6.9

MB-Kritik

Der Schlitzer 1980

Horror, Thriller – Italy

6.9

David Hess
Annie Belle
Christian Borromeo
Giovanni Lombardo Radice
Marie Claude Joseph
Gabriele Di Giulio
Brigitte Petronio
Karoline Mardeck
Lorraine De Selle

Inhalt

Jack und sein Kumpel Ricky werden von einem wohlhabenden, jungen Pärchen spontan zu einer Privatparty in deren luxuriöses Domizil eingeladen. Ein dumme Entscheidung, denn Jack ist ein psychopathischer Vergewaltiger und Mörder. Die Lage eskaliert schnell zu einer brutalen Geiselnahme.

Kritik

-„Mit uns wird die Party ein Riesenerfolg.“

-„Sind Sie sich da ganz sicher?“

-„Ich mache mir da gar keine Sorgen!“

Unmittelbar nach seinem Skandalfilm Nackt und zerfleischt schob Ruggero Deodato mit Der Schlitzer einen weiteren, gewagten Grenzgänger hinterher, der im Zuge des harten Nachbebens seines bis heute höchst umstrittenen Mondo-Klassikers schnell vielerorts in den Giftschränken verschwand und auch aktuell immer noch ziemlich heftigen Tobak darstellt. Rein plakativ betrachtet beginnt er sogar gleich mit seiner direktesten Szene, noch bevor der Vorspann einsetzt. Eine junge Frau wird von einem Fremden überfallen, vergewaltigt („Aber ich will doch nur ein bisschen ficken!“) und währenddessen mit bloßen Händen erwürgt. Na Prost Mahlzeit, schnallen Sie sich gut an. Wer so vorlegt, kennt in der Regel keinen Rückwärtsgang mehr. Und so ist es auch, denn obwohl der Film auf einen erstaunlich geringen Bodycount kommt (um nicht zu viel zu verraten, Mitzählen fällt leicht) entsteht ein ultra-fieser, sleaziger Genre-Bolzen, der zu dieser Zeit (und eigentlich in jener Form auch immer noch) nicht mal in den USA denkbar gewesen wäre. Das trauen sich nur die Italiener und einer der es einst besonders wissen wollte, war Deodato. Wofür er bei Nackt und zerfleischt gehörig auf den Deckel bekam, sogar strafrechtlich.

Ein aufgedonnertes Schickimicki-Pärchen lädt sich das pure Böse ins Eigenheim ein, in Person des viehischen, schwanzgesteuerten Ungetüms Jack (David A. Hess, der damit nach Das letzte Haus links und Wenn Du krepierst - lebe ich! seine persönliche Scheusal-Trilogie eindrucksvoll vollendet). Im Schlepptau sein harmloserer, aber naiver und leicht zu manipulierender Kumpel Ricky (Giovanni Lombardo Radice, Ein Zombie hing am Glockenseil), der sich von dem kleinen, hochnäsigen Etepetete-Kreis prompt wie ein primitives Zirkusäffchen vorführen lässt. Offenbar zur reinen Belustigung wurden sich zwei vermeidliche Unterschicht-Goofys ins Haus am Rande des Parks geholt, der Schuss geht jedoch gehörig nach hinten los. Jack – vorher eigentlich auf eine Runde Schwofen in der Disco eingestellt – packt vorsorglich das Rasiermesser ein, denn man weiß ja nie, wohin sich so ein unverkrampfter, geselliger Abend entwickeln kann…und wann man eventuell nachhelfen muss, damit man nicht unbefriedigt nach Hause schleicht. Nach dem arroganten Provokationen in Richtung seines Freundes und einem erotischen Anlocken, dann aber Abblocken ihm gegenüber von Seiten der Gastgeberinn reißt dem eiskalten Soziopathen die Hutschnur, die wahrscheinlich so oder so den Abend nicht überstanden hätte (er war bestimmt nicht auf eine spontane Rasur vorbereitet), es ist mehr eine, naja, gerne angenommene „Rechtfertigung“ dafür, dass er sich und seine sadistische Ader nun ohne falsche Hemmungen ausleben darf.

Home-Invasion mit Einladung, der blitzende Stahl als messerscharfe Gemächtsverlängerung. Von nun an kennt der Film gar keine Hemmungen mehr. Deodato inszeniert die perverse Torture als glasklar voyeuristischen, bewusst schmierigen und schamlos ungehobelten Reißer, der gleichzeitig ungemein intensiv, effektiv funktioniert und in seiner Extreme bald schon wieder als rohe, bestialische Kunst bezeichnet werden kann. Gewisse Knöpfe kann jeder drücken wenn er denn will, aber Der Schlitzer zelebriert sein perfides, boshaftes Spiel mit einer lüstern-genussvollen Abgebrühtheit, das es einem Angst und Bange werden kann (umso mehr verstörend durch den harmonischen, im ersten Moment deplatziert wirkenden Score von Riz Ortolani, als wenn man im völlig falschen Film gelandet wäre, Nackt und zerfleischt lässt mit seinem unvergesslichen Ohrwurm-Kopfkino grüßen). Bewegt sich absichtlich im Grauzonenbereich, der sich aber geschickt interpretierbar gibt. Bieten sich die Damen dem ekelhaften Lustmolch wie Flittchen an, weil sie es insgeheim genießen mal ordentlich…und so…, oder weil sie aus reinem Überlebensinstinkt ihre weiblichen Waffen ausspielen? Eine Form von Totstellen, um im richtigen Moment zurückzuschlagen oder zumindest Zeit und womöglich einen Vorteil zu gewinnen? Auslegungssache, bis dieser räudige und trotz weniger – nennen wir es mal - „unheilbarer“ Gewaltakte enorm brutale Film eine sonderbare Wendung nimmt, die ebenso zwiespältig ist wie sein vorheriger Grundton.

Sehr schwierig, darauf näher einzugehend ohne zu viel zu verraten, nur der zaghafte Versuch einer Umschreibung: Auch hier bestehen Parallelen zu Nackt und zerfleischt, nur weniger gut durchdacht. Scheinbar klar definierte Rollenmuster werden (jetzt noch drastischer) plötzlich auf den Kopf gestellt, der Quasi-Twist hinterfragt ähnlich, ist nur lange nicht so clever und reißt leider komplett eigentlich leicht zu überspringende Plausibilitätshürden ein. Eine an sich gar nicht schlechte (sogar recht gute) Idee scheitert an diversen Ungereimtheiten, von recht kleinen und großzügig zu ignorierenden bis zu klaffenden Aussetzern. Allein eine der frühen Szenen ergibt im Gesamtkontext null Sinn. Das mag nach Erbsenzählen klingen, in diesem Ausmaß ist es ein deutlicher Schönheitsfehler. Der Schlitzer hinterlässt trotz dieser massiven Plot-Mängel dennoch einen bleibenden Eindruck. Er wäre wahrscheinlich sogar nah dran an einer uneingeschränkten Empfehlung, wenn er denn seine Ambition so exakt und weniger (unnötig) schlampig verkaufen könnte wie seine boshafte, ekelhaft-direkte Stimmung. Was das angeht, ist der Film weit vorne. Nicht zu Letzt wegen dieses Maniacs David A. Hess.

Fazit

Die Pointe ist gut gemeint, aber eigentlich die einzige, echte Schwachstelle des Films. Was so auch als harter, abgründiger Genre-Fiesling seine Zweck erfüllte, wird mit einer interessanten Fußnote versehen, die leider keinem nur zaghaft geführten Kreuzverhör standhält und mehr schadet als nutzt. Trotzdem ein bestechendes Ekelpaket, dessen polarisierende Widerwärtigkeit absolut gewollt und auch nach 37 Jahren wenig bis gar nichts von seiner Intensität eingebüßt hat.

Autor: Jacko Kunze
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