Inhalt
Drei Frauen, eine Familie: Monika, die Mutter, Angie, die ältere Schwester, und Kiki, das Nesthäkchen. Angie ist ein Reality-TV-Sternchen, das sich hartnäckig an seine verblassende Karriere klammert. Frisch aus dem Drogenentzug entlassen, steht sie plötzlich ohne Geld, Freunde und Wohnung da und ist dazu verdammt, zurück zu ihrer Mutter ins verhasste Heimatkaff zu ziehen. Schwer hat es auch Angies pubertierende Schwester Kiki. Wegen ihrer Epilepsieerkrankung besteht Mutter Monika darauf, dass sie einen kuriosen Schutzhelm trägt. Die Folge: Kiki wird gemieden und gemobbt, ihr Leben ist längst genau die Hölle, vor der ihre Mutter sie eigentlich bewahren will. Als Angie die Luftmatratze neben Kikis Bett bezieht, erscheint sie als perfekte Ratgeberin, um sich aus dieser sozialen Isolation herauszustrampeln, und die beiden kommen sich näher.
Kritik
Angie ist eine von der Sorte, der nie Empathie entgegen gebracht wird. Nicht zuletzt deswegen ist es so bemerkenswert, dass Mia Spengler das schafft. Der Regisseurin und Co-Drehbuchautorin gelingt in ihrem Spielfilmdebüt noch mehr. Sie erzeugt Respekt für ihre kantige Heldin und Anteilnahme an deren Leben. Fetzen davon flackern immer wieder über den Bildschirm. Angie (Kim Riedel) ist ein Trash-TV-Sternchen von der Marke aus Big Brother, The Bachelor und BILD-Titelseiten. Die Klatschblätter fressen sich fett an den Stories, die Menschen wie die Protagonistin nicht selten auf Auftrag fabrizieren, und überhäufen sie zum Dank mit Verachtung und Spott.
„Die Leute lachen nicht mit dir. Sie lachen über dich“, schimpft Mutter Monika (Juliane Köhler). Da fährt sie die Tochter aus der Entzugsklinik zu sich heim. Eine andere Bleibe hat Angie vorerst nicht. Die Freunde von den wilden Partys sind keine. Sie sind nur da, wenn sie jemanden aus der Kategorie Busensternchen, Skandalnudel oder Boxen-Luder brauchen. Ein männliches Pendant zu solchen Abwertungen existiert nicht. Abgewrackte Ex-Promi-Typen wie den aus einer 90er-Boygroup, der Angie zu seinem Auftritt im Baumarkt einlädt, gibt es reichlich, aber ihre Eskapaden werden nicht gnadenlos ausgeschlachtet und scheinheilig verurteilt, während die Sensationsgier immer höher kocht.
Dieses erstickende Klima der Doppelmoral herrscht in der Kleinstadt, in der Angie jetzt wieder sitzt. Eigentlich will sie auf dem schnellsten Weg zurück ins Scheinwerferlicht. Vom Entzug direkt ins Dschungel-Camp, sollte die Schlagzeile heißen. Aber die Nummer ist geplatzt. In Mamas Wohnung warten die Gefühlskälte und Vorwürfe, die sie einst weggetrieben haben, aber auch Kiki (Leonie Wesselow), die mehr ist als eine kleine Schwester – in vielerlei Hinsicht. Die Kämpfe der drei Frauen aus drei Generationen, die jene im Alltag und mit sich selbst austragen müssen, inszeniert Spengler mit Vielschichtigkeit, Witz und Verve. Filmische Qualitäten, die selten sind. Besonders in hiesigen Produktionen.
Fazit
Die mitreißende Mischung aus Professionalität und Kreativität, besetzt mit einem überzeugenden Darstellerinnen-Trio, machen den Eröffnungsfilm der Sektion Perspektive Deutsches zu einer ebenso hervorragenden wie schwierigen Wahl. Mit diesem hohen Standard mitzuhalten, ist den übrigen Werken wohl kaum möglich.
Autor: Lida Bach