Inhalt
Laura ist Anwältin, die einen verzweifelten Klienten davon überzeugen will, dass eine Arbeitsrechtsklage erfolglos sein wird. Gina und ihr Mann Ryan beginnen mitten im Wald mit dem Bau eines eigenen Hauses und möchten dafür dem alten Nachbarn die Natursteine abluchsen, und haben eine schwer pubertierende Tochter im Gepäck. Die junge Pferdepflegerin Jamie verliebt sich in Beth, eine Jurastundentin, die Abendschulunterricht auf dem Land gibt. Der Film, basierend auf Kurzgeschichten der Schriftstellerin Maile Meloy, verweigert sich der Zuschreibung von üblichen Frauen-Filmfigur-Klischees (von der"starken Frau" bis zum "Opfer"). Er gewinnt dadurch realistische, nachvollziehbare Charaktere, die sich mit alltäglichen Problemen herumschlagen - Anerkennung als Kompetenz, Verständnis ohne Gönnerhaftigkeit, Einsamkeit und (herzzereißende) Sehnsucht. Mit aller Ruhe und besonderer Aufmerksamkeit fürs Subtile und für Zwischentöne ermöglicht Certain Women ein wunderbar angenehmes, gelassenes Schauen, das es natürlich in sich hat: gerade das scheinbar Nebensächliche, die alltäglichen Kleinigkeiten prägen hier Beziehungen und Verhältnisse, nicht große Ereignisse.
Kritik
Bescheidenheit ist eine Tugend, die im kontemporären Kino schon lange kein Usus mehr zu sein scheint. Doch inmitten aller Zwänge der Selbstdarstellung, des Geltungsdrangs, des Größenwahns und der Nabelbeschauung, gibt es immer wieder Filme, die verstanden haben, dass gerade in der (oberflächlichen) Schlichtheit eine horizonterweiternde Bedeutungsvielfalt liegt, die das Publikum jenseits aller nominierten Sehgewohnheiten entfalten muss – gesetzt den Fall, dieses ist aufgeschlossen genug, die ruhigen Töne zu lesen, zu entschlüsseln und zu deuten. Kelly Reichardt (Night Moves) ist eine der Künstlerinnen, deren Werke sich noch als symphonische Elegien definieren und den Zuschauer dahingehend anleiten, die Stille zu erkunden. Mit ihrem neusten Output, Certain Women, wird nicht nur dieser Umstand weitergehend unterstrichen; Reichardt baut auch ihre Reputation als hochgradig belangvolle Autorenfilmerin weiter aus.
Begrüßt wird man von Kelly Reichardt mit einer uramerikanischen Landschaftsimpression des verschneiten Montanas, durch welches sich eine schnaubende Dampflok ihren lärmenden Weg bahnt. Eine gefühlte Ewigkeit scheint es in Anspruch zu nehmen, bis sich das grölende Stahlross aus der Tiefe des Bildes in die Vordergrund vorgekämpft hat. Diese Eröffnung ist für den weiteren Verlauf von Certain Women in vielerlei Hinsicht programmatisch zu verstehen. Nicht nur, wird hier auf eine Langsamkeit verweisen, die keinesfalls einen Anflug an Langatmigkeit impliziert, sondern vielmehr die Meditation des Moments forciert. Auch möchte der Einblick in ein provinzielles Amerika im ersten Augenblick keine Wehmut heraufbeschwören, sondern postwendend aufzeigen, dass derlei spezifizierte Gefühlsregungen an dieser Stelle unangebracht sind. Was sich im Kern der meisterhaften 16mm-Kompositionen aber wirklich verbirgt, bliebt der Auffassung des Zuschauers überlassen.
Certain Women verweigert es, dem Zuschauer ausbuchstabierte Offensichtlichkeiten zu unterbreiten. Kelly Reichardt zollt Ergebnissen, Zeugnissen, Lösungen kein Interesse – und noch weniger möchte sie ihren Film unter dem despektierlichen Stigma 'Frauenfilm' residieren lassen. Das Schöne an Certain Women ist, dass er in seinen Motiven von universaler Beschaffenheit gezeichnet ist und simultan dazu die Könnerschaft aufweist, von den in unserem Bewusstsein festgewachsenen Geschlechterstrukturen unserer Zeit zu sprechen. Die weiblichen, allesamt wunderbar besetzten und plastisch geschriebenen Hauptcharaktere beanspruchen keine parolenhafte Perspektive für sich. Sie sind alle vielmehr Bestandteil eines kontemplativen Diskurses über Ängste, Bestrebungen, Ernüchterung und Begehren. Kelly Reichardts subkutane Genialität liegt darin begraben, erzählerisch wie stilistisch tiefzustapeln und doch einen nachdrücklich-hintersinnigen Bogen zu spannen, der im Innerem das Leben in all seinem wechselhaften Facettenreichtum gebärt.
Fazit
Ohne Zweifel zählt Kelly Reichardt zu den wichtigsten Filmemacherinnen (und damit allgemein Künstlern) unserer Zeit. Ihr neustes Werk, "Certain Women", ist ein erneuter Beweis für die kontemplative Meisterschaft ihrer Person. Anstatt sich verkürzten Offensichtlichkeiten und Lösungen hinzugeben, erzählt sie über die immense Kraft der Bilder von den Bedürfnissen und Ängsten ihrer Hauptdarstellerinnen und überlässt dabei gleichwohl viel der individuellen Auffassung des Publikums. In der Stille liegt hier die Stärke begraben.
Autor: Pascal Reis