Halloween hat seine ganz eigenen Bräuche. Schaurig schön verkleidet und mit den Worten Trick or Treat auf den Lippen von Haus zu Haus ziehen, um Süßigkeiten abzugreifen. Kürbisköpfe schnitzen. Das Haus innen wie außen mit allerlei Gruseldeko versehen. Dazu noch Spiele wie apple bobbing, das Entzünden von Leuchtfeuern oder der Aufbau von Labyrinthen aus Strohballen. In einer scheinbar namenlosen, im Mittleren Westen Amerikas gelegenen Kleinstadt frönt man zudem einem weiteren, geradezu martialischen Brauch. Zumindest wenn es nach dem Roman Dark Harvest bzw. dem gleichnamigen darauf basierenden Film von 2023 geht. Alljährlich zu Halloween erhebt sich dort aus den Maisfeldern, die die Stadt umgeben, ein Wesen namens Sawtooth Jack, das sich gen Stadt aufmacht. Den Jugendlichen des Ortes kommt die gefährliche Aufgabe zu, Sawtooth Jack niederzustrecken. Sollten sie versagen und die Kreatur die örtliche Kirche bis Mitternacht erreichen, so droht der Stadt samt den BewohnerInnen Unglück in Form eines zerstörerischen Staubsturms.
Inszeniert wurde Dark Harvest oder wie er im Deutschen heißt Die dunkle Saat von David Slade, dem Regisseur von Werken wie dem atmosphärisch dichten 30 Days of Night oder dem aufwühlenden Hard Candy. Und wie bereits bei 30 Days of Night bekommen, wir bei Dark Harvest einen abgeschiedenen Ort als Handlungsschauplatz geboten. Dabei entfaltet sich vor uns ein regelrecht bizarres Szenario, wie man es in dieser Form nicht gerade oft sieht. Die Handlung ist in den frühen 60er-Jahren angesiedelt. Mehrfach erinnern die in der Exposition aufkommenden Bilder an Werke wie The Outsiders oder The Wanderers. Dabei wird eine nette Reise in die Vergangenheit gewährt, der allerdings abseits von Mode, Frisuren und den zur damaligen Zeit passenden Kulissen samt Kleinstadtrassismus eine gewisse Künstlichkeit anhaftet. Dies beginnt bereits damit, dass das namenlose Städtchen isoliert im absoluten Nirgendwo gelegen zu sein scheint. Wohin das Auge reicht, nur schier endloser Horizont, nicht aufhören wollende Maisfelder sowie eine einzige Straße, die in die Ortschaft hinein- jedoch nur selten hinausführt.
Alles wirkt wie ein unter einer Käseglocke gelegener Mikrokosmos (ähnlich wie bei Under the Dome). Als wären wir durch einen Kaninchenbau gekrochen und plötzlich in einer uns irgendwie bekannten, aber doch seltsam surreal anmutenden Welt gelandet. Einem verwunschenen Ort, aus dem es aufgrund eines nicht näher beleuchteten Grunds schier kaum eine Möglichkeit der Ausreise zu geben scheint. Dazu die seltsamen Geschehnisse zu Halloween. Ein kultischer Brauch, dessen Regeln und Gepflogenheiten uns zwar grob nähergebracht werden, dessen Drumherum aber höchst sonderbar erscheint. Dabei weckt Dark Harvest durchaus Erinnerungen an Werke wie The Hunger Games oder die Serie The 100. Junge Menschen, die eine wichtige Aufgabe, die über die Zukunft der Gemeinde entscheidet, auferlegt bekommen. Die, ob sie wollen oder nicht, von den Erwachsenen zur Teilnahme am Wettstreit gezwungen werden. Eltern, die ihre Kinder freiwillig der tödlichen Gefahr aussetzen. Dazu Regeln wie jene, die besagt, dass die Jugendlichen drei Tage zuvor ohne Nahrung in ihren Zimmern eingeschlossen werden, um sie so richtig schön aggressiv zu machen.
Außerdem wäre da noch eine geheimnisvolle Gilde, die wertvolle Preise in Form von Autos, Wohnhäusern, Bargeld sowie einem „Ticket“ aus der Stadt heraus spendiert. Richie, der jüngere Bruder des letztjährigen Siegers, dient uns in Dark Harvest als Protagonist. Sein Bruder Jim verließ die Stadt unmittelbar nach der Preisverleihung in seiner brandneuen Corvette und ließ sein altes Leben inkl. Familie wie auch Freunden hinter sich. Nun, im Jahr 1963, will Richie seinem älteren Bruder nacheifern. Er will es sein, der Sawtooth Jack den Garaus macht. Dann kann er Jim hinterherreisen. Da er allerdings ein Blutsverwandter des letztjährigen Siegers ist, verbieten ihm die Regeln eine Teilnahme. Aber Regeln interessieren ihn nicht. Genauso wenig wie seine Eltern, die ihn davon abhalten möchten. Er will gewinnen. Nebenbei hat er noch etwas Stress mit rivalisierenden Mitschülern und entwickelt Gefühle für ein neu zugezogenes Mädchen. Im Anschluss an eine gut 30-minütige Exposition, in der wir durch stimmungsvolle Bilder die relevantesten Informationen erhielten, öffnen sich die verschlossenen Türen der Kinderzimmer.
Die Jugendlichen stürmen vor Hunger dem Wahnsinn nahe hinaus auf die Straßen, während ihre Familien in ihren Häusern verweilen. Was uns nun geboten wird, nimmt Züge der The Purge-Reihe an. Abgesehen von den maskentragenden, mit Hieb- bzw. Stichwaffen ausgestatteten Jugendlichen, die schreiend und aufgeputscht umherziehen, sind die Straßen menschenleer. Mancher Ladenbesitzer versucht sein Geschäft mit Waffengewalt vor Plünderern zu schützen, was in einer Entladung der Gewalt mündet. Dazwischen Jugendliche, die sich aus Angst vor dem Monster verstecken. Wer Sawtooth Jack begegnet, segnet ziemlich blutig das Zeitliche. Dessen unheimliches Design ist im Übrigen erfreulich ansprechend. Er wirkt wie eine Mischung aus Pumpkin King (The Nightmare before Christmas) und unmaskiertem Sam (Trick 'r Treat). Dabei ist Dark Harvest zuweilen deutlich mehr an Richies Figur sowie dessen Familie interessiert als an dem Kampf gegen Sawtooth Jack. Die im Vorfeld hochtrabend aufgebauschte Relevanz der Jagd will sich indes nicht so recht einstellen. Vielmehr wirkt das Ganze wie eine Art tödliches Spiel, dem, anders als zuvor suggeriert, keinerlei schicksalhafte Tragweite innewohnt. Ein allzu ausgedehntes, verzweifelt geführtes Gefecht sollte daher definitiv nicht erwartet werden.
Ein großes Finale bleibt uns Dark Harvest ebenfalls schuldig. Es ist sogar vielmehr so, dass der Film ein weitestgehend offenes Ende bietet. Außerdem kommt man zum Schluss nicht umhin zu fragen, ob das jetzt wirklich schon alles war. Insbesondere, da viele Zusammenhänge und vor allem Hintergründe sträflich unbeleuchtet bleiben. Wir erfahren so gut wie nichts über die gleichermaßen mächtige wie geheimnisvolle Erntegilde. Wir erfahren nicht, warum gerade die Jugendlichen den Kampf aufnehmen müssen oder warum das Monster überhaupt alljährlich aufersteht. Nichts darüber, wieso es die Kirche erreichen will oder warum es dies unbedingt bis Mitternacht geschafft haben muss. Es ist in etwa so, wie wenn uns Sleepy Hollow bloß den Kampf gegen den kopflosen Reiter präsentiert hätte, nicht aber die Gründe für sein Erscheinen oder die Motive für sein Handeln. Schade, um nicht zu sagen ärgerlich, dass der Film so viel des vorhandenen Potenzials ungenutzt verpuffen lässt. Zumal die vorherrschende Realität des Films durchaus faszinierend wirkt, die atmosphärischen Bilder zu gefallen wissen und das moderate Tempo ohne nennenswerte Längen auskommt.