Inhalt
Regisseur Jack Horner (Burt Reynolds, “Beim Sterben ist jeder der Erste”, “Ein ausgekochtes Schlitzohr”, “Auf dem Highway ist die Hölle los”, “Striptease”) möchte endlich einmal einen Pornofilm drehen, den der Zuschauer auch dann noch spannend findet, wenn er bereits gekommen ist. In einer Bar trifft er den 17jährigen Tellerwäscher Eddie Adams (Mark Wahlberg), dessen außergewöhnlich großer Penis ihn sofort begeistert. Er nimmt den Jungen, der sich den Künstlernamen Dirk Diggler gibt, sofort unter Vertrag. Schon nach kurzer Zeit ist er ein großer Pornostar, aber durch seinen exzessiven Lebenswandel führt der Weg bald wieder nach unten.
Kritik
Mit seinem erst zweiten Kinofilm ist Ausnahmeregisseur Paul Thomas Anderson ("The Master") gleich einer der besten Filme der 90er Jahre gelungen. „Boogie Nights“ erzählt dabei zwar nur eine eigentlich handelsübliche Rise-&-Fall-Story, ist gleichzeitig jedoch ein hervorragender Ensemblefilm wie ein akribisch-detailliertes Portrait des „Golden Age of Porn“. Nach dem sensationellen Erfolg eines „Deep Throat“ schien diese Industrie sich kurzzeitig aus ihrem Schattendasein zu erheben, blühte auf wie nie zuvor und die daran Beteiligten glaubten vereinzelt sogar, sich einen Namen im seriösen Filmgeschäft machen zu können. Das dieses Zeitalter in Wahrheit bereits der goldene Herbst war, ahnte 1977 noch keiner und für den langen, harten Winter (oder eher die alles verändernde Eiszeit) war niemand recht gewappnet.
Zu dem Zeitpunkt, an dem uns Anderson in diese Ära eintauchen lässt, mochte keiner an Morgen denken, im Hier und Jetzt scheinen Ruhm und Geld nur eine Schwanzlänge entfernt. Zumindest, wenn man einen so göttlichen Prügel wie der 17jährige Eddi Adams (so gut wie nie wieder: Mark Wahlberg, „Lone Survivor“) hat. Ein hübsches Gesicht, ein gestählter Körper und ein Gemächt wie ein Pferd. Solche Talente bleiben dem gewieften Regisseur – oder wie er es bevorzugt: Filmemacher – Jack Horner (schlicht grandios: Burt Reynolds, „Ein ausgekochtes Schlitzohr") nicht lange verborgen. Vom Fleck weg, also von seinem Job als Tellerwäscher, engagiert er den aufgeschlossenen, wenn auch etwas naiven, blauäugigen Jungen, macht aus ihm in kürzester Zeit den Shootingstar der Szene: Dirk Diggler. Die Welt, oder zumindest DIESE Welt, liegt Dirk bald zu Füßen, aus dem Jungen mit dem „Serpico“-und Bruce-Lee-Postern an der Kinderzimmerwand wird der begehrteste Stecher der Erwachsenenunterhaltung, der sein neureiches Appartement nun mit Schnick-Schnack schmückt, den er kaum in der Lage ist fehlerfrei auszusprechen. Sein Stern ist aufgegangen und überstrahlt alles, doch der Erfolg steigt ihm vom Schwanz durch die Nase in den Kopf, sein Talent droht wie sein Charakter im Schneegestöber unterzugehen und bevor er es sich gewahr wird, ist er schon wieder verglüht. So wie auch die Industrie, aus den Kinos direkt auf Video verdrängt. Eine Entwicklung, gegen die sich auch der standhafte Jack Horner nicht auf Dauer stemmen kann. Gegen seine Ideale, seinen Traum einen Film zu machen, der die Leute dazu bringt „in ihrem Saft sitzen zu bleiben“, weil sie die Geschichte fasziniert. Aus dem selbsternannten Orson Welles der Pornographie wird notgedrungen ein Massenfilmer wie jeder andere auch. Der große Fall hat begonnen, die Frage ist nur, wer schlägt wann wie hart auf den Boden auf und wer landet doch noch auf den Füßen?
Von der ersten Sequenz an entführt einen „Boogie Nights“ förmlich. Zu „The Best of My Love“ von THE EMOTIONS gleitet die famose Kamera von Robert Elswit („Magnolia“) durch einen Nachtclub, lässt uns erste Bekanntschaft mit den Figuren, aber viel mehr mit der Stimmung und dem Lebensgefühl dieser Zeit machen. Allein die Arbeit von Elswit und die von Anderson unglaublich kreierten Plansequenzen sind schon das Ansehen wert. Ihren Höhepunkt finden sie während der ersten Party in Horner’s Villa, was selbst Martin Scorsese und Michael Ballhaus zu besten „Goodfellas"-Zeiten nicht hätten besser machen können. Praktisch ohne Stillstand werden die zahlreichen Figuren verfolgt, bei einem Gespräch kurz verharrt nur um sich dann schwungvoll weiterzubewegen, selbst vor dem Sprung in den Pool nicht Halt zu machen. Viel dynamischer, dabei nie hektisch oder hastig, kann innerhalb einer kurzen Zeit überhaupt kein so intensiver, sinnvoller und eindrucksvoller Querschnitt durch ein lebhaftes Treiben erfolgen. Dazu unterlegt mit einem authentischen, wunderbaren Soundtrack, dessen Auswahl niemals willkürlich, sondern wohl überlegt die einzelnen Szenen von Inhalt und Wirkung unterstützt. Der technische Aspekt ist bei „Boogie Nights“ nur ein Detail, allerdings eines von vielen, die in ihrer Gesamtheit dieses bald einmalige Erlebnis in ein Meisterwerk verwandeln.
Es sind in erster Linie die Figuren, die so liebevoll und sympathisch ausformuliert sind, dass man an ihrem Schicksal unweigerlich teilhaben möchte. Sei es Eddie bzw. Dirk, der sich vom anfangs leicht eingeschüchterten, dennoch jedem offen und ehrlich gegenübertretenden Greenhorn zum großkotzigen, selbstverliebten und aggressiven Arschloch entwickelt, den man dennoch bemitleidet, anstatt ihn zu verurteilen. Zu offensichtlich ist es, dass er ein Opfer des eigenen Höhenflugs geworden ist, dass Koks seinen kindlichen Verstand vernebelt hat und das sein bitteres Ende sich mit Pauken und Trompeten ankündigt, er es nur nicht in der Lage ist zu hören. Sei es Jack, der voller Enthusiasmus und mit einem leuchten in den Augen von seiner Vision des abendfüllenden, nicht nur zu reiner Triebbefriedigung verwendeten Pornofilms schwärmt. Der zunächst wie ein Löwe gegen den Einzug des Videos kämpft, der seine Seifenblase unweigerlich zum Platzen bringen wird, aber sich letztlich nicht dagegen wehren kann, wenn er seine „Familie“ nicht im Stich lassen will. Oder sei es Amber (Leinwandgöttin Julianne Moore, „Non-Stop“), die gute Seele, die Mutter ihrer kleinen Herde, die sich aufopferungsvoll um ihre Schäfchen kümmert, gleichzeitig jedoch von Trauer und Schmerzen zerfressen wird, dass sie ihrer echten Mutterrolle nicht gerecht werden kann. Nur begrenzt auf die wichtigsten Figuren, denn jeder in „Boogie Nights“ ist nicht nur anwesend, er hat seinen Platz in der Geschichte, erzählt von seinen eigenen Wünschen, Hoffnungen und Träumen. Für manche gehen sie in Erfüllung, manche drehen sich im Kreis und erkennen, dass der Ausgangspunkt, vor dem sie einst flüchteten, eigentlich ihr Ziel sein sollte (Heather Graham als Rollergirl, „Ohne Worte“) und manche müssen erst in der Gosse gelandet sein, um sich dem zu besinnen, was ihnen wirklich wichtig ist.
All das vermittelt Paul Thomas Anderson in einer, besonders für sein damaliges Alter und Erfahrung, unfassbar abgeklärten und nahezu perfekten Art und Weise, wie es viele Filmemacher ihre ganze Karriere über nicht geschafft haben. „Boogie Nights“ ist kein Film über das Ficken und die Pornographie, es ist kein Film über Drogen, Verbrechen und gescheiterte Existenzen, er beinhaltet dieses nur. Es ist ein Film über Zusammenhalt, über Familie, auch wenn es nicht die im biologischen Sinne ist. Es gibt Höhen und Tiefen, Zwist und Entzweiung, Abnabelung und Wiederannährung. Egal, was vorgefallen ist. Ob man sich für ein paar Dollar auf dem Straßenstrich einen runterholen musste oder sein Verständnis vom Filmemachen und den Schutz seiner „Kinder“ beinahe für billige Video-Experimente aufgegeben hat. Fehler haben sie alle gemacht. Doch es gilt zu verzeihen und sich das eigene Scheitern einzugestehen. Dann hat am Ende im Haus von Jack Horner und im Schoss seines geschützten Nestes jeder seinen Platz. Selbst der, der schon verloren war, die, die eigentlich mit dem Business abgeschlossen haben oder sogar er, der einfach nicht mehr da ist, nur noch ein Bild an der Wand, aber niemals vergessen. Ein wunderschöner Abschluss einer wunderschönen Films.
Fazit
Schillerndes und gleichzeitig ungeschöntes (Un-)Sittengemälde einer Ära, mit zu Herzen gehenden Figuren und deren Schicksalen. Verpackt in eine perfekte Inszenierung von einem der fähigsten Regisseure unserer Zeit. Einer der besten Filme seiner Dekade, Pflichtprogramm und Meisterwerk.
Autor: Jacko Kunze