verwahrlosten Gemeinschaft entbehren muss. Manchmal kommen Gunther Zweifel, wenn der Vater auf ihn losgeht, die Onkel in ihrem Erbrochenen einschlafen oder ihre freundliche Schwester aus dem Haus ekeln. Meistens aber macht er mit, lässt sich abfüllen und kümmert sich nicht um die Schule. Verzweifelt klammert sich der junge Protagonist an die einzige Konstante in seinem Leben, ohne zu merken, dass er in den gleichen gesellschaftlichen Abgrund schlittert wie sein Vater. Jahre später ist Gunther (Valentijn Dhaenens) ein erfolgloser Schriftsteller, der die Vergangenheit nicht hinter sich lassen kann. Spaß an dem halb mitleidigen Elendstourismus soll auch das Publikum haben.
Statt die Problematik aufzulockern, wirken die misslungenen komödiantischen Elemente nur geschmacklos. Symptomatisch für die Effekthascherei ist das Nackt-Fahrradrennen, an dem die Brüder teilnehmen. Ein solches Rennen wurde seinerzeit zur Bewerbung des Films in Cannés abgehalten und verfehlte ihre Wirkung nicht. Die kleine belgische Produktion wurde zum Publikumserfolg. Dass ausgerechnet die Reichen und Schönen im sonnigen Nobelort sich vom Elend verwahrloster Alkoholiker im regnerischen Belgien köstlich unterhalten fühlten, ist wohl gerade das Ziel der Romanverfilmung. Weit weg von verdreckten Wohnungen ohne Toilette, aggressiven Säufern mit Tremor und der frustrierenden Eintönigkeit des Arbeitslosenalltags ist der soziale Abgrund ein amüsantes Kuriosum. Gunthers früh gealtertes Gesicht und Loser-Leben verweisen auf ein psychisches Leid, das die Tragikomödie beiseite wischt. Der markante Sozialkolorit setzt einen markanten Kontrast zum üblichen Sozialkitsch, doch die selbstgenügsame Schadenfreude macht das Unterfangen so unangenehm, wie seine Bilder es sein wollen.
Fazit
Im Gegensatz zu vielen Mainstream-Produktionen mit sozialer Thematik krankt die zwischen Verharmlosung und neugieriger Absche schwankende Perspektive nicht an einem Übermaß an Mitgefühl. Van Groeningen will gezielt hämische Schaugier ausbeuten und mit Szenen am Rande der Groteske auf die Spitze treiben.
Autor: Lida Bach