Inhalt
Stojan ist ein unbescholtener Mann, fürsorglicher Familienvater und sehr bescheiden. Ein Kurzschluss der Glühbirne bringt ihm unverhoffte Erleuchtung: ein Heiligenschein ziert plötzlich Stojans Haupt. Er wird zu der Attraktion in der Nachbarschaft und stellt das beschauliche Leben seiner Familie auf den Kopf. Stojans Frau Nada ist vom Trubel schnell genervt. Das Ding muss weg und eine Mütze ist bekanntlich keine Dauerlösung. Doch nachdem auch gründliches Haarewaschen nichts bringt, verdonnert sie ihren Mann zu einem ausgiebigen Curriculum in Sachen Sünde. Ein bisschen Völlerei hier, ein wenig Ehebruch dort. Von derlei Tricksereien lässt sich der edle Nimbus nicht beeindrucken. Stojan ackert sich durch alle Todsünden – und findet schließlich Gefallen an der Grausamkeit. Und nicht nur er. Je herzloser Stojan seinen Vorteil ausnutzt, umso bereitwilliger wird er von den Nachbarn als moralische Instanz akzeptiert. Es stellt sich heraus: der schöne Schein überstrahlt auch noch den schlimmsten Frevel.
Kritik
Der Schein trügt gleich vielfach in Srdjan Dragojevics (Parada, Rane) neustem Film. Denn hinter seichter Prämisse steckt nur zu Beginn eine ebenso seichte Komödie, die sich mit zunehmender Laufzeit zum düsteren schwarzhumorigen Episodenfilm entwickelt. Ein Film mit allerhand grotesken Begebenheiten, ungesitteten und ruchlosen Kommentaren auf Religion und Gesellschaft sowie grimmigen und kompromisslosen Charakterentwicklungen. Die osteuropäische Koproduktion ist Satire und Tragödie auf einen Schlag. In 122 Minuten mal frische, mal rücksichtslose Unterhaltung, aber auch nicht von einige Längen befreit.
Die erste Geschichte rundum den dickbäuchigen und gutgläubigen Stojan Goran Navojec (Einer nach dem Anderen, Mission: Impossible - Phantom Protokoll) gibt den Anstoßpunkt für das Sammelsurium der Ungewöhnlichkeiten. Stojan beginnt als netter, heiterer Kerl, bis ihn ein Heiligenschein in den Wahnsinn treibt. Goran Navojec vereinnahmt die zunehmend radikale und pessimistische Figurenentwicklung in seiner Darstellung und wird vom tollpatschigen Außenseiter zum unbequemen Ekel. Durchweg liebenswerte Charakteren sind aber auch sonst nicht zu finden, Figuren stechen, wenn sie in der Groteske überhaupt auffallen, nur durch noch mehr Extreme heraus. Der Großteil ist überzeichnet, zugespitzt und unsympathisch, wirklich fesselnd oder und einzigartig leider nicht.
Interessanter gestaltet sich der Film in der Vielzahl seiner entworfenen Bilder und Symboliken: der Heiligenschein, der alles andere als einen Heiligen krönt, ein verjüngter und wehrloser Schwerbrecher und im wahrsten Sinne des Wortes köstliche Bilder. Jedes Kernelement der Kurzgeschichten liefert die mehr oder minder tiefgründige Auseinandersetzung mit Glaube, Schuld, Konsum und Kunst, - teils mit deutlichen, aber auch unter mehreren Bildebenen versteckten Aussagen. Der Humor passt sich diesen Szenarien zwar an und färbt sich je nach Geschichte düsterer oder freudiger, fordert jedoch nie das große Gelächter heraus. Aus matten Schmunzeln kann sich schnell ein kleiner Kloß im Hals entwickeln, große filmische wie geschmackliche Grenzüberschreitungen gibt es nicht. Dennoch bieten einzelne Bilder und Metaphern Ansatzpunkte für Nachgespräche. Wer daran nicht interessiert ist, kann sich zumindest an der Verschlungenheit der einzelnen Stränge und wiederkehrenden Rollen erfreuen.
Dragojevic zeigt von vielen etwas und liefert keine universelle Antwort auf das Gezeigte. Die surrealen und magischen Momente fügen sich organisch in den Mikrokosmos des Geschehens ein und werden nicht bis ins Bodenlose ausgereizt. Ähnlich verhalten sich die Spezialeffekte, die dezent oder nur gezielt gehäuft eingesetzt werden und die (Sprach-)Bilder nie verzerren. Indes lässt Der Schein trügt einzelne seiner Stränge lose dem Ende entgegenlaufen und schließt dann mit seines Geschichten mit unaufgeregter und lascher Schlusspointe ab.
Fazit
Seicht beginnend spinnt sich der satirische Genremix düster humorig durch drei miteinander verwobene Kurzgeschichten und überzeugt vor allem in seinen bizarren Momenten. Die Groteske gibt Spielraum für Interpretationen und Bildentschlüsselungen, formuliert andere Aussagen aber auch stumpf und glanzlos. Nicht jeder Strang hat seinen Reiz, jenen suchen auch ein Großteil der Figuren. „Der Schein trügt“ löst seine titelgebende Behauptung zwar auf seine Art und Weise ein, ein durchweg amüsantes Seherlebnis bringt er allerdings nicht zum Glänzen.
Autor: Paul Seidel