3.0

MB-Kritik

Architecton 2024

Documentary

3.0

Michele De Lucchi

Inhalt

Filmemacher Victor Kossakovskys epische, intime und poetische Meditation über Architektur befasst sich mit der Frage, inwiefern der Blick auf Konstruktion und Gestaltung alter Bauwerke einerseits zwar allgegenwärtige Zerstörung offenbart, andererseits aber auch Grund zur Hoffnung geben und einen Weg in die Zukunft zeigen kann. Im Mittelpunkt steht ein landschaftsgärtnerisches Projekt des italienischen Architekten Michele De Lucchi.

Kritik

Im Guten wie im Nachteiligen ist Victor Kossakovskys jüngstes Werk ein kinematischer Koloss gleich den Ben Bernhards kartographischen Kamerarahmen nahezu sprengenden monolithischen Relikte altertümlicher Bauwerke. Deren Konstruktion und Konsistenz steht im Zentrum seiner epischen Exkursion. Die führt den russischen Filmemacher, der auf der Berlinale zuletzt vor vier Jahren mit seiner schwarz-weißen Schweinchen-Biografie Gunda zu Gast war, zu den Irrwegen und Rückschritten in der Geschichte der Architektur. Die ist längst nicht mehr für die Ewigkeit geschaffen.

Jener Umstand gibt eine niederschmetternde Antwort auf die rhetorisch aufgeworfene Frage, was nachfolgende Generationen einst von der gegenwärtigen Kulturepoche vorfinden werden. Die Antwort der ebenso schwermütigen wie schwerfälligen Szenen ist Schutt und Ruinen, die nie dazu bestimmt waren länger als wenige Jahrzehnte zu halten. Dass moderne Bauten einstürzen, während antike Strukturen selbst Naturkatastrophen wie Erdbeben trotzen, verweist auf eine Art invertierter Evolution in der Bautechnik, die nicht mehr Stabilität, Sicherheit und Schönheit priorisiert, sondern Profit.

Der einzige Weg aus dem ökologisch verheerenden Teufelskreis kurzlebiger Zementtürme führt laut Kossakovsky zurück ins Altertum, dessen erhabene Strukturen nicht nur architektonisch entgegen - angeblich - irrigen Lehrsätzen nicht von „Sklaven“ geformt wurde, sondern von „Meistern“. Der aus diesen Äußerungen sprechende patriarchalische Akademismus und Elitarismus erklärt indirekt die Ausblendung der für die wortwörtlich fatale Form der von Kossakovsky treffend so benannten harm architecture maßgeblichen Systeme: Kolonialismus und Klassismus. Schlechtere Gebäude sind besser - als Instrument sozialer Unterdrückung. 

Fazit

Mit seinen von Evgueni Galperines elegischem Soundtrack untermalten Drohnen-Aufnahmen zerbombter Wohnhäuser, Schutthalde und titanischen Brocken vergangener Konstruktionen ist Victor Kossakovskys monumentale Menetekel so imposant, aber auch schwerfällig, verstaubt und opak wie die gleich Reliquien überlegener Baukunst verehrten Relikte. “We don’t just design buildings,”, sagt Architekt Michele De Lucchi einmal, “We design the behavior of people.” Gleiches gilt für den Regisseur, der den sozialen, politischen und systemischen Kontext seines architektonischen Arguments zugunsten einer ambivalenten Restauration ausblendet. 

Autor: Lida Bach
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