Inhalt
Die eigenwillige und unkonventionelle Inez (Teyana Taylor) entführt ihren sechsjährigen Sohn aus seinem New Yorker Pflegeheim. Gemeinsam versuchen sie, ein neues Gefühl für Identität und Stabilität zu finden und dabei ihr Geheimnis zu bewahren.
Kritik
Der Titel A.V. Rockwells grandiosen Spielfilmdebüts bezieht sich äußerlich auf die kaputte Nummer des New Yorker Apartments, in dem sich der Großteil der rund ein Jahrzehnt umspannenden Handlung abspielt. Aber er scheint zugleich ein Verweis auf die zahllosen Geschichten wie jene der Hauptfigur, die nie erzählt werden. Dieses unsichtbar machen ist Teil der systemischen Diskriminierung im Zentrum einer Story. Die verwebt Politisches und Persönliches zu einer emotional und sozial gleichsam authentischen Chronik marginalisierten Lebens.
Das, welches den klar strukturierten Plot vorantreibt, gehört der 22-jährigen Hair-Stylistin Inez (herausragend: Teyana Taylor, White Men Can't Jump), die frisch aus dem Gefängnis entlassen ihren 6-jährigen Sohn Terry (Aaron Kingsley Adetola) aus Brooklyns Jugendfürsorge nach Harlem entführt. Doch der Sozialkrimi einer Mutter auf der Flucht, den das Mainstream-Publikum zu erwarten konditioniert ist, kommt nie. Der durch den neu gewählten Bürgermeister Rudy Giuliani repräsentierte Staat sorgt sich nicht um farbige Kids aus der Unterschicht, er macht Jagd auf sie.
Archivaufnahmen verschmelzen nahtlos mit dem rauen Realismus der Kamerabilder, die den historischen Hintergrund nicht durch nostalgische Statussymbole evoziert, sondern eskalierende Polizeischikanen und strukturelle Verwahrlosung. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben für die entschlossene Protagonistin und ihren Partner Lucky (William Catlett, True Story), die ihre Träume und Pläne opfern. Während sich der narrative Fokus subtil auf den Heranwachsenden (Aven Courtney und Josiah Cross, King Richard) verschiebt, bleibt das fragile Familienglück überschattet von einem feindseligen System der Kriminalisierung und Internierung.
Fazit
Am Leben bleiben, ein Dach über dem Kopf, Freiheit, auf eine Schule für die weiße Mittelschicht gehen: Die Siege, die A.V. Rockwells komplexe Charaktere ihrem antagonistischen Umfeld abringen, reflektieren die institutionalisierte Unterdrückung der Unterschicht und systemischen Rassismus in Form von Inhaftierung, Überwachung und Gentrifizierung. Exzellente Schauspielende, allen voran die bewegende Hauptdarstellerin, und die konfrontative Inszenierung, die Dokumentarismus vor den gängigen Revisionismus stellt, machen das packende Debüt zu einem Zeitbild von seltener Wahrhaftigkeit und Relevanz.
Autor: Lida Bach