Inhalt
Tom Stall, seine Frau Edie und seine zwei Kinder leben ein normales Leben in ihrem Kleinstadthaus in Millbrock, Indiana. Eines Tages jedoch wird die Familie auf eine harte Belastungsprobe gestellt.Alles beginnt mit zwei Männern, die in den Coffeeshop von Tom kommen und den Laden überfallen wollen. Damit keine unschuldige Person verletzt wird, erschießt Tom die beiden in Notwehr und wird durch diese Tat zu einem Helden in der Stadt. Auch die Presse feiert ihn, was er selbst aber eigentlich nicht möchte, sondern lieber, dass alle ihn sein geregeltes Leben weiterführen lassen. Als sich die Schlagzeilen wieder etwas legen, steht der undurchschaubare Carl Fogarty vor seiner Tür. Carl macht ihm unmissverständlich klar, dass seine letzte Stunde geschlagen hat, da er schon lange mit einem gewissen "Joey", für den er ihn hält, abrechnen will. Tom setzt nun alles daran, Carl davon zu überzeugen, dass er nicht Joey ist...
Kritik
In Millbrook, so suggeriert es die Comic-Adaption A History of Violence über eine gute halbe Stunde seiner knapp 100-minütigen Laufzeit jedenfalls, ist die Welt noch in Ordnung. Die Stalls, angeführt vom bescheidenen Oberhaupt Tom (Viggo Mortensen, Der Herr der Ringe-Trilogie) erstrahlt als intakte Bilderbuchfamilie: Wenn Sarah (Heidi Hayes, Still Small Voices), das jüngste Kind von Tom und Edie (Maria Bello, Prisoners) neben dem pubertierenden Jack (Ashton Holmes, Der eisige Tod), des nachts von Alpträumen heimgesucht wird, versammelt sich die ganze Familie auf der Bettkante und beruhigt das Mädchen im Zuge gemeinschaftlicher Überzeugungsarbeit. In dem kleinen Städtchen des Mittelwestens scheint indes auch außerhalb der eigenen vier Wände noch ein Idyll zu existieren, wie es, ganz eindeutig, nur im Film vorkommt. Jeder kennt sich, jeder grüßt sich, jeder hilft sich. Der Himmel auf Erden.
Dass wir diesen Bilder eines Amerikas, dem die Sonne regelrecht aus dem Arsch scheint, nicht vertrauen können und dürfen, macht Regisseur David Cronenberg (Naked Lunch) schon in der Eröffnungssequenz offensichtlich, wenn sich zwei Durchreisende zu einem Blutbad in einem Motel hinterlassen. Beweggründe für diesen Akt der Gewalt, bei dem letztlich auch ein verängstigtes Kind kurzerhand erschossen wird, liefert A History of Violence nicht, stattdessen bricht die Gewalt über den Film hinein und wird als verstörende Gegebenheit unseres Lebens verstanden: Sie ist immer da, auch wenn wir sie nicht sehen. Das ruft nun wieder die Stalls zurück auf den Plan, unsere All American Family, die von Howard Shore so selbstbesoffen-glückselig untermalt wird, dass es sich nur um einen schlechten Scherz handeln kann. Die Pointe allerdings lässt tatsächlich nicht lange auf sich warten.
Als Toms Diner von den zwielichtigen Gestalten aus der Exposition aufgesucht wird und Tom sich und seine Mitarbeiter in einem ehrenhaften Akt der Selbstverteidigung bestialisch ermordet, wird Tom zum lokalen Helden erhoben. Applaus, Respekt und Reporter bestimmten von nun an seinen Alltag. Und weitere zwielichtige Gestalten, die in Tom mehr sehen als nur den genügsam-friedliebenden Vater, Ehemann, Freund. Von diesem Moment an, wird das normale Leben in Millbrook, welches David Cronenberg noch mit aller Friedliebigkeit (über-)zeichnete, graduell in seine schmerzerfüllten Einzelteile zerlegt. A History of Violence arbeitet über seine in erzählerischer wie inszenatorischer Perfektion getaktete Spielfilmdauer durchgehend mit Kontrapunkten, mit Antithesen und bohrt sich in Alltagsstrukturen vor, ob der innerfamiliäre Dunstkreis oder das High School Dasein, um den eingeschriebenen Symbolcharakter dahinter aufzubrechen. Die kleinbürgerliche Behaglichkeit verwandelt sich, wird neugeboren.
Was folgt, ist eine verhaltenspsychologische Analyse, wie sie nur David Cronenberg umsetzen kann. A History of Violence erforscht das Verborgene, Verdrängte und Vergessene in uns allen. Er erzählt eine Geschichte der Gewalt, die sich gleichwohl als Blick in ein von Illusionen getrübtes Americana definiert, darüber hinaus aber auch als universale Reflexion über den Verlust jedweder Unschuld erstrahlt. In der Realität gibt keine Helden, die für ihren Ruhm nicht auch einen gewissen Tribut zahlen müssen. Womöglich gibt es in der Realität auch keine echte Vertrautheit und Intimität, sondern nur ein Zusammensein vor und nach dem Ausbruch der Gewalt, die unser aller Seelen eingeschrieben ist. Alles, jeder Schritt und jedes Wort, wird von dem Gewaltpotenzial abgezirkelt, welches in unserem Inneren schlummert. Und in gewisser Weise, in der Unvorhersehbarkeit unserer Triebhaftigkeit, bleiben wir immer Fremde: Für uns und für unsere Umgebung.
David Cronenberg lässt A History of Violence von Beginn an von einem unbestimmten Gefühl durchdringen, welches sich wohl am ehesten als 'merkwürdig' beschreiben lässt. Er arbeitet mit Schlüsselreizen, die den Zuschauer zu klaren Assoziationen aufbringt – eben wie die überhöhte Darstellung einer reingewaschenen Familie. In Wahrheit aber ist A History of Violence die bittere Zerlegung dieser Trugschlusses. Familie Stall lernt sich erst über und durch das Ausüben von Gewalt kennen. Selbst der Sex transformiert sich mit dem ersten Blutvergießen: Er wird animalisiert. Er trägt all das Unbekannte in uns an die Oberfläche. David Cronenberg schafft es dabei, Genre-Mechaniken zu bedienen und doch, wie man es von dem Kanadier gewohnt ist, niemals einen reinen Genre-Film zu entwerfen. Der Blick geht über den Tellerrand hinaus, über die bloße, räudige Gewalt-Komposition und führt zur Bedeutung, die hinter all der Gewalt steht. Sie führt zum Menschen selbst.
Fazit
Eines der größten Meisterwerke, die David Cronenberg geschaffen hat. Was wie ein herkömmlicher Genre-Film anmuten mag, ist in Wahrheit eine verhaltenspsychologische Untersuchung des Menschen und dessen in seiner Seele eingeschriebenen Gewaltpotenzials. Ein verstörender, bisweilen ultra-brutaler Einblick in ein Amerika, welches es so nicht gibt. "A History of Violence" ist die Zerschlagung jedweder Illusionen.
Autor: Pascal Reis