Wer viel Zeit darin investiert, sich mit den mannigfaltigen (Un-)Tiefen der Filmlandschaft auseinanderzusetzen, der wird in der Vergangenheit mit Sicherheit nicht nur qualitative Extreme kennengelernt haben. Es gibt unzählige Grauzonen zwischen dem Meisterwerk und dem Hassfilm, die es im Anschluss rechtmäßig im Plenum zu diskutieren gilt. Nun allerdings stellt sich die Frage, inwiefern man sich dazu bereit erklärt, einer Serie Aufmerksamkeit zu spendieren, die am Ende des Tages weder herausragend noch desaströs ist; einer Serie, die man als „interessant“ deklarieren würde - und damit doch nur bedingt in der Lage scheint, eine deutliche Empfehlung auszusprechen. Das Amazon-Instant-Video-Format „Hand of God“ ist so ein Fall: Hier mag ein durchaus erkennbarer schöpferischer Drang vorhanden sein, jedoch erweckt die erste Staffel „Hand of God“ über weite Strecken den Eindruck, etwas zu ambitiös zu Werke geschritten zu sein. Der serielle Narrativkörper jedenfalls wird über zehn Episoden gnadenlos überstrapaziert,
Im Zentrum der Serie steht der selbstgerechte Pernell Harris (Ron Perlman, „Pacific Rim“), der durch seine Gnadenlosigkeit als Richter allseits bekannt geworden ist. Seine Frau Crystal (Dana Delany, „Freelancers“) scheint nicht weniger kraftbrüstig veranlagt zu sein und ihrem einflussreichen Mann den Rücken zu stärken, sollte die Luft mal wieder etwas dünner werden. Als sich ihr gemeinsamer Sohn PJ (Johnny Ferro) in den Kopf geschossen hat, nachdem er mitansehen musste, wie seine Ehefrau Jocelyn (Alona Tal, „Broken City“) von einem Unbekannten vergewaltigt wurde, bricht gerade für Pernell eine Welt zusammen. In seiner Verzweiflung flüchtet er sich in den Schoß der titelgebenden Freikirche unter der Führung des jungen Predigers Paul Curtis (Julian Morris,„New Girl“), der zusammen mit der attraktiven Alicia (Elizabeth McLaughling) nicht nur geschundenen Seelen die Absolution erteilen möchte, sondern auch die Klingelbeutel ordentlich füllen. Dieses Charaktergeflecht an sich würde schon vielversprechende Reibungspunkte aufweisen, die „Hand of God“ auch durchaus ansprechend formuliert.
Allerdings, und da wird die erzählerische Überfrachtung der Serie schon leise ersichtlich, spielen auch noch Bürgermeister Robert „Bobo“ Boston (Andre Royo, „The Wire“), der gewaltgetriebene Soziopath KD (Garret Dillahunt, „The Road“) und die Prostituierte Tessie (Emayatzy Corinealdi) eine nicht unwesentliche Rolle. „Hand of God“ ringt immerzu mit seinen Nebensträngen, die die Erzählstruktur von „Hand of God“ zunehmend ausfransen und Charaktere immer wieder unter den Tisch fallen lassen, obgleich sich die von „Burn Notice“-Autor Ben Watkins geschriebene Geschichte über ihre Laufzeit von zehn Episode (die sich auf eine Länge von gut einer Stunde belaufen) ansprechend genug artikuliert, bis zum Staffelfinale am Ball zu bleiben. Man könnte also sagen, „Hand of God“ mutet sich in seiner durchaus emotionalen Verstrickung einzelner Handlungsfäden schlichtweg zu viel zu. Es sind daher auch wiederholt die starken Schauspielleistungen (allen voran: ein bullige Ron Perlman im fanatischen Rausch), die das wankende Plateau, auf dem „Hand of God“ versucht, die Balance zu halten, nicht noch hemmungsloser zum Schaukeln bringen.
„Hand of God“ aber hat freilich mehr in seinem Repertoire, als einzig die durch die Bank weg soliden Darsteller. Anhand der in seiner Zerrissenheit einnehmenden Figur des Richters Pernell Harris sowie seinem Trauma verhandelt die Serie mit dem Zuschauer aus, ob respektive wie lange es noch nachvollziehbar ist, in welch spirituellen Sphären der liederliche Kadi nach und nach abrutscht. Durch den Selbstmordversuch seines Sohnes findet Harris angeblich zu Gott, hört Stimmen, spricht in fremden Zungen, betet. Für „Hand of God“ ist Gott – oder eben die Religion allgemein – keine Stütze in schwerster Stunde, hier folgt man vielmehr dem Ansatz, Gott als Mittel zum Zweck zu instrumentalisieren: Eine Ausrede, ein Deckmantel, um die fehlgeleitete Trauerarbeit irgend möglich in Selbstjustiz zu kanalisieren. Harris ist genau deshalb ein religiös verbrämter Fanatiker, weil er sich nicht um den Weg des Glaubens schert, sondern sich abgrundtief in die Möglichkeiten hineinsteigert, die ihm ein frommer Vorwand gereicht.
Und genau dort, im kritischen Umgang mit Religion, seinen Anhängern, seinen Repräsentanten, findet „Hand of God“ zusehends Ansätze, Denkanstöße und Worte, die wirklich mitreißen; die veranschaulichen, wie viel Potenzial in diesem hochwertig von Amazon produzierten Format doch schlummert. Wem man die Serie nun ans Herz legen möchte? Mit Inbrunst wohl niemandem, gerade, weil sie einen narrativen Ballast auf ihren Schultern trägt, der sie deutlich in die Knie zwingt. Und doch: „Hand of God“ ist nicht schlecht, ganz und gar nicht, es ist ambitioniert, möchte zum Nachdenken anregen und hat mit dem charismatischen Ron Perlman ein Zugpferd an vorderster Front, welches vollkommen in der Lage ist, diese Serie zu stemmen – und das ist nicht (nur) auf seine rustikale Physis bezogen.