Am 22. Juli 2011 wurden fünfhundert Jugendliche in einem Sommercamp der norwegischen Arbeiterpartei auf der Insel Utøya von einem schwer bewaffneten, rechtsextremistischen Attentäter überfallen. Der Anschlag forderte 69 Todesopfer. Anhand von Zeugenberichten rekonstruiert der dänische Regisseur und ehemalige Kriegsfotograf Erik Poppe (Troubled Water) die traumatischen Geschehnisse. In den Mittelpunkt rückt er dabei die 19-jährige Kaja (Andrea Berntzen), welcher die Kamera ohne erkennbaren Schnitt über die Insel folgt. Eine Atmosphäre von bedrückender Anspannung erzeugt der Regisseur dabei ohne großes Aufsehen. Die Bedrohung steht allgegenwärtig im Raum, in regelmäßigen Abständen durchdringen Schüsse die ansonsten von angehaltenem Atem dominierte Geräuschkulisse. Explizite Gewaltszenen entfallen beinahe gänzlich, denn das wahre Grauen spielt sich in den Gesichtern der Opfer ab.
Es wäre zynisch und schlichtweg vermessen, Poppes Ambition als Ausschlachtung der Ereignisse zu begreifen. Seine Absicht ist es keinesfalls die Geschehnisse zu monetarisieren oder als stumpfen Aufhänger zu instrumentalisieren, sondern vielmehr ein kollektives Trauma aufzuarbeiten und durch die filmische Umsetzung erfahrbar zu machen. Darin ein kalkuliertes Produkt zu sehen, sagt wohl weniger über den Film selbst, als vielmehr über den Rezipienten aus. Dass Utoya 22. Juli sich im moralischen Grenzgebiet bewegt, ist unabdingbar. Nur so kann er eine Wirkung entfalten, nur so kann er nicht völlig egal sein. Die formale Entscheidung das 72 Minuten lange Massaker als Plansequenz zu inszenieren ist daher weniger kalkulierte Nabelschau, als vielmehr ein notwendiges Mittel zur Immersion. Durch die Intensität der Ereignisse lässt sich das unverständliche Massaker zumindest ein Stück weit greifen.
Entscheidend ist dabei auch, dass Poppe keinen Film über den Täter gedreht hat, sondern einzig und allein seine Tat in den Mittelpunkt stellt. Bis zum Ende bleibt er unerwähnt, nicht mehr wie ein drohender Schatten im Dickicht des Waldes. Seine krankhaften Ansichten, seine fragwürdige Ideologie und die zugrundeliegenden Beweggründe sind zu keinem Zeitpunkt Thema des Films. Was man fälschlicherweise als unpolitisch abtun könnte, ermöglicht es die Opfer ins Zentrum zu rücken. Damit wirkt Utoya 22. Juli auch der medialen Berichterstattung entgegen, die viel zu oft eine krankhafte Faszination aus der Perversion des Täters zieht und die Opfer als bloße Statistik am Rand abhandelt. Poppe verleiht ihnen ein Gesicht und ermöglicht es so zumindest einen Teil ihres Leids erfahrbar zu machen.
In gewisser Weise ist Utoya 22. Juli dadurch natürlich manipulativ, eine Eigenschaft, die dem Medium Film seit jeher immanent ist. Reißerisch ist das Werk hingegen nie, weil Poppe darauf verzichtet künstlich Momente des Mitgefühls zu erzeugen und seine (emotionale) Wucht stets im Geschehen selbst begründet. Hilflosigkeit, Entsetzen und eine anhaltende Ohnmacht sind dabei die vorherrschenden Gefühle. Dadurch erschließt sich natürlich eine Nähe zum Thriller, an der per se jedoch nichts auszusetzen ist. Die Wirkung liegt in der Ursache begraben. Poppe instrumentalisiert nicht etwa das Leid zu Spannungszwecken, sondern operiert genau gegenteilig. Die Mechanismen des Spannungskinos sorgen dafür, dass Utoya 22. Juli auf quälende Art im Gedächtnis bleibt und so den Opfern ein empathisches Denkmal setzt.