Inhalt
Arthur und sein Bruder George sind auf der Suche nach Arbeit in der australischen Provinz unterwegs. Auf der Straße in das Kaff Paris stürzt ihr Auto einen Abhang hinunter. George verstirbt, Arthur erwacht in der ansässigen Klinik. Der offenbar herzensgute Bürgermeister nimmt ihn bei sich auf und besorgt ihm sogar einen Job in der Stadt. Doch selbst dem gutgläubigen Arthur fällt schnell auf, dass in Paris einiges nicht mit rechten Dingen vor sich geht.
Kritik
„Es ist die Welt, in der wir leben. Es ist die Welt der Autos.“
Nicht viele Regisseure aus Down Under haben es bis nach Hollywood und unabhängig davon zu einer international geachteten Reputation geschafft, Peter Weir (Die Truman Show) zählt zweifellos zu ihnen. Sein zweiter Kinofilm Die Autos, die Paris auffraßen (keine deutsches Chaos-Namen-Würfeln, wortwörtlich übersetzt) wird selten in seinem Schaffen erwähnt und bei dem Namen erwartet man im besten Fall anarchischen Low-Budget-Unfug. Aus dem Jagdrevier von Roger Corman (Frankensteins Todesrennen) oder sogar TROMA, doch weit gefehlt. Anarchisch ist der Film, mit Trash im eigentlichen Sinn hat das angenehm wenig zu tun, auch wenn man ihn oberflächlich vielleicht schlicht in diese Kategorie stopfen möchte.
Der kuriose, reißerisch-billig wirkende Titel ist in doppelter Hinsicht bewusst irreführend. Nicht etwa die Stadt der Liebe wird zum Fraß vorgeworfen, sondern ein wenig schimmerndes, nur durch eine abgelegene Einbahnstraße zu erreichendes Dörfchen im australischen Hinterland. Schmuckvoll benannt und eigentlich am Ende einer ohnehin gerade grassierenden Wirtschaftskrise ausgehungert. Die Suche nach Arbeit verschlägt auch die Brüder George und Arthur (Terry Camilleri, Coffin Rock) dorthin und endet wie für so viele andere Unglücksraben: Durch einen tragischen „Verkehrsunfall“ (das wird in Paris für angehende Neubürger schnell konditioniert). George erwischte es gleich richtig, bekam nicht einmal die Chance auf eine sauber gebohrte Lobotomie, um mit einem Voll-, Halb- oder etwas glücklicheren Vierteldachschaden als „Vegi“ (für Vegetierenden) in der gut gefüllten Klinik ein Bett zu bekommen. Arthur – durch ein traumatisches Ereignis nicht mehr in der Lage selbst am Steuer zu sitzen – überlebt praktisch unverletzt und genießt das große Privileg, vom Bürgermeister (John Meillon, Crocodile Dundee – Ein Krokodil zum Küssen) quasi adoptiert zu werden („Wir behalten ihn!“)
So läuft das in Paris: Wer von der Straße abkommt, hatte natürlich einen Unfall; wer ihn überlebt meistens einen bedauerlichen Hirnschaden oder landet bei der Ausschlachtung der Überreste vielleicht im Warenkorb des Häuptlings, der stets die besten Stücke für sich beansprucht. Das sind mal Autoradios, mal Menschen und da ein Sohn in seinem „adoptierten“ Frauenhaushalt dringend fehlt, kommt ihm der gutmütig-gefügige Arthur genau richtig. Nachdem dieser feststellt, dass zwar viele Wege nach Rom, aber nur einer und der nicht so einfach zu passieren aus diesem Paris führen, fügt er sich in seiner skurrilen Rolle, wo soll er auch hin? Hier hat er eine Gemeinde, eine Familie, ein kleines Stück Geborgenheit und da ihm der Job als Pfleger in der Vegi-Klinik nicht so zusagt sogar bald die ehrenhafte, neu kreierte Arbeit als Park-Ranger (im Sinne von „parken“). Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt und wird direkt beim High Noon mit der faulen, wenig produktiven Dorfjugend ge- und überfordert, die nicht das oft gepredigte Licht am Ende des Tunnels sehen. Dabei denkt die Elite von Paris doch stets an die Zukunft, an bessere Zeiten, die nach dem kurzen Zwischentief zum Greifen nah sind.
Peter Weir erschafft eine sonderbare, enorm sarkastische Kleinstadt-Groteske. Mit Anleihen beim Horror-, Science Fiction- und sogar Sandalenfilm (herrliche Szene, wenn sich mit einem Auto mittels Schild und Speer duelliert wird), dazu ein gesalzene Prise Spaghetti-Western. Und dennoch: Es tangiert trotz dieser Absurditäten nie ernsthaft das Genre des (generell schwierig kategorisierbaren) Trash-Films. Dieses besondere Exemplar ist viel zu klug, zu hintergründig und niemals auf billige Effekthascherei ausgelegt, besitzt erstaunlich großes satirisches Potenzial und mehr Anspruch, als man ihm auf den ersten Blick zugestehen mag. Der Anfang der surrealen, 70er-Jahre Schaffensperiode von Weir. Der folgende Picknick am Valentinstag wurde sein nebulöses, mystisches Meisterstück; Die letzte Flut ein etwas holperiges, aber faszinierendes Esoterik-Weltuntergangs-Szenario; Die Autos, die Paris auffraßen der schwarzhumorige Grundstein dieser Dekade. In Zeiten einer nicht nur wirtschaftlichen, sondern generellen, Gemeinschafts-erhaltenden Krise wird das eigene Gefüge auf moderner Piraterie umgestellt.
Autos (und deren „Inhalt“) – das Einzige, was in Paris noch ein Bindeglied zur Außenwelt darstellt -, sind nicht nur Grundlage des gesamten, obskuren Arbeitsmarkt, sie sind gleichzeitig die gefürchteten Monster der Moderne. Sie ermöglichen ein Entkommen und sind Werkzeuge der „undankbaren“ Jugend, die sich (verständlich) nicht mit diesem linientreuen, blinden Opportunismus identifizieren will. Hinter seinem bizarren Auftreten ist Die Autos, die Paris auffraßen eine sehr giftige, überlegte Gesellschafts-Parabel, die den angeblich hungrigen KFZs nur angedeutet eine eigene Identität gibt. Sie bellen (bzw. knurren), aber beißen nicht. Sie sind leblose Gegenstände, werden gesteuert, jederzeit und nie auch nur mit dem Zweifel aufkommend, dass es nicht so sein könnte. Damit wären wir bei der zweiten Irritation beim Filmtitel. Nicht Autos fressen das kleine, kümmerliche Paris auf, sie sind nur eine sichtbare Metapher für schrägen, aber erschreckend ehrlichen, sozialen Kannibalismus.
Fazit
Deutlich smarter, als er klingt. Die Autos, die Paris auffraßen ist zwischen bitterbösem Witz, bizarren Momenten und leicht gruseligen Situationen eine reflektierte Studie, die aber bitte nicht zu ernst genommen werden will (und kann). Das man es trotzdem geneigt ist zu tun, ist kein…Unfall, wie es in Paris so schön heißt.
Autor: Jacko Kunze