Bildnachweis: © Sony Pictures Classics

Moviebreaks Monatsrückblick: März

von Levin Günther

1. Highlights aus den Kinosälen:

Call Me by Your Name - Der sinnlichste, zärtlichste, romantischste und erotischste Film, den man seit langer Zeit im Kino bewundern durfte. Unwahrscheinlich, dass dieses Jahr noch ein besserer erscheinen wird. 

The Florida Project - Obgleich die lose strukturierte Geschichte, die eher einer kreisenden Milieustudie aus einzelnen Momentaufnahmen gleicht, von trostlosem Pessimismus und trister Armut handelt, ist The Florida Project alles andere als deprimierender Elendstourismus.  Den brutalen Ernst des von ihm porträtierten Milieus verliert der Regisseur trotzdem nie aus den Augen. So bewegend die vielen kleinen Momente in diesem Film auch eine verträumte Symphonie der puren Lebensfreude entstehen lassen, so niederschmetternd und erschütternd sind die Szenen, in denen dem Betrachter jedes Mal wieder aufs Neue bewusst wird, dass hier Menschen am Existenzminimum tagtäglich um ihr Überleben kämpfen müssen. Nichts kann einen jedoch auf die abschließenden fünf Minuten dieses Films vorbereiten, in denen „The Florida Project“ zwischen tieftraurigem Realismus und magischem Surrealismus mit einer Schlusssequenz aufwartet, die in diesem noch überaus jungen Kinojahr 2018 nur schwer zu toppen sein dürfte.

A Beautiful Day - Dieses schummrige Gefühl, zu existieren und doch immer wieder verschwunden zu sein, überträgt Lynne Ramsay mit hypnotischen Bildkompositionen und dem fantastischen Score von Jonny Greenwood auf das Wesen des gesamten Films, der sich als geradliniger Genre-Reißer verkleidet hat, um dahinter stattdessen ein gleichermaßen tragisches wie abgründiges Psychogramm der Hauptfigur anzufertigen. So wird A Beautiful Day zum kunstvoll vertrackten Anti-Thriller, in dem die Regisseurin konventionelle Spannungsmomente und actionlastige Einschübe subversiv aushebelt. Dabei hinterlässt sie nichts als Bruchstücke einer gequälten Seele, die wie ein lebender Toter über die Reste ihrer verblichenen Existenz wandelt und dem Leben trotzdem nicht entkommen kann. In der Hauptrolle dieses hypnotischen, elektrisierenden Meisterwerks liefert Joaquin Phoenix zudem seine wohl beste Leistung seit The Master ab. 

2. Flops aus den Kinosälen:

Molly's Game - Einen bisweilen schwindelerregenden Rhythmus aus einer Flut an ständig neuen Informationen sowie temporeich vorgetragenen Wortgeschossen konstruiert Aaron Sorkin mit einer Virtuosität, die schon lange musikalische Qualitäten angenommen hat. So kaschiert er in seinem Debüt als Regisseur über weite Strecken recht geschickt, dass sich hinter den verschiedenen sowie vermischten Zeitebenen und dem beständigen Wortschwall in Molly's Game eine überaus konventionelle Biopic-Struktur verbirgt. Zunehmend wirkt es außerdem so, als sei Sorkin seine Protagonistin abhandengekommen, weshalb die finalen Handlungsentwicklungen, die Molly betreffen, ärgerlicherweise auch noch in konstruierten Entwicklungen enden und ein Vater-Tochter-Trauma dafür herhalten muss, das Scheitern der Protagonistin zu begründen.

3. Highlights im Heimkino:

Femme Fatale - Lohnt sich schon alleine aufgrund der fast 20-minütigen Heist-Szene während den Filmfestspielen in Cannes, die so perfekt gefilmt, montiert und musikalisch untermalt ist, dass einem angesichts des Spannungsaufbaus und der allgemein filmischen Perfektion schier der Mund offen steht.  Lohnt sich aber auch für den Rest dieses Thrillers, der von erotischer Obsession, Verwechslung, wechselnden Perspektiven, Täuschung, Verwirrung sowie typischen Stilmitteln des Regisseurs wie Split-Screens, Zeitlupen, Tracking-Shots oder Close-Ups geprägt wird. Brian De PalmasMulholland Drive

Toy Story - Eine unantastbare Kindheitserinnerung, die auch nach der gefühlt 1000. Sichtung nichts von ihrer ansteckenden Begeisterung eingebüßt hat. 

Bowling for Columbine - Ein dokumentarischer Geniestreich, den man sich gerade in diesen Tagen unbedingt (noch einmal) ansehen sollte. 

Pfahl in meinem FleischToshio Matsumotos Werk entführt den Betrachter auf rauschhaft-betörende Weise in die verruchte, schrille und mitunter verzweifelte Transvestiten-Szene des Tokios der 60er Jahre, wo die ausgestoßenen, alternativen, unangepassten Außenseiter der Gesellschaft gegen jegliche Normen rebellieren. Als avantgardistisches Feuerwerk der Inszenierung ist die assoziativ montierte Geschichte mitunter schwer verständlich, doch Matsumotos Film erweist sich zwischen radikalen Stilbrüchen und spielerischen Meta-Ebenen als Liebeserklärung an eine unangepasste Subkultur, deren ganze Schönheit und zugleich Tragik der Regisseur trotz kalter Schwarz-Weiß-Bilder mit warmer Empathie erstrahlen lässt.

Brown Bunny - Radikal ergründet Vincent Gallo in seinem leider oftmals verkannten sowie missverstandenen Film die verlorene Seele eines einsamen Drifters, der unentwegt qualvoll daran scheitert, Gefühle wieder in sein Leben zu lassen. Die finalen 20 Minuten gehören zum emotional niederschmetterndsten, was das Kino in den letzten Jahrzehnten zur Erschütterung gebracht. 

Clerks - Kevin Smiths fantastisches Regiedebüt hat bis heute nichts an Faszination verloren. Dieser Meilenstein des amerikanischen Independent-Kinos hat zitierwürdige Dialoge am laufenden Band zu bieten, während man den frustrierten Ladenhütern als Zuschauer förmlich an den Lippen klebt, wenn sie sich in eine neue Konfrontation verstricken oder einfach nur über die schlichten Banalitäten des Lebens palavern, mit allem, was da eben so dazugehört. 

Was heißt hier Ende? Der Filmkritiker Michael Althen - Eine Ode an einen der leidenschaftlichsten, talentiertesten Filmkritiker Deutschlands, welcher bedauerlicherweise viel zu früh von uns gehen musste. Dominik Grafs Dokumentation ist aber nicht nur eine Würdigung für einen langjährigen Freund, sondern auch eine strahlende Liebeserklärung an das Kino selbst, die jeder, der sich als Cineast bezeichnet oder selbst über Filme schreibt, gesehen haben muss. 

4. Flops im Heimkino:

Psychopaths - Figuren, ob Täter oder Opfer, behandelt der Regisseur als bloße Hüllen, die wenig bis gar keine Charakterisierung erhalten und nur als Mittel zum Zweck töten, leiden oder sterben müssen. Fast schon perfide ist es in diesem Zusammenhang, wie schön Psychopaths mitunter anzusehen ist. Mit grellen Farbfiltern, hypnotisierenden Kamerafahrten, einem trügerischen Spiel mit Licht und Schatten oder dem Einsatz von Split Screens verwandelt der Regisseur seinen Film in eine reine Stilübung. Hinter den bedrohlichen Masken, abstoßenden Foltereinlagen, mal mehr, mal weniger blutigen Morden und wirren Handlungssprüngen zwischen verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen offenbart der Film hingegen nichts als banale Leere, stumpfen Voyeurismus und ein Zelebrieren von hohlen Genre-Mustern, die repetitiv aneinandergereiht den erstaunlichen Bodensatz an kreativem Unvermögen bloßstellen. Berufsverbot für Mickey Keating bitte.

Assholes - Auch wenn Peter Vack mit seinem Low-Budget-Regiedebüt unübersehbar einen anstößigen, anarchischen Kultfilm der Marke John Waters abliefern wollte, ist die ziellose, unnötig ausgedehnte Mischung aus Gross-Out-Comedy, unkonventionellem Liebesfilm, neurotischer Tragikomödie, Drogentrip und surreal-widerwärtigem Exzess kaum mehr als leere Provokation, die sich erstaunlich schnell abnutzt. Abgesehen von einigen amüsanten Unvorhersehbarkeiten und dem rebellisch-unberechenbaren Grundton erweist sich Assholes daher als überwiegend misslungenes Werk, das so laut nach Aufmerksamkeit schreit, dass der Zuschauer irgendwann zu Ohrenstöpseln greifen will, um größeren Schaden zu vermeiden.

Auslöschung - Der große Netflix-Hype entpuppt sich als leeres Gefäß, das einen philosophischen Unterbau andeutet, wenn die gnadenlos unterentwickelten Figurenschablonen Stichwörter wie Schöpfung oder Menschlichkeit äußern, während die eigentliche Handlung mehr und mehr die typische Struktur eines schlichten B-Movies annimmt. Alex Garland scheint seinem Publikum unaufgelöste Mysterien gar nicht erst zumuten zu wollen, da er seine Figuren jede Handlungsentwicklung mit ständigen Expositionsdialogen kommentieren lässt und alles haargenau bis ins Kleinste erklärt, während die Frauen wie in einem vorhersehbaren Horrorfilm eine nach der anderen dem plumpen Horror-Effekt geopfert werden. Unentschlossen pendelt der Film dadurch zwischen einem plumpen B-Movie-Horror-Reißer, der sich überdeutlich an Werken wie Alien oder Predator bedient, und zumindest gewollt anspruchsvollen Science-Fiction-Konzepten hin und her, während Genre-Vorbilder wie Stalker oder 2001: Odyssee im Weltraum für Garlands aufgeblähtes, zerfahrenes und ganz schön hässlich anzusehendes Blendwerk unerreichbar aus der Ferne in die Höhe ragen.

5. Alles über Serien:

Die 2. Season Atlanta ist angelaufen und ich genieße jede Woche eine neue Folge. Eine ganz tolle Serie, die hierzulande wohl noch recht unter dem Radar läuft und unbedingt von mehr Leuten entdeckt werden sollte.

6. Für den April plane ich:

3 Tage in Quiberon, Avengers: Infinity War

7. Filmschaffende(r) des Monats:

Vincent Gallo

8. Mein Monat hat mich irgendwie an diesen Film erinnert:

Parasiten-Mörder


MrDepad

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