Einer der angeblichen Gründe, warum Colin Trevorrow als Regisseur bei Star Wars: Episode IX gefeuert wurde, soll das wirklich miserable Abschneiden von The Book of Henry an den amerikanischen Kinokassen gewesen sein. Vor allem Universal, für die Trevorrow mit Jurassic World einen der erfolgreichsten Blockbuster der letzten zehn Jahr inszenierte, traf die Box-Office-Zahlen hart, denn immerhin hatte man gehofft einen einnehmenden Crowd Pleaser im Line Up zu haben. Doch das Drama ging unter, wie ein Schiff mit mehreren Löchern auf See. Dazu bei geholfen haben mit großer Sicherheit auch die teils vernichtenden Kritiken des Presse, die Trevorrow u.a. Talentlosigkeit attestierten. Um das klar zu machen, The Book of Henry ist wirklich kein guter Film, aber das liegt nicht alleine am Regisseur. Viel mehr ist der Hauptschuldige wohl das Drehbuch.
Erdacht und verfasst wurde das Drama von Gregg Hurwitz, einem Autor, der sonst eher im Serienbereich aktiv ist und bei Projekten wie V oder Queen of the South seine Finger und Drehbuchseiten im Spiel hatte. Hurwitz gab an, über mehrere Jahre am Script zu The Book of Henry gearbeitet zu haben und auch wenn der gesamte Storyverlauf des Films schon beim ersten Entwurf klar war, so wirkt das Endergebnis doch so, als ob er über die Jahre hinweg so lange an seinem Buch herum gewerkelt und pseudo-optimiert hat, dass es nun so wirkt, als wären es drei verschiedene Filme, die gewaltsam in einen gepresst wurden. Wenn man so will ist Hurwitz Dr. Frankenstein und The Book of Henry ist seine Kreatur, die Regisseur Trevorrow nun zum Leben erweckte.
Aber was sind das für drei unterschiedliche Filme, die sich in The Book of Henry befinden? Da wäre einmal ein fluffiges Drama, um eine alleinerziehende Mutter (Naomi Watts, Tödliche Versprechen - Eastern Promises) und ihrer zwei Söhne. Henry (Jaeden Lieberher, Es), der älteste, ist hochbegabt und versucht sich trotz seiner klar autistischen Natur im normalen Leben zu recht zu finden, um seinen kleinen Bruder (Jacob Tremblay, Raum) und seine Mutter zu unterstützten. Dieser Plot wandelt sich schließlich in ein schablonenhaftes wie tränenreiches Sterbe-Drama, das wiederum den Startschuss bietet für einen Thriller, in dem Henrys Mutter nach seinen Anweisungen versucht, den bösen Nachbarn (Dean Norris, Breaking Bad) zu töten, weil dieser angeblich seine Tochter (Maddie Ziegler, Ballerina) missbraucht. Nicht nur dabei zeigt sich, dass der geniale Henry ziemlich manipulativ ist und nur eine Moral kennt: seine eigene.
Es passiert also sehr viel in The Book of Henry. Passt das alles zusammen? Irgendwie nicht. Auch wenn Hurwitz mit seinem Script penibel darauf achten, alle kommenden Kurswechsel vorzubereiten. Doch dabei widerspricht sich der Film andauernd selbbst. Wo z.B. gerade keine finanziellen Probleme waren, gibt es plötzlich welche – ohne dies genauer zu erklären. Der gesamte Verlauf der Handlung wirkt inkonsistent und vor allem zu elendig zusammen konstruiert, dass es fast schon amüsant wirkt, wenn Henry via Kassette seiner Mutter Instruktionen gibt, wie sie ohne Zeugen den bösen Nachbarn töten kann.
The Book of Henry macht tatsächlich durchaus Spaß, wenn man sich darauf einlassen mag, die Konstruktion des Films zu hinterfragen. Dann kristallisiert sich nämlich rasch, dass Henry trotz Hochbegabung und Helfersyndrom vielleicht doch nicht nur der unverstandene Autist ist, sondern auch ein kriminelles Genie, welches durchaus das Zeug gehabt hätte, einige Jahre später als Widersacher von 007 aufzutreten – oder zumindest als Killer-of-the-Week in einer Folge von Criminal Minds. Das hilft aber nicht dabei, dass The Book of Henry durchgängig überzeugt und wohlwollend in Erinnerung bleibt. Viel mehr hat es etwas von einem miefigen Kuriositätenkabinett, in dem man hier und da einige erstaunliche Dinge, zwischen übermäßigen Plunder und falschen Artefakten, findet.
Colin Trevorrow inszeniert das technisch ohne größere Patzer, aber auch frei von wirklich individuellen Statements. Vielleicht wollte er dieses Script verfilmen, weil er darin eine Herausforderung sah? Gut möglich, dass er sich behaupten und beweisen wollte. Aber ganz ehrlich, selbst die größten Filmemacher hätten mit diesem Drehbuch ihre Schwierigkeiten gehabt. Aber wahrscheinlich gäbe es einige, die es auch interessant gefunden hätten, mit dem Gedanken zu spielen, Hurwitz Vorlage umzusetzen. Denn dieses Drehbuch gleicht der Wirkung eines Flitzers, der nackt über den Rasen rennt: Man schaut hin, ist so fasziniert wie ratlos und fragt sich dennoch, warum zum Teufel hat er es getan. Begeisterung löst ess aber nicht aus. Es bleibt redundant und verzichtbar.