Einleitung
Rainer Werner Fassbinder ist wohl zweifelsohne der skandalträchtigste Regisseur des Neuen Deutschen Films. Zur Mystifizierung seiner Person trägt wohl nicht nur sein früher Tod, sondern vor allem sein künstlerischer Output selbst bei. Wie kaum ein anderer Filmmacher war er am Draht der Zeit, hat gesellschaftliche Reglements hinterfragt und mit seinem Auftritt für zahlreiche Kontroversen gesorgt. STUDIOCANAL huldigt nun dem großen Regisseur und präsentiert fünf seiner Filme auf Blu-ray in einer Box. Auch wenn man dem umfangreichen Schaffen des Filmemachers damit kaum gerecht wird, so bietet die Auswahl doch einen gelungenen Einstieg in dessen Filmografie.
Die Filme
In einer Gastarbeiterkneipe lernt die etwa 60jährige Witwe Emmi, die als Putzfrau arbeitet, den viel jüngeren Marokkaner Ali kennen. Ali tanzt mit Emmi, sie reden miteinander, er begleitet sie nach Hause. Er zieht zu Emmi. Schließlich heiraten sie. Für die anderen ist diese Eheschließung ein Skandal: Emmis erwachsene Kinder schämen sich ihrer Mutter, die Nachbarn tuscheln, der Kolonialwarenhändler weist Emmi aus dem Laden, Emmis Arbeitskolleginnen verachten sie. Doch schließlich lässt der äußere Druck auf Emmi und Ali nach, und nun werden ihre inneren Probleme deutlicher. Angst essen Seele auf ist vielleicht das große Meisterwerk in Fassbinders Schaffen. Akkurat schildert er einen zeitlosen Konflikt, ein emotionales und kraftvolles Plädoyer für Grenzen überschreitenden Zusammenhalt.
Im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung haben Wissenschaftler eine künstliche Welt erschaffen, die die reale imitiert. Nach dem überraschenden Ableben des Institutsleiters scheint seinen Nachfolger Fred Stiller das gleiche Schicksal zu ereilen. Denn auch Stiller muss feststellen, dass die Realität, in der er lebt, womöglich nur eine Simulation ist. Zeitlos ist wohl das Wort, das sich wie ein roter Faden durch Fassbinders Werke zieht. Auch hier beweist er ein feines Gespür für kommende Ereignisse und formuliert einen intelligenten Kommentar auf technischen Fortschritt und die Rolle des Menschen im digitalen Zeitalter. Eingebettet in die Mechanismen eines Genrefilms ist Welt am Draht ebenso ungewöhnlich wie gelungen.
Die siebzehnjährige Effi Briest wird mit dem wesentlich älteren Regierungsinspektor Gert von Innstetten verheiratet. Die Ehe der beiden ist trist, da sich von Innstetten nur für seine politische Karriere interessiert. Etwas Glück genießt Effi nur in einer kurzen Affäre mit Major Crampas, die jedoch durch die Versetzung ihres Mannes nach Berlin beendet wird. Anschließend geht über Jahre alles wie zuvor weiter, bis von Instetten eines Tages die alten Liebesbriefe Crampas’ entdeckt. Natürlich war Fassbinder auch ein Meister des Melodrams und beherrschte es ähnlich wie Douglas Sirk wahre Stürme emotionaler Wirkung zu erzeugen. Gekonnt vermengt er Zeitgeist und Literaturadaption zu einem einnehmenden Werk.
Deutschland im Jahr 1943: Während eines Luftangriffs in einer deutschen Stadt heiratet Maria den Soldaten Hermann Braun; das Standesamt wird durch die Explosion einer Fliegerbombe zerstört. Hermann muss sofort wieder an die Front, und Maria ist auf sich allein gestellt. Nach Kriegsende nimmt sie ihr Schicksal in die eigene Hand. Die Nachricht, Hermann sei gefallen, veranlasst die mit ihrer Mutter und ihrem Großvater lebende Maria, als Bardame für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Sie beginnt eine Beziehung mit Bill, einem afroamerikanischen GI, der sich um sie kümmert und sie mit begehrten Gütern wie Nylonstrümpfen und Zigaretten versorgt. Marias Mann ist jedoch noch am Leben und kehrt aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Auch die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs ist im deutschen Kino seit jeher ein Thema. Fassbinder liefert seinen eigenen Beitrag, indem er sich von bekannten Motiven distanziert und die Perspektive einer zurückgebliebenen Frau porträtiert.
Eine Stadt in Deutschland. Deutschland im Herbst 1957. Wirtschaftswunder. Adenauer-Ära. Eine Stadt im Aufwind des Wiederaufbaus. Jeder, so scheint es, hat einen Nutzen davon. Vor allem Herr Schuckert, der erfolgreiche, joviale, lebenslustige Baulöwe der Stadt. Er ist der heimliche Herrscher. Er hat alle in der Tasche und steckt das meiste in seine Tasche. Alle Honorationen tanzen nach seiner Pfeife, denn Schuckert läßt sie teilhaben am Bauboom, so sind alle zufrieden. Die Honoratioren der Stadt treffen sich nächstens heimlich in der Villa der Frau Fink, um sich zu amüsieren. Madame und ihre Mädchen sind hingebungsvoll um das Wohlergehen ihrer Gäste bemüht. Auch hier gibt Herr Schuckert den Ton an. Star der "Villa Fink" ist Lola, die eigentlich Marie-Louise heißt und eine kleine Tochter, Mariechen, hat. Die Männer umschwirren Lola, wenn sie tanzt und singt. Auch hier nimmt sich Fassbinder einem politisch aktuellen Thema an, vermengt es mit emotionaler Tragkraft und erzeugt final einen kraftvollen Film.
Blu-ray
Die fünf Discs umfassende Box beinhaltet drei Blu-ray Premieren und fügt den oben beschriebenen Filmen noch drei Dokumentationen hinzu: Fassbinder (2015), Fassbinders „Welt am Draht“ – Blick voraus ins Heute und Rainer Werner Fassbinder, 1977. Dazu kommen zwei Kurzfilme (Das kleine Chaos, Der Stadtstreicher) sowie das Feauterette Todd Haynes über Fassbinder und das Melodram. Neben dem Umfang kann auch die Qualität der Filme überzeugen. Aus technischer Sicht wurden die fünf Werke gelungen restauriert und erstrahlen nun in gerechtfertigtem Glanz.
Fazit
Die Fassbinder Edition ist nicht nur aus technischer Sicht zu empfehlen, sondern bietet auch inhaltlich eine gelungene Auswahl. Die Zusammenstellung der Filme bietet abwechslungsreiche Höhepunkt aus der Filmografie des deutschen Regisseurs und dient dadurch wohl optimal als Einstieg für interessierte Zuschauer. Aber auch Fans können beruhigt zuschlagen, da sowohl Aufmachung als auch Qualität der Filme überzeugend ausfällt. Auch das Preisleistungsverhältnis erscheint wirklich fair und sollte einen weiteren Anreiz liefern, die Box ins heimische Regal zu stellen. Seit dem 09. Februar ist die Edition von STUDIOCANAL im Handel erhältlich.