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"Spuk in Hill House" - Staffel 1 - Kritik

von Pascal Reis

Inhalt

Die fünf Geschwister Theodora (Kate Siegel), Steven (Michiel Huisman), Luke (Oliver Jackson-Cohen), Shirley (Elizabeth Reaser) und Nell (Victoria Pedretti) haben ihre Kindheit in einer der berüchtigtsten Geistervillen der USA verbracht. Nach dem Selbstmord ihrer jüngsten Schwester kommen die Verbliebenen vier Jahre später wieder in dem unheimlichen Anwesen zusammen und stellen sich gezwungenermaßen den Geistern der Vergangenheit, die sie erst aus dem familiären Hill House getrieben haben. Während einige davon nur in den Köpfen und vor allem Erinnerungen der Geschwister leben, wirken wiederum andere erschreckend real.

Kritik

Zunächst einmal scheint es schon fast zu naheliegend, dass sich Mike Flanagan (Before I Wake) ausgerechnet dem literarischen Klassiker Spuk in Hill House angenommen hat, war es doch Stephen King (Friedhof der Kuscheltiere), der die Horrorgeschichte von Shirley Jackson aus dem Jahre 1959 als einen der besten Romane aller Zeiten bezeichnete. Flanagan, der sich selber als ein inbrünstiger Verfechter der Prosa von Stephen King zu erkennen gibt und sich filmisch zuletzt nicht nur mit dem gelungenen Das Spiel dem Master of Horror gewidmet hat, sondern auch im nächsten Jahr mit Doctor Sleep die Fortsetzung zu Shining in die Kinos bringen wird, offenbart sich in letzter Zeit also als ein Filmemacher, der sich genau die Stoffe heraussucht, die ihn auch persönlich bewegen; zu denen er einen emotionalen Kontakt pflegt.

Genau diesen Umstand merkt man der Serienadaption von Spuk in Hill House auch in jeder einzelnen von Mike Flanagan inszenierten Minute der zehn Episoden umfassenden Staffel an. Lange Zeit jedenfalls hat man keinen Regisseur mehr erlebt respektive erleben dürfen, der ein allseits bekanntes Horrorsujet aufgegriffen hat, um diesem nicht nur neue Facetten abzuringen, sondern auch, um den Horror immer mit der zwischenmenschlichen Begebenheit dahinter zu begründen. Eigentlich, gerade in Bezug auf den heutigen Usus des Kinos, hätte Spuk in Hill House eine ohrenbetäubende Geisterbahnfahrt im Haunted House-Ambiente werden müssen, die sich ihre Jump Scare-Strategie aus dem Insidious-Universum zusammenklaubt und das verfluchte Anwesen auf den Hügeln selbst als unkontrollierbaren Organismus höllischer Konfusion begreift. So wie es Jan de Bont (Speed) in seiner seltsam unbeholfenen Verfilmung aus dem Jahre 1999 tat.

Diesen Befürchtungen jedoch macht Flanagan in seiner bisher eindrucksvollsten Arbeit geradewegs einen Strich durch die Rechnung, wenn er bereits in der ersten Folgen unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass es die menschlichen Schicksale sind, die hier in den Fokus gerückt werden. Spuk in Hill House tastet in überraschend ausführlicher Präzision das psychologisches Zerwürfnis im Herzen der Familie Crain ab und blickt dabei auf die Dämonen der Vergangenheit, die die Zukunft von fünf Geschwistern nachhaltig vergiftet und verstört haben. Erzählerisch begibt sich Flanagan oberflächlich einem fast schon augenfälligen Strukturalismus hin, wenn er das Vergangene mit dem Gegenwärtigen abgleicht, allerdings gelingt es Spuk in Hill House durch seine bis ins kleinste Detail ausgereifte Narration, das Parallelisieren der ausschlaggebenden Zeitebenen niemals mit einer harschen Schnitt-Zäsur zu unterbrechen.

Die Sogwirkung des horizontalen, also episodenübergreifenden Erzählens wird lebendig erhalten, indem sich das Damals und Heute oftmals in ein und dem selben Augenblick entfalten – und der Zuschauer erst im Folgenden die Klarsicht erhält, in welcher Dimension sich die Charaktere momentan befinden. Und genau das ist ein ungemein cleverer, weil hochgradig logischer Aspekt, mit dem Mike Flanagan vorgeht: Das Leid der menschlichen Seele ist oftmals erst dann entschlüssel- und begründbar, wenn die Resultate dieses Leidens an das Tageslicht gelangen. Spuk in Hill House vollbringt es dabei, sich sowohl dem Grusel übernatürlicher Erscheinungen hinzugebungen, den (nominellen) Schockfaktor aber niemals als vordergründige Effekthascherei zu definieren, sondern ihn hintergründig zu durchleuchten. Bewundernswert allein ist der Punkt, wie merklich wenig sich Mike Flanagan darum kümmert, den Zuschauer erschrecken zu wollen - und wie viel Wert er darauf legt, Zusammenhänge zu belegen und erfahrbar zu machen.

Die Gänsehaut, die Spuk in Hill House heraufbeschwört, ergibt sich aus der Nachzeichnung und Verstrebung nachvollziehbarer Motiven der Trauer, Angst, Schuld und Liebe. Die Frage, wie es sein muss, als Kind in einem Haus gelebt zu haben, welches von Geistern heimgesucht wurde, beantwortet Mike Flanagan in Form einer psychopathologischen Studie, in denen die Geister selbst natürlich zu Auswüchsen tiefer Beklemmungen werden. Die Größe, Tiefe und Anmut, die dieses Labyrinth der Verstörung, Verwesung und Verwahrlosung offenbart, durch das uns Spuk in Hill House führt, wird in voller Wirkungsmacht aber erst dann freigegeben, wenn die Serie die Verwandtschaft von Liebe und Angst verdeutlicht: Beides funktioniert dann, wenn ein vollständiger Verzicht auf Logik vorherrscht. Nur dann ist man in der Lage, sich ihnen hinzugeben oder zu bekämpfen. Genau deshalb ist Spuk in Hill House jenseits seiner bleiernen Stille eben nicht nur ein hervorragendes Horrorformat, sondern eine noch bessere Betrachtung menschlicher Fragilität und Widerstandsfähigkeit.

Fazit

Mit "Spuk in Hill House" hat Mike Flanagan Netflix um einen Serien-Meilenstein erweitert: Nicht nur funktioniert das Format durch seinen wunderbar unter die Haut kriechenden Horror, sondern macht sich vor allem als geschickt arrangiertes und charakterorientiertes Drama verdient, in dem die Frage beantwortet wird, wie Menschen ihr verstörtes Leben verrichten wollen, wenn sie als Kinder in Kontakt mit Geistern gekommen sind. Das Hill House selbst dient nicht als plumper Schauwert für Effekte, sondern verschmelzt zusehends mit den Akteuren, während sich Mike Flanagan durch eine formidable Regie sowie eine ausgeklügelte, stetig aufmerksame Narration für seine bis dato beste Arbeit auszeichnet. "Doctor Sleep" kann also ruhigen Gewissens kommen.

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