Inhalt
Ein Video geht viral. Es zeigt einen Mann und eine Frau beim Sex. Sie tragen Masken, trotzdem wird die Frau erkannt. Dumm nur, dass sie als Lehrerin eigentlich ein Vorbild sein soll.
Kritik
Wie schwer kann es gewesen sein, in Zeiten von Seuchenschutz-Vorschriften und Lockdowns rund vier Dutzend halbwegs auszeichnungswürdiger Filme für die Berlinale zusammenzukriegen? Verdammt schwer. Das beweist die Aufnahme Radu Judes (The Exit of the Trains) jüngsten Werks. Das ist derart grobschlächtig montiert aus offenbar willkürlich aus dem Internet gezogene Clips, dass sich die Genese dieses Wettbewerbsbeitrags auch anders denken lässt. Die Festivalleitung geht zu Radu und sagt: „Du warst schon vier Mal hier. Gib uns irgendwas Aktuelles!“
Radu so: „Läuft das dann auch im Wettbewerb?“ Berlinale so: „BäEhrensache, muahaha!“ Radu nimmt an, guckt in seine Film-Ramschkammer und findet dort - nichts. Also schnell auf dem Laptop ein paar Videos und YouTube-Clips raussuchen. Es geht los mit einem Amateurporno. Das suggeriert sittenkritische Provokation und hat nicht Intimacy vor 20 Jahren den Goldenen Bären gewonnen? Außerdem explodierte Online-Porno-Konsum ja während des Lockdowns und eventuell hat mancher selbst ein Amateur-Video …?
Eine Handlungsfunktion hat der zweimal von Anfang bis Ende vorgeführte Amateur-Porno übrigens nicht. Ebenso Zusammenhang- und sinnlos sind die spontan nach etwas Telenovela-Action eingefügten Ausschnitte von Religionsvertretern, Politkundgebungen, Reklame, Moralwächtern und Massenunterhaltung. Alles schreit danach, als Kommentar auf die vermeintliche Dekadenz unserer Zeit gewertet zu werden, und ist dabei nur hilflos, wirr, kommerziell. Ein Versuch, das Publikum mit möglichst vulgären Bilder und kruder Inszenierung vor den Kopf zu stoßen, damit es verwirrt applaudiert.
Fazit
Was als Farce auf Heuchelei und Moralismus daherkommt, ist tatsächlich selbst zutiefst verlogen und voll opportunistischer Anbiederung. Voyeurismus soll vorgeführt werden, doch zugleich bedient ihn Festival-Dauergast Radu Jude. Er lässt das Ensemble Masken tragen - schauspielern muss also niemand - karikiert jedoch dialogisch die Maskenpflicht. Damit sowohl Maskenbefürworter als auch Maskengegner sich in ihrer Position bestätigt fühlen. Das ist nicht clever, sondern feige Vermeidung konsequenter Positionierung. Aber wenn die Berlinale anklopft, wer würde da nein sagen?
Autor: Lida Bach