Am 9. Mai 2024 startet der oscarnominierte Animationsfilm Robot Dreams in den deutschen Kinos. Anlässlich des Filmstarts haben wir (Yuliya und Andy Mieland) den Regisseur des Films, Pablo Berger, in Berlin zum Interview getroffen.
Sie haben bisher nur Live-Action-Filme gedreht. Wie kam es dazu, dass Sie plötzlich einen Animationsfilm machen wollten und war die Umstellung im Arbeitsprozess als Regisseur schwer bzw. waren die Unterschiede groß?
Der einzige Grund, einen Animationsfilm zu machen, war das Buch "Robot Dreams", die Graphic Novel. Als ich es las, verliebte ich mich, insbesondere in die Themen, über die das Buch spricht. In diesem Buch geht es um Freundschaft, Beziehungen, die Zerbrechlichkeit der Beziehung und um Einsamkeit. Diese Themen reizten mich wirklich. Wenn ich diese Geschichte erzählen wollte, musste ich einen Animationsfilm machen. Allerdings hatte ich früher nie darüber nachgedacht. Es war dann das allererste Mal, dass ich tatsächlich darüber nachdachte, einen Animationsfilm zu drehen. Doch als ich anfing, hatte ich große Angst vor dem Prozess. Ich dachte, dass es für mich sehr schwierig werden würde, weil ich aus dem Live-Action-Bereich komme, aber schon früh wurde mir klar, dass Live-Action und Animationsfilme viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben.
Am Ende ist der Regisseur ein Geschichtenerzähler, ein visueller Geschichtenerzähler und man muss eine gute Performance abliefern, mit guter Schauspielerei, egal ob es sich um Schauspieler oder animierte Figuren handelt, dementsprechend war meine Aufgabe gleich. Es ist genauso, wie Guillermo del Toro sagte, als er den Oscar für Pinocchio bekam: „Animation ist kein Genre. Es ist ein Medium.“ Also für mich ist es ein Medium. Es gibt natürlich eine bestimmte Eigenschaft, die man als ein Animationsregisseur mitbringen muss, und zwar Geduld.
Es ist definitiv ein Muss, weil bei Live-Action-Filmen, die Arbeit mit den Schauspielern und der Crew zwei Monate dauert, aber hier drehte ich diesen Animationsfilm in Zusammenarbeit mit den Animatoren mehr als zwei Jahre … zweieinhalb Jahre. Es ist also ein anderer Rhythmus, in gewisser Weise eine andere Zeitspanne. Animationsfilme sind wie echte Live-Action-Filme, aber in Zeitlupe. Man trifft die Entscheidungen auch viel langsamer und man geht in gewisser Weise sorgfältiger mit allen Details um. Als Regisseure träumen wir von Filmen und dieser Film kommt allen Träumen, die ich je hatte, am nächsten, weil ich sehr präzise sein konnte.
Der Film basiert auf einer Graphic Novel. Welchen Bezug haben Sie zu Graphic Novels und was hat Ihnen an der Geschichte von Robot Dreams am meisten gefallen?
Ich sammle Graphic Novels, und zwar Graphic Novels ohne Dialoge wie "Robot Dreams". "Robot Dreams" hat keine Dialoge, es gibt nur Zeichnungen, mit deren Hilfe die Geschichte erzählt wird. Ich habe Hunderte von Graphic Novels und das ist grundsätzlich ein Element, das mich anzieht. Aber zuallererst habe ich "Robot Dreams" für meine Sammlung gekauft, die Entscheidung, den Film zu machen, fiel erst später. Ich denke, dass illustrierte Bücher und Zeichnungen zum Leben zu erwecken etwas völlig anderes ist als mit Schauspielern zu arbeiten. Wenn ich diesen Film mit Schauspielern gemacht hätte, wäre es für das Publikum schwieriger, sich mit ihnen zu identifizieren. Aber die Tatsache, dass Filme wie Robot Dreams Zeichnungen, vielmehr ikonische Bilder, haben, denke ich, hilft dem Publikum sich mit den Figuren zu identifizieren und Empathie zu empfinden. Und das war definitiv einer der größten Reize für mich, diesen Film zu machen. Genauso wie der Stil dieses Buches, der sehr von der Ligne Claire, von Hergé, Yves Chaland und Serge Clerc inspiriert ist und auch von den französisch-belgischen Comics.
Der Film kommt ohne Dialoge aus und erinnert dadurch an alte Classic Cartoons, die aber eher auf Slapstick und Comedy setzen. Robot Dreams vermittelt dagegen viele verschiedene Emotionen und regt zum Nachdenken an. War es schwer diese vielen Emotionen in einem dialogfreien Animationsfilm umzusetzen?
Wie Sie schon sagten, der Film ist auf jeden Fall von Slapstick inspiriert und ich denke, einer der Könige des Slapsticks ist Buster Keaton. Robot Dreams ist eine Hommage an Buster Keaton, aber auch eine große Hommage an Chaplin. Chaplin war eine große Inspiration für die Entstehung dieses Films, insbesondere gab es einen bestimmten Film, der einen großen Einfluss auf Robot Dreams hatte. Das war City Lights (Anm. d. Red.: Lichter der Großstadt). Und es bleibt für immer unvergessen, dass Chaplin der Erfinder der Dramedy oder der tragischen Komödie im Kino war. In Chaplin-Filmen gibt es Lacher und Tränen und deshalb hatte ich den Anspruch, dass Robot Dreams das Publikum berühren sollte. In Robot Dreams gibt es Komik, jede Menge Humor und lustige Elemente, aber es gibt auch Drama und ich denke, bei einem Teil des Publikums könnte der Film eine emotionale Wirkung erzielen, und genau das habe ich versucht. Das lässt sich auf jeden Fall durch den Einsatz von visuellem Storytelling erreichen.
Ich hatte schon früher einen Film ohne Dialoge gemacht. Ich habe einen Film namens Blancanieves gedreht und ich fühle mich beim Schreiben mit Bildern sehr wohl. Daher war Robot Dreams für mich eine Kontinuität meiner Arbeit als Regisseur. Für mich besteht reines Kino darin, die Geschichte mit unterschiedlichen Bildern zu erzählen, also ist diese Arbeit wahrscheinlich, die repräsentativste aus meiner Filmografie.
Wir wissen, dass Sie eine besondere Beziehung zu New York haben und den Film deshalb in New York angesiedelt haben. Gab es auch einen bestimmten Grund, den Film in den 80ern spielen zu lassen? Was lieben Sie an diesem Jahrzehnt?
New York ist auf jeden Fall der Protagonist von Robot Dreams zusammen mit dem Roboter und dem Hund. Es gibt insgesamt drei Protagonisten... ich würde sogar sagen vier: Der Hund, der Roboter, New York und die New Yorker, weil man New York ohne die New Yorker nicht verstehen kann. Aber das kommt im Buch nicht vor, weder New York noch die New Yorker. Meine Verbindung zu New York ist sehr stark, weil ich 10 Jahre dort gelebt habe. Ich habe an der NYU Film studiert und einen Master in Film gemacht und bin in New York erwachsen geworden. Ich glaube wirklich, dass ich dort zum Regisseur wurde und auch erwachsen geworden bin. Ich habe viele Erinnerungen an New York. Das erste Mal war ich Mitte der 70er Jahre dort, Mitte der 80er Jahre war ich oft dort, aber in New York gelebt habe ich von 1990 bis 1999. Der Film spielt Mitte der 80er Jahre und mit dieser Dekade bin ich sehr vertraut. Ich dachte mir, dass die 80er Jahre interessanter sind als die 90er. Gerade optisch, weil es coole Videospiele gab und tolle Musik. Deswegen hat es mir mehr Spaß gemacht, den Film in die 80er-Jahre zu versetzen. Mir gefällt, die Idee, dass Filme wie eine Zeitmaschine sind. Man reist einfach durch die Zeit, also wollte ich, dass das Publikum die Möglichkeit bekommt an einen anderen Ort zu einer anderen Zeit zu reisen. Wenn die Menschen ins Kino gehen, sich auf den Sitzplatz setzen und das Licht ausgeht, dann landen sie in einer anderen Welt. New York aus Robot Dreams ist längst verschwunden, doch ich denke, dass es sehr aufregend ist, diese Zeit noch einmal zu erleben.
Bildnachweis: ©Plaion Pictures | Szene aus "Robot Dreams"
Ihr Film war dieses Jahr für einen Oscar nominiert. Herzlichen Glückwunsch!
Vielen Dank.
Wie fühlt es sich an, mit einer kleinen europäischen Produktion mit so namhaften und großen Studios wie Disney/Pixar, Studio Ghibli, Netflix und Sony/Marvel um den wichtigsten Filmpreis der Welt zu konkurrieren?
Wir haben uns sehr gefreut und waren sehr aufgeregt wegen der Nominierung. In gewisser Weise fühlten wir uns ein bisschen wie David gegen Goliath, weil wir eine kleine europäische, französisch-spanische Koproduktion sind, aber wir fühlten uns von der amerikanischen Filmindustrie sehr unterstützt und sogar von meinen Kollegen. Vom Regisseur von Elemental oder Nimona, oder Spider-Man. Sie waren alle sehr herzlich. Leider konnten wir Miyazaki (Anm. d. Red.: Hayao Miyazaki, Regisseur von Der Junge und der Reiher) nicht treffen, da er nicht nach LA gekommen ist. Im Endeffekt hießen sie mich in ihrem Club willkommen, es gibt einen kleinen Club dieser großen Animationsfilme und es war überraschend, dass von den fünf Filmen zwei Filme handgemalt waren, was ein gutes Zeichen dafür ist, dass handgezeichnete Animationen wie Der Junge und der Reiher und Robot Dreams immer noch eine große Bedeutung haben. Es gibt nach wie vor so viele Dinge, die man mit traditioneller Animation machen kann. Aber es war auf jeden Fall eine Ehre, nominiert zu sein. Und wenn unbedingt jemand außer uns gewinnen musste, akzeptieren wir, dass Miyazaki gewonnen hat. Der Meister hat gewonnen.
Mir hat Ihr Film mehr gefallen.
Danke schön. Mir gefiel mein Film auch besser. (lacht) Danke schön. Aber Sie wissen, er ist nun mal der Meister. Ich freue mich, dass es Ihnen besser gefallen hat.
Ja, es war sehr bewegend.
Wir wollten einen sehr bewegenden Film machen und wir wollten die Herzen der Menschen berühren.
Sie haben eine fantastische Arbeit geleistet!
Vielen Dank. Wenn der Film sie berührt hat, dann habe ich ihn für Sie gemacht, weil der Film nicht dem Regisseur gehört. Wenn er fertig ist, gehört er dem Publikum, und Sie sind Journalisten, aber in erster Linie sind Sie Filmliebhaber und lieben das Kino. Deshalb freue ich mich, dass es Sie berührt hat.
Was sollen die Zuschauer aus Robot Dreams lernen?
Ich denke, jeder wird lernen … Ich weiß nicht, ob lernen unbedingt das richtige Wort ist … In erster Linie wollte ich unterhalten und als Regisseur möchte ich nicht nur Antworten geben, sondern auch Fragen stellen. Deshalb denke ich, dass die Antworten von selbst gefunden werden. Ich stelle Fragen über Einsamkeit und Beziehungen. Über die Zerbrechlichkeit von Beziehungen, und ich mag die Idee, dass es nach dem Anschauen des Films eine Debatte gibt. Wenn sich Freunde oder ein Paar den Film anschauen und danach einfach darüber reden und realisieren, dass sie bezüglich der Geschichte andere Ansichten haben. Manche Menschen können sich mit dem Hund identifizieren, andere identifizieren sich mit dem Roboter. Manche Menschen identifizieren sich mit dem Waschbären. Ich denke, mir gefällt die Idee, dass sich das Publikum mit verschiedenen Charakteren identifizieren kann, denn in Beziehungen sind wir manchmal Hunde, manchmal sind wir Roboter, manchmal sind wir Waschbären oder manchmal sind wir sogar die Ente, und ich denke, um zu verstehen, wovon wir reden, muss man einfach den Film sehen. Denn im Grunde repräsentieren alle diese Charaktere, verschiedene Charaktere in einer Beziehung.
Wie lange haben Sie insgesamt an dem Film gearbeitet?
Mein letzter Live-Actionfilm war 2017. Es war Abracadabra. Als ich die Promotion beendet hatte, begann ich mit der Arbeit an Robot Dreams, es sind also fünf Jahre vergangen. Es waren fünf Jahre ununterbrochener Arbeit. Aber ich würde sagen, ein Jahr war für das Drehbuch, ein anderes Jahr für das Storyboard, etwa zweieinhalb Jahre dauerte die Animation. Danach die Postproduktion, aber es waren für mich aus Regisseursicht fünf Jahre Arbeit … Ich würde sogar sagen sechs, wenn man ein Jahr Promotion dazu zählt, weil ich den Film seit Cannes letztes Jahr beworben habe.
Ich wollte ein Jahr Promotion machen, natürlich erforderte die Oscar-Verleihung viele Monate voller Promotion, aber ich bin froh, jetzt in Deutschland zu sein und über den Film zu sprechen. Ich denke, ich muss mit dem Hund und dem Roboter gehen und bin dankbar dafür, dass ich die Gelegenheit habe, den Leuten zu sagen, sie sollen ins Kino gehen und sich Robot Dreams anschauen.
Danke. Es war großartig!
Und wir können uns den Worten von Pablo Berger nur anschließen und empfehlen den Film Robot Dreams zu hundert Prozent weiter. Man sollte sich Robot Dreams unbedingt im Kino ansehen. Es ist definitiv ein Meisterwerk.