Inhalt
Minenarbeiter Dahai klagt an: Aus den Versprechungen des Minenbesitzers wurde nach der Privatisierung nichts. Statt den Arbeitern Dividenden auszuzahlen, haben sich nur die Dorfoberen bereichert. Niemand außer ihn scheint die Korruption zu kümmern, nichts das System zu erschüttern. Als man Dahais Schweigen kaufen will und ihn brutal niederschlägt, greift der Ankläger selbst zur Waffe. Auf der Heimreise zu seiner Familie wird Wanderarbeiter Zhou San von einer Gruppe Jugendlicher überfallen. Mit seiner Pistole entledigt er sich der Angreifer. Zurück bei seiner Familie, die am Rande einer boomenden Mega-City in einer Hütte lebt, schweigt er und verheimlicht, woher seine stetigen Geldzahlungen kommen. Seine Frau und sein kleiner Sohn sind sich fremd geworden. Während die Frau auf ein besseres Leben hofft, überfällt er kaltblütig und routiniert ein wohlhabendes Paar, das gerade eine Bank verlässt. Xiao Yu trifft auf einem Autobahnrastplatz ihren Geliebten. Sie fordert von ihm, er soll seine Ehefrau verlassen, und bleibt enttäuscht zurück, als sie seine Unentschlossenheit merkt. Bei dem Versuch, ihrem Leben mit einem neuen Job als Sauna-Rezeptionistin Selbstbestimmung zurückzugeben, scheitert sie. Als ein reicher Gast sie demütigt und sexuell übergriffig wird, wehrt sie sich und sticht ihn nieder. In einer Kleiderfabrik wird der jugendliche Xao Hui beschuldigt, am Unfall seines Kollegen Schuld zu tragen. Er flüchtet, um Regresszahlungen zu entgehen. Sein neuer Job führt ihn in einen Nachtclub. Hier arbeitet er als Servicekraft und verliebt sich unglücklich in eine Kollegin. Wieder zieht es ihn weiter. Doch der triste Alltag in Wohnheimen, zusammengepfercht mit anderen Lohnabhängigen und ohne Aussicht auf Besserung der Lebensumstände, treibt ihn in den Selbstmord.
Kritik
Wie kann ein modernes Setting im Gewand eines Wuxia-Filmes gepaart mit Kapitalismuskritik, Gesellschaftsfragen sowie einem kritischen Blick auf das heutige China überhaupt funktionieren? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, doch mit dem Blick auf „A Touch of Sin“ von Regisseur Zhangke Jia, ist dieses Kunststück scheinbar mit Leichtigkeit gelungen. Dabei ist der internationale Titel durchaus kein Zufall. Ist es doch immerhin „A Touch of Zen“ aus dem Jahre 1971, von Meister-Regisseur King Hu, welcher das glorreiche Wuxia-Genre ein ewiges Denkmal setzte. Zhangke Jia verzichtet unterdessen zwar auf ausufernde Schwertkämpfe oder schillernde Helden, bringt jedoch Themen wie Ungerechtigkeit, Korruption und Gewalt in ein modernes Setting. Mehr noch, durch seine typischen langsamen wie schwerelosen Kamerafahrten, wird „A Touch of Sin“ zu einem großartigen Gleichnis voller aktueller Grausamkeit. Vier Geschichten, vier wahre Begebenheiten, eine dramatische Reise…
Gerade dieser reale Bezug schafft Regisseur Zhangke Jia unterdessen die perfekte Grundlage, um ein Episodendrama zu erzählen, welches zwar nur lose verknüpft ist (durch zufällige Begegnungen), sich aber wie ein großes Gesamtbild anfühlt. Ein ungeschöntes, pessimistisches und dunkles Bild der chinesischen Gegenwart. Ein Kunstwerk voller Ungerechtigkeit, Korruption, Verzweiflung, Einsamkeit, Ausweglosigkeit und eben Gewalt. Regisseur Zhangke Jia zeigt die Folgen des ausufernden Kapitalismus in China ebenso brutal (gekonnt mit teils irrsinnigen Bildern), wie den Zusammenbruch traditioneller Familienstrukturen. Ein alles überschattender Machtmissbrauch und sexuelle Unterwürfigkeit, begleiten schließlich die Figuren hin zu ihrem ausweglosen Ende (in literarischer Form). Wie schon in „Still Life“ oder „24 Cities“ liefert uns Zhangke Jia somit schwerwiegende Prämissen. Dennoch wird „A Touch of Sin“ niemals zynisch. Denn auf subtile Weise verbindet der Film Fiktion und Dokumentation, Laiendarsteller wie professionellen Schauspieler und eine Inszenierung, die sich förmlich schwerelos anfühlt. Doch gerade dies, sorgt im Hinblick auf einzelne Episoden auch für viel Geduld.
Ins Gewicht fällt dies hingegen kaum: Viel eher lebt „A Touch of Sin“ gerade von seiner Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Den ausufernden Aufnahmen der Landschaft (die zumeist aus Beton, Staub und Stein besteht) oder den großen überdimensionalen Industrieanlagen. Die vier einzelnen Episoden lassen sich hierbei gerne in die Kategorien Gerechtigkeit, Familie, Freiheit und Liebe einteilen, wobei natürlich die Grenzen fließend sind. Dennoch entwickelt sich hieraus ein Sog, der die ungleichen Geschichten zu einem einheitlichen Ganzen verbindet. Dabei wirkt „A Touch of Sin“ an einigen Stellen regelrecht wütend, an anderen liebevoll und im Ganzen immer kritisch. Gewalt fungiert als letzter Ausweg, ist aber niemals die Lösung. Im Gegenteil, für die Figuren wird es ein Teil ihres Lebens. Eine vollkommene Normalität, um ihren Gefühlen endlich Ausdruck zu verleihen. Und somit gibt es auch keinen richtigen Amoklauf. Eher eine Schlusspointe, geboren aus einer allumfassenden Hoffnungslosigkeit. Schonungslos, ergibt dies eine gekonnte Parabel über eine Entwicklung Chinas, die durch viele kleine Glücksmomente (und mögen diese noch so klein sein) noch nicht gänzlich verloren scheint. Dies ist wahrlich perfektes Kino.
Fazit
„A Touch of Sin“ ist ein bildgewaltiges Sozialdrama voller Ungerechtigkeit, Korruption, Verzweiflung, Einsamkeit, Ausweglosigkeit und eben Gewalt. Eine Parabel voller Kritik, ein Gleichnis der Hoffnungslosigkeit. Dies zusammen mit einer gar schon schwerelosen Inszenierung, ergibt Arthouse-Kino in seiner fabelhaftesten Form. Immer überraschend, stets zum nachdenken anregend und niemals wirklich leise.
Autor: Thomas Repenning