Inhalt
Nina, eine Gynäkologin, wird nach dem Tod des Neugeborenen mit Vorwürfen konfrontiert. Während der Ermittlungen wird ihr Leben auf den Prüfstand gestellt. Sie bleibt ihren ärztlichen Pflichten treu und ist entschlossen, die Pflege zu leisten, die andere trotz der Risiken nicht anbieten können.
Kritik
Ein zorniger Vater, der abrupt der undurchsichtigen Protagonistin Dea Kulumbegashvilis (Beginning) zwiespältigen Zweitwerks ins Gesicht spuckt. Ein Anhalter, der ihren Kopf auf das Lenkrad schlägt. Die männliche Aggression, der die Gesellschaftsstrukturen des Schauplatzes im ländlichen Georgien ungehemmt hervorzubrechen erlauben, soll unvermittelt und unberechenbar wirken. Ein Monstrum in unwirklich schöner Umgebung. Ein hässlicher Kontrast zu malerischen Mohnblumen-Feldern und gleißenden Sonnenuntergängen, bei denen die Geburtshelferin Nina (eindrucksvoll: Ia Sukhitashvili, House of Others) sich von ihrer körperlich und psychisch fordernden Arbeit regeneriert.
In den spezifischen Kontexten, in denen die indirekt von ihrem Debütwerk angeregte Regisseurin die Gewalt zeigt, ist die Wirkung jedoch gegenteilig. Die Angriffe wirken erwartbar, sogar provoziert oder - je nach ideologischer Haltung des Zuschauenden - verdient. Es bleibt unklar, ob diese dramaturgische Grenzwertigkeit ungewollt ist oder eine gezielte Herausforderung. Davon gibt es viele in der spartanischen Story, die Nina in einer Ausnahmesituation bei ihrer Arbeit beobachtet. Es ist ein ausdauernder Blick, manchmal minutenlang, zugleich ausweichend und unausweichlich.
In dieser Ambivalenz des gleichzeitigen Hin- und Wegsehens liegt eine weitere Crux der invasiven Inszenierung, die der dringlichen Thematik eher abträglich ist. Im Zentrum steht das de facto Abtreibungs-, oftmals sogar Verhütungsverbot in Kulumbegashvilis Heimat. Zwar sind Schwangerschaftsabbrüche legal, aber in ländlichen Gegenden nicht verfügbar. Massives soziales Stigma, Klerikalismus, patriarchalische Unterdrückung und eklatante Bildungsdefizite schaffen jedoch ein Gesellschaftsklima, das Kinderehe, Missbrauch und Zwangsgeburten toleriert, aber Familienplanung als Sünde betrachtet. In diesem Sinn ist Nina schuldig.
Der Vorwurf, ein Neugeborenes in heimlichem Einvernehmen getötet zu haben, steigert die Gefahr Ninas heimlicher Zweitarbeit. Sie unternimmt Abtreibungen, eine davon in voller Länge vor der Kamera. Deren dokumentaristischer Blick zeigt nur den Unterleib des Mädchens, dessen Gesicht vorher kaum auszumachen ist, das stumm bleibt und keinerlei Individualisierung erfährt. Frauenfiguren sind mit Ausnahme Ninas definiert durch ihre Fortpflanzungsorgane. Männer mit Ausnahme ihres Ex-Freundes (Kakha Kintsurashvili) durch Gewalt. Oberflächlich kritisiert, sind die archaischen Gender-Bilder längst inszenatorisch internalisiert.
Fazit
Radikale Stilistik, immersive Tonsspuren, quälend lange Kameraeinstellungen und drastische Körperbilder machen Dea Kulumbegashvili defensives Drama formalistisch so polarisierend wie seine Themen. Die zeigen die inhärente Problematik ihrer provokanten Perspektive. Abtreibung und Kindstötung erscheinen parallelisiert. Frauenfiguren sind durch ihren Unterleib bestimmt; durch Mutterschaft oder masochistische Triebhaftigkeit. Teilansichten verdecken das Schauspiel und machen gerade weibliche Charaktere zu Objekten eines voyeuristischen Blicks. Abstrakte Albtraum-Szenen eines deformierten Wesens erscheinen mehr als eine weitere kalkulierte Irritation denn stimmige Symbolik tabuisierter Traumata.
Autor: Lida Bach