Durch seinen markanten Schreibstil, mit dem er die Stimmungen seiner oftmals kargen, staubigen oder weitläufigen Schauplätze fast schon persönlich fühlbar macht und zusätzlich durch abschreckende, schonungslose Schilderungen von Gewalt intensiviert, gilt Cormac McCarthy (The Counselor) schon lange als einer der beliebtesten, talentiertesten Autoren Amerikas. Zu den glühenden Verehrern von McCarthys Schaffen zählt auch James Franco (The Interview), der wiederholt gestand, dass der Autor nicht nur sein Leben verändert habe, sondern für ihn so etwas wie einen Gott darstellen würde. Neben den Werken von William Faulkner, die Franco ebenfalls maßgeblich prägten und von denen er schließlich zwei adaptierte und als Filme inszenierte, erfüllte sich das als Schauspieler, Regisseur und mittlerweile in beinahe sämtlichen künstlerischen Bereichen tätige Multitalent einen Traum, indem er McCarthys Roman Child of God verfilmte.
Ob der öffentlichkeitsscheue Autor den Film bislang gesehen hat und was er von der Umsetzung hält, ist nicht bekannt, doch mit Franco hat sich ein Künstler dem Projekt angenommen, der ebenso wie McCarthy selbst keine Kompromisse scheut und als ideale Persönlichkeit für diese Aufgabe gelten darf. Child of God ist eine unbequeme, spezielle Seherfahrung, die sich einem verwilderten Einzelgänger widmet, der in den 60ern fernab von der Zivilisation durch die Wälder streift, üblicherweise mit einem Gewehr bewaffnet, und durch sein eher animalisches, primitiv anmutendes Verhalten von den örtlichen Einwohnern verstoßen wird. Direkt zu Beginn verliert Lester Ballard das Haus seines Vaters, das gleichzeitig seinen Wohnsitz darstellte, und ist dazu gezwungen, mitten in den Wäldern auf sich alleine gestellt nach einem neuen Zuhause zu suchen.
Bereits von der ersten Szene an, in der Lester vor die Kamera tritt, offenbart seine Erscheinung beachtliche Züge, die von der imposanten Erscheinung des Mannes ausgehen, der durch sein ungepflegtes Äußeres und vor allem den stechenden, stoischen Blick eine Präsenz zeigt, die man so sonst nur von gefährlichen, mörderischen Psychopathen aus Horrorfilmen gewohnt ist. Tatsächlich ist der von Scott Haze (Midnight Special) faszinierend gespielte Hauptcharakter das Epizentrum des Films, dem die überwiegend unruhig geführte, geradezu nervöse Kamera nur ganz selten von der Seite weicht.
Franco verfolgt die Handlungen von Lester mit einer gewöhnungsbedürftigen Langsamkeit, durch die sich Child of God zu einem überaus sperrigen Erlebnis entwickelt. Die ambivalente, beunruhigende Persönlichkeit der Hauptfigur verschmilzt mit den ausufernden Einstellungen zu einem Erzählrhyhthmus, in dem der Betrachter wie durch einen pechschwarzen, zähflüssigen See aus Teer schwimmen muss, um sich die zweifelsohne vorhandenen Qualitäten des Streifens zu erschließen. Einige Szenen, in denen der Regisseur den Protagonisten aufgrund moralisch höchst anstößiger Aktionen durchaus als das brutale Monster entblößt, das viele Zuschauer vermutlich schon nach dem Auftakt vor Augen hatten, strahlen die furchtlose Atmosphäre der schmutzigen Skandalfilme aus, wie sie in den 60ern oder 70ern entstanden sind, doch Franco beschränkt sich keineswegs darauf, Lester als das pure Böse darzustellen.
Viel mehr funktioniert Child of God als polarisierende Charakterstudie, in der ein Mensch nicht den üblichen Vorschriften des zivilisierten Lebensstandards entspricht, wodurch er zum geächteten, abtrünnigen Außenseiter mutiert, der sich in seiner extrem isolierten Situation nichts sehnlicher wünscht als Nähe und Geborgenheit. Die Methoden, mit denen Lester diese Zwischenmenschlichkeit schließlich erzwingt, mögen widerwärtig erscheinen, doch für ihn stellen sie den letzten Ausweg dar, um überhaupt noch so etwas wie liebevolle, sexuelle Erfahrungen gewinnen zu können.
Ein tragischer, aber ebenso denkwürdiger Höhpunkt ist in diesem Zusammenhang die Szene, in der Lester auf dem Jahrmarkt mehrfach am Schießstand triumphiert, um anschließend alleine und wie ein kleines Kind mit ein paar großen Stofftieren davonzuschreiten, die er fortan wie Ersatzfreunde behandelt. Wie man diese Figur schlussendlich bewertet, überlässt Franco am Ende jedem selbst. Den eindeutigen Weg hat er dabei aber glücklicherweise durchgängig umlaufen.