Inhalt
Eine Kleinstadt in Oregon: Der hünenhafte Teenager Samson hat soeben am Ufer eines Flusses seine Freundin aus Wut erwürgt. Statt es zu vertuschen lässt er die Leiche dort einfach liegen und erzählt seinen Freunden völlig emotionslos von der Tat, führt sie sogar dorthin. Während die anderen nicht recht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen und die Tatsachen am liebsten ignorieren würden, scheint zunächst nur ihr „Anführer“ Layne die Initiative zu ergreifen, in dem er die Tote verschwinden lassen will. Langsam schleicht sich bei einigen doch so etwas wie Unrechtbewusstsein ein, zumindest bei Matt, der vor einer schwierigen Entscheidung steht…
Kritik
Basierend auf einem wahren Fall erzählt River’s Edge – Das Messer am Ufer nicht unbedingt die Geschichte eines Mordes, es ist vielmehr eine pessimistische und trostlose Darstellung einer halt- und orientierungslosen Jugendgeneration, die bereits jetzt als hoffnungslos gescheiterte Existenzen zu prognostizieren sind. Angesiedelt in einem tristen Kaff in Oregon, in dem so was wie eine Mittelschicht nur auf dem Papier vorhanden scheint. Zumindest bekommen wir davon nicht viel mit. Die als zentrale Figuren dienende Jugendclique kann vielleicht nicht vollständig dem White-Trash-Milieu zugeordnet werden, einige von ihnen kommen aus eventuell noch nicht gänzlich verrohten Verhältnissen. Aber auch diese Exemplare wirken komplett sich selbst überlassen. Elterliche Autorität, Fürsorgepflicht oder wenigstens nur rudimentäre Erziehung, sie findet offenkundig nicht statt. Hat sie noch nie. Und wenn jetzt bisher völlig verantwortungslose Erziehungsberechtigte sich an der Leck-mich-am-Arsch-Attitüde ihrer Sprösslinge chancenlos die Zähne ausbeißen, ist das nicht weniger als hausgemachtes Elend.
Es scheint für den Zuschauer verstörend, wie gleichgültig die Freunde von Samson (Daniel Roebuck, The Devil’s Rejects) auf dessen emotionsloses Geständnis reagieren, ihre Klassenkameradin Jamie umgebracht zu haben. Zunächst halten sie es auch nur für Geschwätz, bis er sie zur Leiche führt. Dort liegt sie, nackt am Ufer des Flusses, mit Würgemahlen am Hals, erste Verwesungserscheinungen deuten sich bereits an. Nicht mal in irgendeiner Form getarnt, jeder der dort vorbeikommen sollte würde sie sofort entdecken. Statt nun ernsthaft schockiert zu sein folgt eine befremdliche, lethargische Gleichgültigkeit. Gut findet niemand diese Situation, aber es zeigt auch nicht einer eine logische, zu erwartende Reaktion darauf. Nicht mal Samson selbst, dem es offenbar ziemlich egal ist, ob er dafür auf den elektrischen Stuhl kommt oder nicht. Bis auf den aufgedrehten Layne (Crispin Glover, Zurück in die Zukunft), der sich ohnehin als Anführer der Gruppe betrachtet und nun alles dafür tun will, dass sein Kumpel nicht in die Todeszelle kommt. So wird nur aufgrund seines Drucks die Leiche wenigstens schlampig im Fluss versenkt (oder versucht dies zu machen) und als die Polizei unweigerlich (da doch noch nicht alle der Gruppe ihr Gewissen komplett betäubt haben) von dem Verbrechen Wind bekommt, versteckt er Samson bei dem psychisch instabilen Ex-Biker und Drogendealer Feck (Dennis Hopper, Easy Rider), der selbst vor Jahren ein Mädchen ermordete und spätestens seitdem seinen Verstand endgültig verloren hat.
„Irgendwie ist das hier…aufregend!“
River’s Edge – Das Messer am Ufer ist das deprimierende Portrait einer Coming-of-Age-Sackgasse. Der Gegenentwurf zum Kino eines John Hughes (Breakfast Club – Der Frühstücksclub), in dem oberflächliche Teenager-Klischees- und Rollenmuster empathisch und zärtlich aufgebrochen wurden, um den wahren Menschen dahinter zu finden und gut situierten Ober- bis Mittelschichtenkids mit den normalen Alltagsproblemen eines Heranwachsenden aufzuzeigen, das am Ende des Tages nicht alles so hoffnungslos ist, wie man es während der Pubertät vielleicht wahrnimmt. Tim Hunter hingegen liefert eine schonungslose und wirklich zutiefst bedrückende Bestandsaufnahme. Einer verlorenen Jugend, basierend auf einer nie existenten Kindheit. Vernachlässigung, Drogen und Gewalt sind seit je her fester Bestandteil des Alltags. Was in einer frühen Form der Lebensmüdigkeit resultiert. Aufgrund mangelnder Konsequenzen, die aus ihrem – oder irgendeinem – Handeln jemals stattfanden. Die halben Kinder haben nie gelernt oder vielleicht auch verlernt, was es heißt an den nächsten Tag zu denken. An die Folgen ihrer Taten. Sie sind so abgestumpft in ihrer Perspektivlosigkeit, dass sie instinktiv keine Notwendigkeit mehr sehen, irgendetwas aktiv zu beeinflussen. Lassen die Dinge einfach laufen und ergeben sich dem Strudel aus Passivität und Gleichgültigkeit. Zu den entscheidenden Ausnahmen werden Layne, Feck, Matt (Keanu Reeves, John Wick) und dessen kleiner Bruder Tim (Joshua John Miller, Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis), die etwas unternehmen – auch wenn sie meist die falschen Entscheidungen treffen.
Hoffnungslosigkeit dominiert den Grundton der dritten Regiearbeit von dem später hauptsächlich im TV tätigen Tim Hunter (u.a. Hannibal). Die zwar gen Ende ein paar verständnisvolle und warme Annährungsversuche an normale Empathie zulässt und wenigstens den Hauch einer Chance für Besserung ermöglicht, grundsätzlich aber keine schalen Weltverbesserungs-Theorien aufstellt. Ohnehin keine konkrete Ursachenforschung oder Problemlösung betreibt, sondern einfach nur darstellt. Beklemmend, aber authentisch. Sensibel, aber nicht verklärend, weit weg von Optimismus. Deprimierend und eindringlich, von Frederick Elmes (Eraserhead) vortrefflich und der Stimmung angepasst fotografiert und mehr als überdurchschnittlich gespielt. Die damaligen Newcomer Crispin Glover, Keanu Reeves und besonders Daniel Roebuck begründeten mit extrem starken Leistungen damit ihre folgenden Karrieren und der einzige Veteran namens Dennis Hopper probte scheinbar schon mal für seine direkt darauf folgende Rolle in Blue Velvet. Ähnlich unberechenbar und psychotisch, aber nicht (ganz) so gefährlich und mehr tragisch veranlagt („Der Scheck ist in der Post.“).
Fazit
Zurecht ein leicht abseitiger Kultfilm der 80er-Coming-of-Age-Welle. Näher bei Filmen wie „Rumble Fish“ oder „Auf kurze Distanz“ als bei „Pretty in Pink“ oder „Das darf man nur als Erwachsener“ ist „River’s Edge – Das Messer am Ufer“ eine schonungslos-schmerzhafte Einbahnstraße direkt in soziale Verwahrlosung, mit nur minimalen Wendemöglichkeiten. Die Botschaft ist nicht, dass du alles sein kannst was du willst, sondern das du (inzwischen) maximal Schadensbegrenzung betreiben kannst. Die unlängst schwierigere Aufgabe.
Autor: Jacko Kunze