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Quelle: themoviedb.org

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Seo-rae (Tang Wei) ist eine Frau, die gern die Kontrolle behält. Selbst als ihr Mann in den Tod stürzt, bleibt sie seltsam unberührt. Der Kommissar Jang (Park Hae-il), vertraut mit den Abgründen der menschlichen Seele, stellt Seo-rae ins Zentrum der Untersuchung. Doch seine Faszination für diese so verletzliche wie aufregend schöne junge Frau unterwandert die Ermittlungen. Jang beobachtet Seo-rae, umkreist sie, verfolgt sie. Aus Verhören werden Gespräche, aus Verdacht wird Hoffnung. Doch die Wahrheit macht ihre eigenen Spielregeln, die Seo-rae und Jang schon bald nicht mehr unter Kontrolle haben.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Wirft man einen Blick zurück auf Park Chan-wooks letzten Film Die Taschendiebin, seit dem immerhin sechs Jahre ins Land gezogen sind, so handelt es sich bei Decision to Leave vermutlich um dessen ebenso überraschende wie konsequente Antwort. Waren es in Die Taschendiebin insbesondere die zahlreichen Wendungen, die dem frei nach Sarah Waters‘ Roman Fingersmith erzählten feministischen Liebesthriller als zentrale Säulen dienten, so scheint Regisseur Park nun zu dem Schluss gelangt zu sein, dass der größte Twist, der sich noch aufbieten lässt, im Twist-Verzicht liegt. Es liegt daher nah, Decision to Leave eine gewisse Reife zuzusprechen, die sich insbesondere im Vertrauen ausdrückt, das Park den Szenen und Figuren seines romantischen Krimis entgegenbringt. Das Erzähltempo ist nun gemächlicher, die Farben sind weniger intensiv und die Charaktere dem Plot auf eine Weise übergeordnet, dass die Kriminalfälle, denen Kommissar Hae-jun (verkörpert durch den aus A Muse und Memories of Murder bekannten Park Hae-il)   nachgeht, mehr als Katalysator denn als Zentrum der Geschichte zu verstehen sind.

Dass zwischen dem Erscheinen von Die Taschendiebin und Decision to Leave sechs Jahre verstrichen sind, lässt sich einerseits durch die COVID-19-Pandemie erklären, andererseits wandte sich der Koreaner mehreren kreativen Intermezzi zu, die ihn seit 2016 beschäftigt hielten: Auftragsarbeiten für die Fondation Cartier pour l’art contemporain in Paris (eine Wiederbegegnung mit Material seines Durchbruchs Joint Security Area aus dem Jahr 2000, neu arrangiert für eine 3D-Experience) und Apple (der Kurzfilm Life Is But a Dream, gefilmt mit dem neuesten Mobiltelefon des Technologiegiganten aus Cupertino), aber insbesondere die Miniserie The Little Drummer Girl, eine britisch-amerikanische John-Le-Carré-Adaption unter der Koproduktion von BBC und AMC, der, nicht zum ersten Mal in Parks Karriere, gewisse Hitchcock-Einflüsse nachgesagt wurden. Tatsächlich war es einst Vertigo, nach dessen Sichtung es den Cinephilen Park, der sich bis dahin als Filmkritiker verdingt hatte—ständig darum besorgt, niemandem in der ihm so liebgewonnenen Filmindustrie auf den Schlips zu treten—zum Filmemachen trieb.

Ähnlich schwindelerregend wie in Hitchcocks bahnbrechendem Klassiker verhält es sich auch in Decision to Leave, ein Melodram, das in seiner Struktur eher Hommage an das Genre denn selbst Kriminalgeschichte ist. Wie beim großen Vorbild zeigt sich Parks Geschichte mit fortlaufender Länge weitaus mehr daran interessiert, den Sehnsüchten ihres Protagonisten nachzuspüren, als den gängigen Regeln des Whodunit zu folgen. Dem an Schlaflosigkeit leidenden Kommissar Hae-jun, um den sich die Geschichte kreist, scheinen solche Sehnsüchte indes gänzlich fremd—zumindest bis zu jenem Fall, der Decision to Leave eröffnet. Über Hae-juns Alltag hat sich ein Schleier der Wohligkeit gelegt, ein wohltemperierter Dunst, der gleichermaßen sein Eheleben wie sein Arbeitsumfeld wie die nebelverhangene Küstenstadt Busan umhüllt. Inspiriert von den schwedischen Kriminalromanen um den Detektiv Martin Beck kommt Parks Hae-jun als ausgesprochen zurückgenommener, eleganter und charismatischer Protagonist daher, der früh in einem Zwischenraum der Kontraste etabliert wird, die Parks erste wahrliche Romanze bis zum Ende durchziehen: das Meer und die Bergspitze, Klarsichtigkeit und Nebulösität. Wenn wir Hae-jun dabei beobachten, wie er sich wiederholt die Augen mit Tropfen beträufelt, äußert sich darin weitaus mehr als chronische Trockenheit. Es ist der Versuch, Klarheit in eine Geschichte zu bringen, die ihm mit fortschreitender Dauer zu entgleiten droht.  

Unweigerlich verbunden mit der geistigen Umnebelung des sonst so souveränen Hae-juns ist Seo-rae, eine des Mordes an ihrem Mann verdächtigte chinesische Witwe, in die er sich bei einem verschwenderisch teuren Edel-Sushi auf der Polizeistation verliebt. Seo-rae, porträtiert durch die großartige Tang Wei (Long Day's Journey into Night), mag, so scheint es in der Folge, verstrickt sein in die Ermordung ihres Mannes, und dennoch scheint es nicht dieser Umstand zu sein, der Hae-jun dazu anhält, Seo-rae Tag und Nacht zu observieren—bis zu einem Punkt gar, an dem sich das Blatt wendet und der Beobachtende zum Beobachteten wird. Einigermaßen unerwartet für einen Park-Chan-wook-Film blitzt in solchen Momenten immer wieder ein feiner Humor durch, der sich weniger durch gewitzte Dialoge denn durch die exzellente Chemie zwischen Park Hae-il und Tang Wei entfaltet. Letztere weckt in ihrer zurückhaltenden wie faszinierenden Femme-Fatale-Performance Erinnerungen an ihre Rolle als Assassinin in Ang Lees Lust, Caution, durch dessen Veröffentlichung sie 2007 nicht nur binnen kürzester Zeit zum internationalen Star avancierte, sondern auch alsbald von der chinesischen Zensurbehörde NRTA aus allen Medienerzeugnissen in Festland-China verbannt wurde.

Das Schockieren des Publikums dürfte dieses Mal allerdings weder für Park noch Wei von großer Bedeutung gewesen sein. Denn anders als Ang Lees Erotikthriller, für dessen unzensierte Version seinerzeit cinephile Chinesïnnen nach Hong Kong pilgerten, kommt Decision to Leave zu keinem Zeitpunkt als Provokation daher. Tatsächlich spielt sich die Liebesgeschichte im Deckmantel des Krimis genauso ab, wie erwartet—oder wie es zu erwarten wäre, hieße der Regisseur nicht Park Chan-wook. Statt sein Publikum wie in seinen Klassikern Joint Security Area, Oldboy oder Die Taschendiebin über einen langen Zeitraum über wichtigste Handlungselemente im Unklaren zu lassen, um über plötzliche Wendungen Spannung aufzubauen, bindet uns der koreanische Altmeister nun allein durch die Aufrichtigkeit seines Protagonisten und die inszenatorische Eleganz, für die Park in Cannes nicht zu Unrecht die Palme für die beste Regie entgegennahm.

Die zentrale Beziehung zwischen Hae-jun und der chinesischen Expatriatin Seo-rae, das legt uns Park mit der Einführung der femme fatale, deren Koreanisch nicht weit über das Bruchstückhafte hinausgeht, nahe, zeichnet sich von Beginn an durch eine Anziehung aus, die sich zu nicht unwesentlichen Teilen aus der Distanz zwischen dem Kommissar und seiner Hauptverdächtigen speist. In einer thematischen Spiegelung stellen sich auf diese Weise die koreanisch-chinesischen Übersetzungen wiederholt als fehlerhaft heraus. Stattdessen, so bedeutet es uns Park, lässt sich jener Graben zwischen Hae-jun und Seo-rae vielleicht einzig mit den Mitteln des Filmes überbrücken. Dann zumindest, wenn die Mise-en-Scène unseren Detektiv mitten in das Apartment Seo-raes projiziert, als dieser über sie nachdenkt oder mit ihr telefoniert; ein Moment, in dem den räumlichen Grenzen zugunsten einer poetischen Bildkomposition eine Absage erteilt wird. Wie in Joint Security Area, in dem uns Park gegen Ende ein Schwarz-Weiß-Foto präsentiert, das verewigt, was sich in der Realität als unerreichbar herausgestellt hatte, beweist das Medium Film in Decision to Leave abermals seine Mittel zur Transgression, wenngleich dieses Mal ohne politische Dimension.

Vom Politischen hat sich Park in Decision to Leave beinah gänzlich gelöst und findet sich, im scharfen Kontrast zu Parks Durchbruch Joint Security Area, nurmehr im Hintergrund wieder. Am deutlichsten äußert sich das anhand der Figur Seo-rae, deren soziale Umstände, wie wir im Laufe der Geschichte erfahren, sich als ausgesprochen prekär ausnehmen. Die Enkelin eines Mannes, der während des 2. Weltkrieges für die koreanische Befreiungsarmee kämpfte, droht nun permanent die Abschiebung nach China—das Land, dessen Armee seinerzeit noch Seite an Seite mit ihrem Großvater gegen die japanische Okkupationsmacht kämpfte. Als ungleich interessanter als der Fall um den Tod ihres Mannes, dessen Sturz von einer Bergspitze Seo-rae mit rationaler Gleichgültigkeit hinnimmt—wenn er sich regelmäßig auf gefährliche Berghänge begebe, sei es kein Wunder, wenn er es irgendwann nicht zurückschaffe—markiert Park auf diese Weise von Beginn an die kleinen und größeren Mysterien, die Seo-rae umgeben und die es uns—gleichsam wie Hae-jun—erschweren, den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Denn, obgleich sich das Drehbuch in der Charakterzeichnung Sao-raes im finalen Akt als raffinierter herausstellt, als es zunächst den Anschein machte—tief im Inneren schwant es uns zu diesem Zeitpunkt schon lange, wohin sich Park mit seiner Romanze bewegt. Das Meer, das steckt Hae-jun bereits im Namen, und als er sich in der abschließenden Szene gegen die immerwährende Gischt stemmt, da stellen sich nurmehr die Fragen, ob Hae-jun es endlich gelungen ist, die eigene Myopie zu überwinden, und ob die titelgebende Entscheidung zum Abschied tatsächlich von Dauer sein wird.

Fazit

Mit "Decision to Leave" betritt Park Chan-wook cineastisches Neuland. Wie eine Rockband nach Jahren des Exzesses scheint auch Park eine neue Herausforderung in der Entschleunigung zu finden. Zweifellos läutet "Decision to Leave" ein neues Kapitel im Œuvre des Koreaners ein, dem viele eine neue, vielleicht gar überfällige, Reife attestieren werden, das sich bisweilen allerdings des Eindrucks nicht erwehren kann, in aller Bedacht auf Souveränität die Risikobereitschaft vermissen zu lassen, die Parks Kino auszeichnet.

Kritik: Patrick Fey

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