Inhalt
Die Erde ist seit fast 10 Jahren von außerirdischen Invasoren besetzt. Offiziell existiert kein Verbrechen mehr, die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tief und Armut wurde ausgemerzt. Doch diese scheinbar perfekte Welt hat eine düstere Kehrseite. Die Menschheit steht unter aufoktroyierter Kontrolle, die meisten ergeben sich ihrem Schicksal und kollaborieren. In Chicago jedoch formiert sich Widerstand im Untergrund: eine kleine Gruppe Aufständischer ist fest entschlossen, sich gegen die Eindringlinge zur Wehr zu setzen. Was nicht nur die Machthaber aus der fremden Galaxie, sondern auch deren Handlanger mit allen Mitteln verhindern wollen. Es beginnt eine erbarmungslose Jagd auf die Verschwörer, bei der nur eine Seite überleben kann…
Kritik
Die Geschichte liest sich als wäre sie von einem viel prämierten Buch adaptiert. Ist sie aber nicht. Nicht direkt zumindest. Der inhaltliche Rahmen um die Nachwirkungen einer feindlichen Alienübernahme des Planeten sowie aufkeimende Protestbewegungen und Revolutionsversuche stammt zum Großteil aus der Feder des Regisseurs Rupert Wyatt (Planet der Affen - Prevolution) selbst, der sich zwar nicht oft ins Rampenlicht Hollywoods vorwagt, wenn er es tut, aber immer mit interessanten Ideen und Inszenierungskonzepten neugierig machen kann. Auch nach der Sichtung seines Science-Fiction-Thrillers Captive State ändert sich die Überzeugung, bei Captive State handele es sich um eine Literaturverfilmung, keinesfalls. Durch eine Vielzahl von Figuren, Plotlines sowie einer riesengroßen Hintergrundgeschichte wirkt Capitve State in seinen 110 Minuten oftmals wie das Abhaken großer Storymomente, ohne dass den kleinen Expositionsszenen dabei viel Raum gegönnt wird.
Etwas wirklich Neues präsentiert uns Wyatt hier sicherlich nicht. Die Geschichte einer übermächtigen, gesichtslosen Regierungsinstanz hat bereits George Orwell in seinem Roman 1984 hochgradig mitgeprägt. Und in vielerlei Hinsicht wirkt Captive State von Orwells Big Brother-Roman inspiriert. Datenüberwachung ist ein ebenso großes Thema wie die Kontrolle des Staates über den kleinen Bürger, dem ohne Wenn und Aber die Ideologien einer fremden Macht durch Gewalt und Angst aufgedrückt werden. Politische Überschneidungen zu unserer aktuellen Welt sowie einer Vielzahl Ängste und Ideologien lassen sich da sicherlich schnell ziehen, Wyatts Science-Fiction-Thriller evoziert aber so gut wie nie das Gefühl hier ein politisches Statement abgeben zu wollen. Vordergründig geht es um die Form der Erzählung und ihre Inszenierung. Es geht um das Erleben der Situation selbst.
Aber was ist eigentlich der Fokus dieses Films? Trotz der umfangreichen Charakterriege, die renommierte Namen wie John Goodman (Kong: Skull Island) oder Vera Farmiga (The Conjuring 2) umfasst und den unzähligen emotionalen Konflikten und Charaktermotivationen, präsentiert uns Captive State keinen so rechten Protagonisten, keine Figur, an die sich der Zuschauer wirklich heranhängen kann. Das geht sogar so weit, dass der Film seine Figuren oftmals zu Zweckmitteln missbraucht um den Plot voranzubringen. Weder wird die Beziehung von Rafe (Jonathan Majors - White Boy Rick) zu seinem Bruder (Ashton Sanders - Moonlight), die anfangs noch wie das zentrale Motiv des Films wirkt, vertieft, noch steht der emotionale Zwist John Goodmans Figur zwischen Gehorsam und Trieb im Mittelpunkt. Und die Hintergründe der außerirdischen Invasoren spielen sowieso nie eine Rolle. Immer wieder läuft die Handlung von Captive State ins Leere, nimmt plötzliche Abzweigungen und fühlt sich, wie gesagt, nach dem Abhaken großer Storylines einer eigentlich viel tiefer gehenden Geschichte an.
Das muss aber natürlich nicht zwingend nur negativ gemeint sein. Trotz all dieser inhaltlichen Fragezeichen und dem Fehlen eines echten Fokus kann Wyatt den Zuschauer nämlich in der Welt des Films gefangen nehmen. Das führt dann zu ein paar immens mitreißenden Szenen, die nachhaltig durch die treibende Musik von Rob Simonsen (Foxcatcher) sowie Wyatts zwar hektische aber dennoch selbstbewusste Bildsprache aufgewertet werden. Nur das CGI lässt in vielen Momenten zu wünschen übrig, was die Frage eröffnet, warum der Film sich überhaupt mit einem Science-Fiction-Szenario befasst. Jede gesichtslose Instanz hätte im Rahmen dieser Handlung genügt, die Aliens werden im Film viel zu oft an die Seite geschoben oder durch Wackelkamera oder Dunkelfilter unkenntlich gemacht. Das nimmt vielen Spannungsmomenten hier und da unnötigerweise ihren Pfiff.
Der Sog, den Captive State auf der Leinwand entfaltet, der in seinen besten Momenten an die atmosphärisch dichte Eröffnungssequenz von Nicolas Winding Refns Drive erinnert und der, trotz inhaltlicher Vorhersehbarkeit, gegen Ende überraschend rund abgeschlossen wird, kann aber trotzdem nicht verschwiegen werden. Ein Film, der in Hinblick auf seine Einzelteile eigentlich nicht funktionieren dürfte und es im großen Ganzen trotzdem irgendwie tut. Und das ist mit Sicherheit als Lob zu verstehen.
Fazit
Inhaltlich ohne echten Fokus, emotional oft aufgesetzt und charakterlich voller eigenartiger Lücken dürfte Ruper Wyatts Invasionthriller "Captive State“ eigentlich nicht funktionieren. Tut er in seinen besten Momenten aber doch: Trotz Wackelkamera stylisch inszeniert, trotz miesem CGI cool designed und trotz Eintönigkeit musikalisch unheimlich treibend bietet "Captive State" dem Zuschauer einen höchst eigenwilligen Science-Fiction-Snack, der weniger durch seinen Inhalt und mehr durch seine Darstellung zu einigen spannenden Diskussionen anregen wird. Ein im Großen und Ganzen lauwarmer Film, der einen wie aus dem Nichts mit schmackhafter Würze überrascht.
Autor: Thomas Söcker