Inhalt
Aloys Adorn ist Privatdetektiv und hat erst kürzlich seinen Vater verloren. Nun sitzt er alleine in seiner Detektei, die die beiden gemeinsam geführt haben. Von der Welt um sich herum hat er sich abgesondert. Statt an ihr teilzuhaben, beobachtet er sie lediglich durch die Linse seiner Kamera.
Kritik
Aloys Adorns gesamtes Leben besteht aus Beobachtungen. Die meiste Zeit seines Berufs und damit auch seines Tages verbringt der Schweizer Privatdetektiv damit, im Auftrag von Kunden anderen Menschen nachzustellen. Den wichtigsten Begleiter bei dieser Tätigkeit stellt hierbei eine Videokamera dar. Mit ihr filmt Aloys unzählige Stunden an Material, auf denen sich dem Betrachter womöglich irgendwann etwas offenbart, das seinen Auftraggebern zufriedenstellende Antworten liefert.
Auf die Fragen in seinem eigenen Leben findet Aloys derweil keine zufriedenstellenden Antworten. Nachdem sein Vater stirbt, mit dem er die Detektei gemeinsam betrieben hat, versinkt der verschroben wirkende Einzelgänger immer tiefer in einen Strudel aus Trauer, Depression und Abgeschiedenheit, wobei er sich wieder und wieder aufgezeichnetes Videomaterial ansieht, das er sowohl für private wie auch berufliche Zwecke angefertigt hat. Tobias Nölle (Heimatland) beginnt sein Spielfilmdebüt Aloys als melancholische Studie über die beklemmende Einsamkeit, die den Protagonisten unentwegt umgibt. Der Regisseur zeigt Aloys als einen Verlorenen, Suchenden, der durch den Tod seines Vaters endgültig jeglichen Halt im Leben verloren zu haben scheint. Mit tristen Bildern, die das Großstadtleben Zürichs als seltsam unbelebtes Gefängnis zwischen Betonbauten, verlassenen Räumen und menschenleeren Straßen zum Ausdruck bringen, vermittelt Nölle das Gefühl von Isolation in scheinbarer Freiheit, das vielen Menschen nicht nur vertraut sein dürfte, sondern sich ebenfalls wie ein blass-grauer Faden durch deren Leben zieht.
Erst als Aloys seine Sorgen in Alkohol ertränkt, am nächsten Morgen verkatert aufwacht und feststellen muss, dass ihm seine Videokamera mitsamt dazugehöriger Bänder gestohlen wurde, entfacht dieser Vorfall eine Art neues Feuer in ihm. Eine unbekannte Anruferin, die sich als Täter zu erkennen gibt, verwickelt den Privatdetektiv daraufhin in mehrere Gespräche, bei denen sich Aloys auf eine sogenannte Telefonwanderung einlassen soll. Diese von einem japanischen Neurologen geschaffene Technik soll dazu dienen, räumliche sowie rationale Distanzen zu überwinden, um sich nur über Stimmen und Geräusche auf gemeinsame, imaginäre Reisen begeben zu können. Die mysteriöse Anruferin provoziert und reizt ihn so lange, bis er sich schließlich auf das Experiment einlässt und gerade durch die Abwesenheit des Sehens, das seine bislang einzige, sichere Lebenskonstante darstellte, eine völlig neuartige Form spürbarer Zwischenmenschlichkeit entsteht.
Nachdem Aloys die Anruferin wenig später identifizieren kann, als diese aufgrund eines Suizidversuchs von Sanitätern abtransportiert wird und sich als Vera entpuppt, die im gleichen Gebäude wie er wohnt, ergründet Nölle fortwährend das Verhältnis zwischen diesen beiden Figuren, die sich in ihrer schmerzlichen Einsamkeit auf tragische Weise gleichen. In surrealen Impressionen inszeniert der Regisseur die Telefonate der beiden, die sich nie wirklich begegnen, als traumähnliche Annäherung, bei der sich Aloys und Vera zeitweise in der harmonischen Idylle eines Waldes umkreisen, bis Aloys die Stimme am anderen Ende der Leitung mehr und mehr als konkrete Person wahrnimmt, die ihm Nähe und Geborgenheit bietet und gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit schenkt. Trotz der mitunter redundanten, zu aufdringlichen Verwendung bildstarker Symbole und Metaphern, durch die der Regisseur sein Werk gelegentlich in die Nähe prätentiöser, selbstverliebter Kunstfilm-Experimente rückt, findet Nölle im Zentrum der Erzählung immer wieder zum ungeschützten Kern seiner Figuren und ihrer verzweifelten Einsamkeit, die hilfesuchend durch die Bilder schimmert.
Georg Friedrich (Wild) spielt die exzentrischen Macken von Aloys dabei ebenso gewohnt großartig wie die verunsicherte Zärtlichkeit seiner Figur, wenn diese wie ein Getriebener nach menschlicher Zuneigung strebt. An seiner Seite erweist sich Tilde von Overbeck in der Rolle von Vera als mindestens genauso zerbrechliches, sensibles Gegenwicht, wobei beide erst im gemeinsamen Spiel zu jener poetisch-leisen Strahlkraft finden, die den bisweilen mäandernden Charakter der Einstellungen überwindet und mit der sich Aloys selbst über das recht eindeutige Ende hinweg genügend von seiner unergründlichen, ambivalenten Aura bewahrt.
Fazit
Mit seinem Spielfilmdebüt „Aloys“ beweist sich Regisseur Tobias Nölle als vielversprechendes Talent im deutschsprachigen Sektor. Auch wenn ihm bei seiner eindringlichen Studie über Einsamkeit, Isolation und dem verzweifelten Streben nach zwischenmenschlicher Zuneigung mitunter etwas das Gespür für den richtigen Rhythmus zwischen der Geschichte und den Bildern abhandenkommt, findet der Regisseur im richtigen Moment zu den Emotionen der zentralen Figuren zurück, die oftmals weit über den surreal-symbolischen Charakter der Bilder hinweg strahlen.
Autor: Patrick Reinbott