Inhalt
Thriller basierend auf dem Roman Flußfahrt von James Dickey. Vier Großstädter begeben sich nichts ahnend auf eine Kanutour durch einen wilden Fluss. Zwei von ihnen kommen vom Weg ab und geraten in die Fänge von brutalen Hinterwäldlern. Es beginnt ein Kampf um Leben und Tod.
Kritik
Denkt man über Epochen in der Kinogeschichte nach, so wird jene, die in den ganz späten 60ern anfing, in den 70er Jahren ihre Blütezeit hatte und sich New Hollywood nennt, wohl eine der herausragenden sein. Was für eine Zeit für allerhand Menschen, die es wagten das harmlose und fast schon prüde Mann-und-Frau-Schema auflösten und auf einmal zwei Liebende auf eine Killerreise schickte, die Meerestiere auf den Menschen Jagd machen ließen und die Menschen auf den Menschen Jagd machen ließen. Die 1970er als ultimatives Zerstörungsjahrzehnt. Es ist wahrlich aufregend zu sehen, wer damals die Ruder in die Hand nahm und was für Arbeiten diese Menschen heutzutage vorlegen.
John Boorman, der Regisseur dieses Streifens, hat seit den 70ern im ungefähren Vier-Jahres-Rhythmus einen neuen Film gedreht, die ganz großen Nummern jedoch liegen schon ein paar Jahre zurück. „Beim Sterben ist jeder der Erste“ war und ist eine ganz große Nummer. Nicht nur, im Hinblick auf die Epoche des New Hollywood, sondern eben auch als Film. Aber das eine lässt sich hier ohne das andere nicht wirklich beurteilen, so klar und deutlich ist dieser Film ein Zeugnis seiner Zeit. Die Thematik der Destruktion wird hier in mehreren Komponenten deutlich, wenn die vier Freunde (Burt Reynolds, Angelina Jolies Papa Jon Voight, Ronny Cox und Ned Beatty) von der Großstadt auf das Land fahren und sich direkt aufführen, als wären sie die Könige, die nach langer Reise in ihr Königreich zurückkehren.
Sie behandeln die „Eingeborenen“, wie sie sie nennen, respektlos, von oben herab, sie gehen von vornherein davon aus, dass sie höhergestellt sind. Der Vergleich zur glorreichen „Entdeckung“ des amerikanischen Kontinents durch Christopher Kolumbus und das Verhalten der Entdecker gegenüber der ethnischen Bevölkerung des Landes scheint dabei nicht weit hergeholt. Der Mensch verhält sich aber nicht nur untereinander respektlos und provozierend, er behandelt auch die Natur ebenso. Er zerstört sie, am besten zu sehen ist das an der Figur Jerry, die von Reynolds großartig dargestellt wird. Er ist das Alphaltier der Gruppe, mit behaarter Brust, Bizeps und Schnurrbart, er muss immer gewinnen, er versteift sich auf Nichtigkeiten, um an Ende bei jeder kleinsten Gelegenheit als Sieger hervorzugehen. Ohne Rücksicht auf Verluste mäht er sich durch die Natur, tötet Tiere und andere Lebewesen und hat stets den Drang, die Anerkennung von allen zu bekommen - und das tut er zunächst auch.
Die Natur, die hier sinnbildlich von den „Eingeborenen“ verkörpert wird, nimmt nämlich nicht mehr alles wortlos hin, was die Menschheit vornimmt. Als passiv omnipräsente Information ist der große Staudamm zu sehen, der irgendwo in der Nähe gebaut wird. Die Ortschaft wird geflutet werden und alles Leben ausgelöscht. Der Zuschauer und die Figuren wissen das, während sie auf dem Fluss paddeln und einfach mal die fast schon seltsam schöne Natur genießen wollen - und vergessen, was sie vorher angerichtet haben. Zumindest bis die Quittung in Person der Landleute kommt. Zu diesem Zeitpunkt lässt Boorman die Spannung, die vorher in bester Suspense-Manier aufgebaut wurde (ruhig ist angenehm, zu ruhig nicht) regelrecht explodieren.
Aus der Unterdrückung gedeiht die Rache und die wird hier bewusst über alle Geschmacksgrenzen gezogen und bitter inszeniert. Ebenso wie Ed muss das Publikum hilflos zuschauen. Der Kopf kann nicht abgewandt werden, selbst wenn der Zuschauer es wollte, es geht nicht. Man muss Zeuge der Folgen werden, die man bedingt hat. Das heitere Ignorieren, das „ach, so schlimm wird’s schon nicht sein“ funktioniert eben nur, bis das Fass zum Überlaufen gebracht wird und das Chaos beginnt. Chauvinismus, Platzhirschgetue und machohafte Arroganz und Ignoranz (vereint in Jerry) mögen nur einem Individuum helfen, haben aber nie einen gesellschaftlichen Nutzen. Was es jedoch begründen kann, ist der Hass der anderen. Und in diesem Hass verbündet sich der unterjochte Rest und stößt weiter hoch als für möglich gehalten wurde.
Boorman zeigt eben diesen Vorgang der Rebellion in einem Umfeld, das so gar nicht dazu passen mag. Die bildhübsche und harmonische Natur, die in Einklang so viele verschiedene Spezies und Arten vereint, wird Schauplatz für einen Konflikt, in dem Würde und Menschlichkeit untergraben, bzw. begraben werden. Mehr noch, sie werden fallen gelassen und mit den Füßen betrampelt. Der Mensch verfängt sich in einem reaktionären Netz aus Moral, Ethik und dem Gewissen und hält den Versuch der Natur, den Menschen vor dem eigenen Untergang zu bewahren, für einen Angriff. Zwischen der schönen Natur und den widerwärtigen Abgründen der Menschheit lässt Boorman eine neue Dimension entstehen, abseits von Raum und Zeit, eine Dimension des Ungleichgewichts.
Fazit
Mit „Beim Sterben ist jeder der Erste“ inszeniert John Boorman einen Klassiker des New Hollywood-Kinos und einen großartig pessimistischen Film. Der Regisseur führt den Zuschauer dicht an die Natur heran, bis er die frische Luft in der Lunge zu spüren scheint und die Vögel wie neben sich zwitschern hört - und lässt in dieser Umgebung einen der intensivsten Konflikte entbrennen, der sich in der Filmlandschaft so finden lässt. Dabei zeigt er, dass jedwede sogenannte Männlichkeitstypen, Stigmata, Vorurteile, gesellschaftliche Konventionen und „gemeingültige“ Gedankenbilder absoluter Nonsens sind. Der Chauvinismus ist wie der Hochmut, der vor dem Fall kommt. Der sinnbildliche Glauben an das Gute steht hier erst am Abgrund und wird dann abgeschafft, in einem Ende, das man als gut oder schlecht ansehen kann. Das liegt beim Zuschauer. Eine angenehme Freiheit, die wirklich nötig ist, nachdem man für knapp zwei Stunden Zeuge der absoluten Destruktion geworden ist, die sogar die letzte Station vor dem Paradies zu einem schändlichen Totenbett verkommen lässt.
Autor: Levin Günther