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Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2018

von Sebastian Stumbek

DIE TOP 10 FILME 2018:

1. Call Me by Your Name
Das hier ist kein Problemkino, sondern ein hypnotischer Sog der Sinnlichkeit. Es gibt nur noch die Dinge selbst, keine übergeordneten Verstrebungen, nur das Geheimnis der Liebe.

2. The Florida Project
Ein Film, der um seine Ambivalenzen weiß, und beständig an sie glaubt, anstatt sie zu verdammen. So wie er eben auch die Hauptfiguren glaubt, anstatt sie zu maßregeln. Er glaubt an die Schönheit, die das Dasein am Existenzminimum besitzen kann, aber er kennt auch die bedrückende, destruktive Schwere. Ähnlich wie der Baum, der umgestürzt ist, aber trotzdem weiterwächst. Der beste Film des Jahres? Womöglich.

3. Transit
Ein Kino der Verblassenden. Ein Kino der Verlassenen und Verlassenden. Wie die Polizeiwagen, die die Straße ins Nirgendwo hinunter donnern, hechten auch die Menschen auf und ab, immer auf der Suche nach der Liebe, die es lange schon nicht mehr gibt. Die Antwort, wer mehr zu leiden hat, die Verlassenen oder die Verlassenden, beantwortet Petzold in diesem von aufwühlender Ungewissheit beseelten Geniestreich für sich gewohnt unkonventionell. Im Brennglas der Gegenwart jedenfalls hallt das Echo der Vergangenheit noch lange nach. Viele warten, viele sind rastlos, irgendwie unentschlossen, aber vielleicht, wenn man seinen Kopf zur Tür dreht, steht sie da, die Liebe, die es eigentlich gar nicht gibt. Willkommen in der Hölle der Einsamkeit.

4. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Zutiefst menschliches Charakterkino über die Wege der Trauer, der Gewalt, des Zorns, der Moral und ihrer Umkehrung. Eine von Menschenkenntnis und Lebensweisheit bis zum Rand gefüllte Komödien-Tragödie, scharfzüngig geschrieben, exquisit gespielt, berührend, urkomisch, bitter, zynisch, liebenswert, hässlich, jenseits von einfachen Antworten.

5. A Beautiful Day
Ein zutiefst todessehnsüchtiger Film. Der Taxi Driver des 21. Jahrhundert. Auch Lynne Ramsay schweißt die Verlorenheit eines Mannes in der Großstadt in verstörenden und gleichermaßen poetischen Bilder für die Ewigkeit ein. Ich war sprachlos von diesem schöpferischen Feingeist. Von dem destruktiven Mut, einen Film nicht zu Ende zu denken, um ihn dadurch vollends erblühen lassen zu können.

6. The House That Jack Built
Jahrelang hat Lars von Trier die Hölle studiert, jetzt erschafft er sich endgültig seine eigene. The House That Jack Built ist Abschiedsbrief, Grabrede und Vermächtnis in einem. So ungestüm wie ein Kleinkind, dem moralische Prinzipien vollkommen fremd sind; teilweise so bitterböse (und unfassbar komisch), als würde man die Coens Amoklaufen lassen und vor allem so betäubend, schockierend und bedrückend wie das detaillierte Tagebuch eines Zwangsneurotikers im Blutrausch.

7. Ungehorsam
Ein wundervoller, intimer und ebenso eindringlicher Film über die Liebe zweier Frauen, die gegen den religiösen Traditionalismus und patriarchale Strukturen aufbegehren und auf ihren Anspruch auf individuelle Freiheit bestehen. Dass dieser dieser großartig gespielte und ebenso feinfühlig inszenierte Film in Deutschland keine Kinoauswertung erhalten hat, ist schier unglaublich (und eine ebensolche Frechheit).

8. Mission: Impossible: Fallout
Neben seiner Düsternis, seiner in seinen besten Momenten sehr eindringlichen Charakter-Introspektion, ist das hier ein sagenhaft gut komponierter Action-Film. Die Stunts sind phänomenal, die Set Pieces dynamisch, erschlagend in ihrer Brachialgewalt, liebkosen in ihrer Sinnlichkeit: Sie scheinen die Zuschauer, wie auch Hunt und sein Team, in ihrer unvermittelten Bedrohung schlichtweg zu verschlingen. Ein Meisterwerk seiner Klasse. Der beste Teil der Reihe. Ein Genickbruch für James Bond. Ein Siegeszug für Tom Cruise. Der Rest kann zu diesem Mann nur mit Erstaunen aufsehen.

9. First Reformed
Paul Schrader spricht dabei ganz gezielt von globalen Ängsten und artikuliert First Reformed auch als psychologischen Querschnitt durch das Gespinst der Angst einer Gesellschaft, die irreversiblen Katastrophen entgegensteuert und dabei keine Mittel mehr findet, sich selbst lebendig zu erhalten. Terrorismus, Lobbyismus, Umweltverschmutzung. Sind wir die Geister, die Gottes Schöpfung rief? In seiner strengen Formalität erinnert Schraders Ägide an die große Namen des Weltkinos, Ingmar Bergman und Robert Bresson unzweifelhafte Vorbilder, denen First Reformed Tribut zollt, ohne dabei aber, sich seiner eigenen Identität zu entledigen.

10. In den Gängen
In den Gängen ist ein Film, der zum Verweilen einlädt; der in seiner ungefilterten Menschennähe schwelgt. Der einen in seiner schieren Alltäglichkeit einsaugt und für lange Zeit nicht mehr freigibt. Irgendwie wird man die Gänge des Marktes für dieses Jahr wohl nicht mehr verlassen; dort, wo auch mal längere Blicke direkt durch die halbvollen Regale ausgetauscht werden, wo der Gabelstapler sogar das Rauschen des Meeres imitieren kann, wo Sibirien nur drei Gänge nach links und das süße Schlaraffenland nur fünf Schritte nach rechts entfernt ist. Da, wo das echte Leben stattfindet. In der ostdeutschen Nachtschicht. Poesie.

DIE FLOP 5 FILME 2018:

1. The 15:17 to Paris
Ein Unfall sondergleichen. Clint Eastwood beweist abermals sein reaktionäres Gedankengut und besetzt drei authentische Helden als sich selbst, um zu unterstreichen: Wer strahlen möchte, muss amerikanisches Blut in sich tragen. "The 15:17 to Paris" jedenfalls ist der bisherige Tiefpunkt im Schaffen von Clint Eastwood. Auch "American Sniper" war zweifelsohne ein rechtspopulistisches Debakel, aber immerhin noch filmisch versiert. "The 15:17 to Paris" hingegen ist schmucklos, hölzern, unfassbar uninspiriert und obendrein gnadenlos dumm.

2. Hot Dog
Eine erzreaktionär, primitive Selbstbeschau, die patriarchale Strukturen damit bestärkt, in dem sie vorgibt, Frauen seien der ständigen Rücksichtnahme bedürftig. Das ist ein Zwei-Mann-Krieg gegen den Puls der Zeit. Und beschissen inszeniert sind diese teuren Actionszenen auch noch. Chartmusik drüber, 20 Einstellungen reingeknöppelt, fertig. Am Ende trägt Til Schweiger das Kind auf den Armen heraus, das macht man so. Weil es ein Mädchen ist.

3. 22. Juli
Eine geschmacklose, reißerische Zurschaustellung von Leid und Diabolik. Paul Greengrass, der sich in seinen vorherigen Werken eigentlich immer als ein Meister darin verstand, verschiedenen Seiten eines Konflikts mit der nötigen nüchternen Distanz Aufmerksamkeit zu verleihen, schenkt dem Amokläufer Anders Breivik mit "22. Juli" ein Podest: Hier darf er noch einmal seine Standhaftigkeit unter Beweis stellen, seine Parolen grölen, seine Weltanschauung verkünden, während Greengrass dabei niemals ernsthaftes Interesse für das große Ganze aufbringt, sondern sich allein an grellen, manipulativen Schauwerten ergötzt.

4. Predator: Upgrade
Shane Black in Reinkultur. Schuldrig inszeniert, mit krampfer Guck-Mal-Wie-Lustig-Ich-Bin-Selbstbesoffenheit ausgestellt und Charakteren, die so zum Kotzen sind, dass man irgendwann nicht einmal mehr mitbekommt, wenn einer von ihnen plötzlich abhandenkommt. Das ist zynische Menschenverachtung auf einem neuen Level. Belangloser geht nicht. Was für eine unterbelichtete Clownerie, alles auf Kosten eines der coolsten Weltraumungetüme, der man einfach keinen fähigen Filmemacher zusprechen möchte. Stattdessen setzt Shane der Entmythologisierung des gnadenlosen Sportjägers die Burger King-Krone auf, weidet seine Erzählung und Inszenierung an einer unfassbaren Ideenarmut und glaubt, dass diese hilflos zusammengeschusterte Form von pubertärem Vulgärkino an sich Berechtigung genug wäre, jeden Funken Mythos, Charisma, Spannung und Gestaltungswillen einfach auszusparen, nein, schlichtweg zu verweigern. Habe mich geschämt.

5. Verschwörung
Eigentlich ist ein Film wie "Verschwörung" ein echter Karrierekiller. Hätte sich Fede Alvarez zuvor nicht als überaus interessanter und begabter Genre-Handwerker bewiesen, könnte die Zukunft des Uruguayers nicht sonderlich rosig aussehen, so aber wird "Verschwörung" eher als ein Fehltritt in seinem Schaffen verwertet. Ein heftiger Fehltritt, wohlgemerkt. "Verschwörung" besitzt keinerlei Gespür für nachhaltige Bilder, für das Innenleben seiner Figuren, für eine ausgeklügelte, packende Geschichte. Wo es um Abgründe gehen soll, fehlt es schlicht am Abgründigen. Ein schmuckloser, uninspirierter und maßlos notdürftig arrangierter Thriller, der sein Sujet offensichtlich nicht verstanden hat.


GEHEIMTIPPS aus dem Jahr 2018:

The Rider
Nach einer wahren Geschichte
Lucky
Brawl in Cell Block 99
Utoya, 22. Juli
Playground
Gutland
The Endless
Last Flag Flying

10 MOST WANTED FILME 2019:

Once Upon a Time in Hollywood
Beale Street
The Beach Bum
Ad Astra
Beautiful Boy
The Sisters Brothers
The Irishman
The Death and Life of John F. Donovan
Head Full of Honey
Joker

MEIN SERIENJAHR 2018:

Serien. Nun ja, ich habe mich, wie gewohnt, nicht sonderlich um Serien gekümmert. Allerdings habe ich mit Spuk in Hill House, der zweiten Staffel The Deuce und Kidding drei schlagkräftige Argumente geliefert bekommen, warum diese Einstellung falsch ist.

FAZIT:

2018 war das beste Kinojahr seit...1973.

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