MB-Kritik

A Balance 2020

Drama

Yumi Kawai
Ken Mitsuishi
Kumi Takiuchi
Heather Lindell

Inhalt

Ihr geht es um die Wahrheit: Die Dokumentarfilmerin Yuko, die in ihrer Freizeit in der privaten Nachhilfeschule ihres Vaters als Lehrerin aushilft, will sich bei ihrem neuen Projekt nicht von der Redaktion des TV-Senders zensieren lassen. Ihr Film soll die wahre Geschichte hinter dem öffentlichen Skandal einer Beziehung zwischen einer Schülerin und ihrem Lehrer erzählen, die mit zwei Suiziden endete. Als Yuko erfährt, dass auch ihr Vater schon ein Verhältnis mit einer Schülerin gehabt hat, versucht die Filmemacherin, das Richtige zu tun, und muss ihre eigenen Prinzipien überdenken.

Kritik

Es gibt mehrfach Momente in Yujiro Harumotos verschachteltem Skandalstück, da scheint es, als habe der japanische Regisseur höhere filmische Ambitionen als eine verkappte Legitimierung übergriffigen männlichen Verhaltens in seiner extremsten Form. Doch sämtliche Ansätze zu tiefer gehender Kritik an einer auf archaischen Konzepten von Familienehre beharrenden Gesellschaft und einem manipulativen Mediensystem, das diese schürt, bleiben bloße Fingerzeige. Letzte sind Teil der neutralen Fassade eines Dramas, das Rechenschaft mit Victim Blaming verwechselt und Ausgewogenheit mit Komplizenschaft.

Unilateralismus ist bezeichnenderweise die markanteste Schwäche des überkonstruierten Plots, der die strukturelle Komplexität der sozialen Situation seiner weiblichen Figuren rigoros simplifiziert. Das zeigt sich schon in der Präsentation der Sensationsstory, über die Fernsehreportern Yuko (energisch: Kumi Takiuchi) eine Doku dreht. Die sexuelle Ausbeutung einer Schülerin durch ihren älteren Leser wird als Affäre ebenbürtiger Partner aufgefasst. Eine ähnliche Haltung dominiert einen Parallelfall, der die Hauptprotagonistin auf weit persönlicherer Ebene trifft. Doch der eigentliche Handlungsfokus liegt woanders. 

Die einander spiegelnden Vorfälle katalysieren eine ethische Prüfung, durch die Yuko, nebenberuflich ironischerweise Nachhilfelehrerin, im freien Fall rasselt. Die vordergründige Message klar: Selbsternannte Wahrheitssucher, die Machtmissbrauch aufdecken wollen, genauso skrupellos wie die Täter, die sie an den medialen Pranger stellen. Was nach berechtigter Gesellschaftskritik klingt, wird jedoch im spezifischen Kontext sexuellen Missbrauchs zu einer toxischen Kombination patriarchalischer Schuldumkehr und manipulativen Sensationalismus. Das dramatische Fazit ist eine Pointe auf sogenannte Cancel Culture, getränkt von misogynem Zynismus.

Fazit

Der sich direkt auf die Hautfigur beziehende Originaltitel enthüllt sich nach zermürbenden zweieinhalb Stunden als moralischer Hohn über weibliches Engagement für die Wahrheit in einer männerdominierten Industrie. Jeder Seitenhieb, den Yujiro Harumoto scheinbar gegen öffentliche Hetze, mediale Manipulation und rigide Ehrenkodexe austeilt, offenbar sich im Rückblick als Puzzleteil einer chauvinistischen Exposition weiblicher Doppelmoral. In kühlen Farben konstruiert der unnötig verschlungene Plot ein gleichermaßen regressiv und sexistisches Gesellschaftsbild, das weibliche Opfer schuldiger darstellt als männliche Täter.

Autor: Lida Bach
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