Inhalt
Erfolgreicher, vielfach ausgzeichneter, bedrückender und autobiographisch inspirierter Spielfilm von Louis Malle über ein Jungeninternat, in dem jüdische Kinder versteckt werden. Der Film zeigt die Atmosphäre im besetzten Frankreich der 1940er Jahre und die Freundschaft zwischen zwei Jungen, die nicht einfach nur Kinder sein dürfen.
Kritik
Die letzten Minuten von „Auf Wiedersehen, Kinder“ brennen sich zweifelsohne tief ins Gedächtnis des Zuschauers. Wenn die Kamera das Gesicht von Julien (Gaspard Manesse, „Jugendsünde“) über schier endlose 25 Sekunden in der Nahaufnahme dokumentiert, bündelt sich ein solch bedrückender Wust an Emotionen vor und hinter der Mattscheibe, dass es einen beinahe aus den Schuhen haut. Ohne die Spoilerfalle an dieser Stelle zuschnappen zu lassen: Eindringlicher als Louis Malle („Fahrstuhl zum Schafott“) hat es selten ein Filmemacher verstanden, die Schuldfrage auf den gebrechlichen Schultern eines Kindes auszutragen, um dabei im gleichen Moment zu verdeutlichen, dass es in dieser in Flammen stehenden Welt, zu dieser so zerrütteten Zeit des zweiten Weltkrieges, keinen Menschen gibt, der eindeutig schuldig an irgendetwas gewesen ist, vor allem kein 12-Jähriger.
Nach der Uraufführung von „Auf Wiedersehen, Kinder“ im Jahre 1987 soll Louis Malle, Regisseur, Drehbuchautor in Produzent in Personalunion, in Tränen ausgebrochen. Und es waren Tränen als Folge eines emotionalen Befreiungsschlages, weil es ihm endlich gelungen war, seine Geschichte auf die Leinwände zu bringen. Louis Malle, der sich im arrivierten Weltkino als eines der stilprägenden Gesichter der Nouvelle Vague verdient gemacht hat, hat „Auf Wiedersehen, Kinder“ mit einem autobiografischen Unterbau versehen: Malle kannte das Leben im katholischen Internat Petit Collège, und ebenso erlebte er am eigenen Leibe, was es für die Entwicklung eines Kinder bedeutet, in Kriegszeiten aufzuwachsen. Die große Stärke von „Auf Wiedersehen, Kinder“ liegt folgerichtig in seiner unverhohlenen Authentizität: Die innere Ohnmacht, die Julien widerfährt, überträgt sich auf den Zuschauer.
„Auf Wiedersehen, Kinder“ aber gelingt es, nicht nur die Bitterkeit dieser Tage adäquat zu behandeln, der Internatsalltag birgt jugendliche Dynamiken in sich, die in ihrer Unbeschwertheit das Grauen für einige Minuten vergessen machen lässt: Hier wird Posse getrieben, zarte Bande geknüpft und Machtkämpfe ausgetragen, die im Spannungsfeld von Rassismus und Verbundenheit nicht zwangsläufig in noch mehr Gewalt ausarten müssen, sondern eben auch die freundschaftlichen Maschen untereinander durch ausgelassenes Gelächter anschließend umso enger schnüren. Wirklich greifbar wird „Auf Wiedersehen, Kinder“ letzten Endes jedoch erst durch seine wunderbaren Jungdarsteller Gaspard Manesse und Raphael Fejto als Jean Bonnet, deren unschuldige Kinderaugen zu Projektionsflächen einer nationalen und internationalen Überforderung werden: Nur, weil irgendwas (noch) nicht verstanden wird, heißt es nicht, dass es deswegen schneller vergessen ist.
Fazit
Der autobiografisch motivierte „Auf Wiedersehen, Kinder“ ist ein so zärtliches wie bitteres Stück französisches Kino der 1980er Jahre. Louis Malle verarbeitet nicht nur persönliche Erfahrungen zu Zeiten des zweiten Weltkrieges, ihm gelingt es auch in unheimlich authentischer Fasson, den Alltag in einem katholischen Internat inmitten von Rassismus und Solidarität nachzuzeichnen. Die letzten Minuten jedenfalls wird man nie wieder aus dem Gedächtnis streichen.
Autor: Pascal Reis